Den meisten literaturbegeisterten Menschen ist der Name Mascha Kaléko ein Begriff. Klar, Lyrikerin, irgendwann in den frühen 1930ern besonders erfolgreich gewesen, geflohen vor dem Regime Hitlers, wie fast alle Intellektuellen damals. Doch ein Gesicht hinter dem Namen formte sich bei mir bislang nicht.
Das hat zum Glück Indra Maria Janos mit ihrer Romanbiografie geändert. Auf rund 350 Seiten nimmt uns die deutsche Autorin, die hier unter ihrem Pseudonym schreibt, mit auf die Reise ins Berlin der späten 1920er-Jahre. Den Rahmen bilden Prolog und Epilog, bei denen zwei Jahre gewählt wurden, in denen Mascha Kaléko zum ersten Mal (1956) nach dem Krieg und zum letzten Mal in ihrem Leben (1974) ihre frühere Heimat besucht und überall mit sentimentalen Gedanken nach Überbleibseln des unwiederbringlich verlorenen Vorkriegs-Berlins sucht.
Die eigentliche Handlung setzt 1928 an, als Kaléko noch nicht ganz 21 ist – und somit zur damaligen Zeit volljährig. Sie ist eine junge, moderne, unabhängige Frau, die bereits in einem möblierten Zimmer zur Untermiete lebt, ihr eigenes Geld als Kontoristin bei der Jüdischen Organisation verdient und gerade Hals über Kopf verliebt ist. Noch heißt sie Engel, aber der Mann mit dem klangvollen Nachnamen Kaléko ist bereits der wichtigste Mensch in ihrem Leben, sie haben gerade beschlossen, zu heiraten, sobald Mascha Geburtstag hat und nicht mehr die Einwilligung ihrer Eltern für die Heirat braucht. Saul arbeitet bei der Jüdischen Rundschau und als Hebräischlehrer und trägt die junge Frau auf Händen. Sie ist gottfroh durch diese Heirat noch weiter von ihren Eltern unabhängig zu werden, denn die Bindung an die beiden ist nicht eng. Der Mutter scheint sie immer zu anangepasst gewesen zu sein, daher bevorzugte diese die Schwestern, mit dem Vater verstand sie sich zwar besser, doch blieben auch hier die Emotionen eher an der Oberfläche, denn der Vater hatte in ihrer Kindheit viele Jahre in Internierungshaft zugebracht, weswegen sich die beiden trotz gegenseitiger Sympathie immer fremd blieben.
Während Saul Kaléko nun also Maschas emotionales Zuhause wird, wird ihr geistiges das Romanische Café. Dort trifft sich die Crème de la crème der künstlerischen Welt Berlins. Journalisten, Verleger, Schriftsteller, Maler – alle sind sie gerne hier. Wunderbar anschaulich wird von Janos die Aufteilung der Gasträume beschrieben, die „Nichtschwimmerbassin“ und „Schwimmerbassin“ genannt wurden – und wer es geschafft hatte, wer sich einen Namen gemacht hatte, der erhielt Einlass in den kleineren, intimeren Bereich „Schwimmerbassin“. Man ahnt, wo Kaléko hingehören wollte …
Liebevoll skizziert Janos den Werdegang von der „kleinen Tippse“ zur gefeierten Lyrikerin, füllt die schnöden biografischen Eckdaten mit prallem Leben. Als bekennendes „Fangirl“ outet sich die Autorin in ihrer Danksagung und es ist klar, dass sie voller Herzblut die Entstehung dieses Romans vorangetrieben hat. Sie stimmte sich eng mit Gisela Zoch-Westphal ab, die seit 1975 das dichterische Werk der Lyrikerin verwaltet und für ihre Verdienste hierum 2008 das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt. Man darf also davon ausgehen, dass Janos mit einer derartigen Kennerin an der Seite auf fundierte Informationen zurückgreifen konnte.
Was man am Ende in den Händen hält, ist ein sehr unterhaltsames Buch, keine wissenschaftlich ausgearbeitete Biografie. Und das meine ich nicht als Kritikpunkt, sondern als klaren Vorteil. Ich habe diesen Roman sehr gerne gelesen und mich über die angenehme Unterhaltung und das einfach so nebenbei dargereichte Zusatzwissen über Mascha Kaléko gefreut, das ich nun mein Eigen nennen kann. Beleuchtet werden die Jahre ab 1928 bis 1938 – eine Zeitspanne von 10 Jahren also, in denen sich die Lyrikerin vom unerfahrenen Youngster zur selbstbewussten Schriftstellerin mausert und in der sie auch privat eine große Entwicklung hinlegt. Als Mascha Kalékos „leuchtende“ Jahre wird diese Zeit betitelt, eine Zeit, in der ihr Ruhm und Ehre zuteil wird und in der sie Berlin als ihr uneingeschränktes Zuhause empfindet. Ein Gefühl, dass sie offenbar zu keiner Zeit an keinem anderen Ort der Welt so mehr gefunden zu haben scheint.
„Die Suche nach Heimat – Maschal Kalékos leuchtende Jahre“ von Indra Maria Janos ist 2022 bei dtv erschienen und erhält von mir eine ganz klare Leseempfehlung. Zu mehr Informationen kommt man per Doppelklick auf das im Beitrag angezeigte Cover oder auf den Verlagsnamen.
Wie schön, da muss ich doch die Stabi besuchen und durchforsten.
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Für die Vorstellung der Romanbiografie schönen Dank!
Dazu greife ich gerne in den Bücherschrank und blättere durch die Gedichte von Mascha Kaléko. In ihrem „Lyrischen Stenogrammheft“ führt sie gleich ein „Interview mit mir selbst“. Daraus die dritte Strophe:
„Im letzten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule zu Herrn Rektor May.
– Ich war schon zwölf, als ich noch immer dachte,
Daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.“
Friedliche Grüße
Bernd
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