Die Highfives des Jahres 2019

Same procedure as every year

Auch in diesem Jahr fiel es den üblichen Verdächtigen nicht leicht, sich für fünf Bücher aus dem Bereich Belletristik zu entscheiden, die in der mittlerweile schon bekannte Übersicht der Jahres-Highfives noch mal hervorgehoben werden sollen. Während Bri und Thursdaynext jedes Jahr mit der Zahl fünf so ihre liebe Not haben, zählt auch awogfli 2019 mehr als fünf Highfives in ihrem Regal – wie sie es geschafft hat, sich trotzdem zu beschränken erfahrt ihr unten von ihr selbst. Rallus und daslesendelesezeichen hingegen, waren entscheidungsfreudiger. Aber egal, wie viel hin und her es in der Auswahl jeweils gab, nun stehen sie fest, die Buchstoff-Highfives des Jahres 2019. Vielleicht habt ihr ja auch ein paar davon so gelesen?

Awogfli

 

 

Heuer hatte ich „leider“ mehr als fünf Lesehighlights und qualitätsmäßig konnte ich mich auch nach massiver Aussortierung zwischen acht Büchern (5 von Autorinnen) nicht mehr entscheiden, deshalb wähle ich jene fünf Bücher, die 2019 erstmals erschienen sind.

Hippocampus – Gertraud Klemm
Ein witziger feministischer Roman, der neben des Transportes von Frauenpositionen um Teilhabe beweist, dass Feminismus auch urkomisch und gleichzeitig bitterböse sein kann.

Der Held von Madrid – Marketa Pilatova
Ein Beitrag des Gastlandes Tschechien zur Leipziger Buchmesse und für mich die totale Überraschung dieses Jahr. Ein Kurzroman, der das Wesen des Krieges und die Position von Soldaten sehr gut einfängt.

Sal – Mick Kitson
Eine berührende Geschichte von zwei kleinen Mädchen im Kampf ums Überleben, erstens im übertragenen Sinn, um der fürchterlichen Familiensituation zu entkommen und zweitens auch de facto, weil sie auf der Flucht davor alleine in der Wildnis gelandet sind.

Maschinen wie ich – Ian McEwan
Eine gewohnt gute Arbeit von Ian McEwan, der in diesem Roman um einen Androiden, der unter Menschen lebt, sehr viele Fragen zur digitalen Ethik aufwirft, sie teilweise beantwortet und die Leserschaft zum Nachdenken anregt.

Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin – Thomas Meyer
Eine wundervoll schräge wahnwitzige Räuberpistole über die jüdische Weltverschwörung im Kampf gegen unterirdisch hausende Nazis, die auch die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Gleichtzeitig aber auch ein humorvolles Lehrstück darüber, wie man mit Sozialen Medien, Desinformations- und Hasskampagnen und Verschwörungstherorien (nicht) umgehen sollte.

Bri

 

Abendrot – Kent Haruf
Kent Haruf war 2017 die Entdeckung für mich und eigentlich hatte ich gedacht, er wäre erst spät in seinem Leben zum Schreiben gekommen. Doch weit gefehlt. Haruf war und ist in den USA eine feste Größe, auf dem deutschen Buchmarkt jetzt auch. Harufs Romane spielen an einem Ort, den es nicht gibt und der dennoch genauso existieren könnte. Wer Haruf bereits gelesen hat, der wird Abendrot wie eine Heimkehr empfinden: Neben dem bekannten Personal, das den Geschichten dieser eher unscheinbaren Kleinstadt soviel Leben einhaucht, dass man ihnen immer weiter folgen muss, ist es der bekannt unaufgeregte, ruhige Stil, die klare treffende Sprache und der immer wieder aufblitzende Witz, was sich vom Anfang der Lektüre so wohlig bekannt und doch nach wie vor interessant anfühlt. Wie ein geliebtes Kleidungsstück, in das man schlüpft, wenn man ein wenig Abstand von der Welt, ein bisschen Zuversicht und Ehrlichkeit braucht, legen sich Harufs Romane schmeichelnd um das Leser*innenherz.

Alte Sorten – Ewald Arenz
Ewald Arenz ist für mich seit langem ein Garant für elegant verfasste Geschichten, die immer etwas ganz eigenes haben. Bisher habe ich fast alle seine Bücher gelesen. „Alte Sorten“ jedoch spielt in einer anderen Liga als seine bisherigen, wunderbaren und durchweg empfehlenswerten Romane, in denen er seine große Kunst, Gefühle durch Düfte, Farben und Haptik greifbar zu machen zeigen konnte. „Alte Sorten“ zeichnet sich zusätzlich zur immer präzisen, poetisch eingefärbten Sprache durch einen anderern Ton aus, der dem Ganzen etwas Herbes beimischt, was den Roman rund werden lässt. Liss und Sally sind eindeutig die Hauptfiguren, die absolut klar und mit jeweils eigener Stimme vor dem inneren Auge erstehen. Und es ist wunderbar zu verfolgen, wie poetisch, kitschfrei, humorvoll, erschreckend, gleichzeitig empathisch und vor allem wertfrei die Geschichte dieser Freundschaft entwickelt wird. Hier stimmt einfach alles und alles kommt ins Gleichgewicht.

Pixeltänzer Berit Glanz
Ein Debüt, das zwei Bereiche miteinander verknüpft, die auf den ersten blick nicht viel gemeinsam haben: Die Welt der Berliner Start-Ups und die Welt der Kunst in den 1920er Jahren. Doch diesen Roman muss man genau betrachten, nicht nur seinen Inhalt, sondern auch die klug gebildete Struktur wahrnehmen, die Teil des Gesamtkonzepts und gleichzeitig Spiegel des Inhalts ist. Zwei Zeitebenen werden hier nicht nur nebeneinander gestellt, sondern berühren sich fast, versucht Beta, die Hauptfigur in Ebene eins der Berliner Start-Ups, doch über das merkwürdige Profilbild eines ihrer Dawntastic-Anrufer mehr herauszufinden und landet unversehens bei Lavinia Schulz und deren leider kaum mehr bekannten Kunst und Lebensgeschichte. Ein wunderbarer Kniff, der die moderne Welt der Bits und Bites auf die expressionistische Kunst Lavinias treffen lässt. Ein Lesehighlight über das Jahr 2019 hinaus.

Old Filth – TrilogieJane Gardam
Jane Gardam ist in ihrer Heimat Großbritannien seit langem eine hochgeschätzte Autorin. Der deutschssprachige Buchmarkt hat sie allerdings erst im Jahr 2015, dafür aber mit einem Paukenschlag, entdeckt. Plötzlich war sie und ihre Trilogie um Sir Edward Feathers, einst Kronanwalt des britischen Empire, in aller Munde. Einerseits reizte mich das schon damals, andererseits ist das mit „gehypten“ Büchern immer so eine Sache … ich traue ihnen nicht. Doch in diesem Sommer entdeckte ich im Bücherschrank meines Vertrauens gleich alle drei Teile der Old-Filth Trilogie – in einem sagenhaften, ja vermutlich ungelesenen Zustand. Einmal in „Ein untadeliger Mann“ reingelesen, konnte ich es nicht mehr weglegen. Kurz darauf folgten „Eine treue Frau“ und „Letzte Freunde“ und veränderten und vervollständigten das Bild, das sich während der Lektüre des ersten Bandes ergeben hatte in großartiger Art und Weise. Solltet ihr die großartige, scharfsinnige, genaue und humorvolle Beobachterin und Autorin noch nicht kennen, dann habt ihr, so wie ich, das große Glück eine neue Lieblingsautorin zu entdecken.

Das flüssige Land – Raphaela Edelbauer
2018 las Raphaela Edelbauer beim Bachmannpreis ein Stück aus ihrem Roman „Das flüssige Land“. Mir gefiel der Text an sich gut, jedoch schien mir  ihre oberste Maxime, die Ästhetik ihres Textes komplett auf die Spitze zu treiben. Was ich davon über die Länge eines Romanes halten sollte, wußte ich nicht, bis ich diesen ersten Satz lesen durfte: „In den frühen Morgenstunden des 21. September 2007 verschüttete ich rund 200 ml Kaffee über meinem penetrant klingelnden Handy, das mich, von einer unterdrückten Nummer zutiefst erschüttert, so plötzlich zum Abheben aufforderte, dass ich keine Zeit hatte, die Tasse abzustellen.“ Bämm, mittendrin und nicht mehr rausgekommen – es ging mir fast ein wenig wie der Hauptprotagonistin Ruth, die, nachdem sie in dem auf keiner Karte Österreichs verzeichneten Heimatort ihrer Eltern angekommen, dort eine Art Traumzeit erlebt und sich dabei fast selbst verliert. Die Jury des Rauriser Literaturpreises hat für Edelbauers Tun die perfekte Umschreibung gefunden, der nichts hinzuzufügen ist: „Raphaela Edelbauer überschreitet Grenzen und und rückt in unerforschte Gebiete der Literatur vor.“ – und das mit Bravour.

daslesendesatzzeichen

 

 

Der Klang unserer Herzen – Emma Cooper
Bitte nicht von wenig gelungenem Cover und Titel irreführen lassen! Großartiger Roman über eine Familie, die alles andere als ein Durchschnittsleben führt. Die Mutter ist alleinerziehend und kämpft mit einem touretteähnlichen Problem: In Stresssituationen muss sie immer lauthals lossingen; die Teeniekinder stehen hormonbedingt unter Strom und dann tut sich auch noch plötzlich eine Spur auf, die zum vermisst gemeldeten Vater führt. Dieses Buch ist ein Geschenk! Wunderbare Charaktere, witzige Dialoge, tiefsinnige Gedanken – und ein Ende, das keiner vorhersieht!

Song Book -Stephan Eicher/Martin Suter
Ein Herzensprojekt zweier Schweizer Künstler: Suter hat auf Schweizerdeutsch wunderbare lyrische Texte verfasst, über Liebe, Frust, Streit, Freundschaft, Alltag. Chansonier Eicher hat all das kongenial vertont. In diesem schmalen Bändchen finden sich nun die Liedtexte auf Schweizerdeutsch (manchmal auch Berndeutsch) und eine CD mit der Musik. Jedem Lied ist ein Begleittext (auf Hochdeutsch) beigefügt, der erklärt, wie dieses Lied entstanden ist – oder hätte entstehen können! Denn in Wirklichkeit, das erklärt Suter schelmisch, ist nichts davon wirklich wahr, aber alles klingt äußerst kunstvoll und plausibel … und wer weiß schlussendlich schon, wie es wirklich war …

Ein ganzes Leben – Robert Seethaler
Das Anrührende an Seethalers Buch und seinem ganz eigenen Stil ist, dass er nichts anderes tut, als ein durch und durch unspektakuläres Leben eines gänzlich beliebigen Menschen herauszupicken und es unter die Lupe zu nehmen. Jedoch tut er dies nicht aus psychologischer Perspektive, analysierend oder bewertend. Seethaler ist wie ein Dokumentarfilmer, der danebensteht, wenn die Katastrophen des Lebens kommen, der sie notiert, wahrnimmt, aufzeichnet, der jedoch nicht verändernd eingreift.

Elbschlosskeller – Daniel Schmidt
Schmidt schreibt von seinem Leben als Wirt des „Elbschlosskellers“. Neben den Episoden zu seinem Leben sind es vor allem die Geschichten über ein paar der Kneipen-Gäste, die einen anrühren und deren Leben hier, sicherlich zum ersten Mal überhaupt, Würdigung und Anerkennung erfahren. Ein Buch, das einen mitreißt, aufrüttelt und staunen lässt. Darüber, was für Parallelwelten es zu unseren jeweiligen Filterblasen so gibt … Ganz unbedingt lesenswert für Hamburg-Fans und alle, die mit Daniel Schmidt und seinem Elan mithalten können.

Ich bin Circe – Madeline Miller
Ein in Romanform gepackter griechischer Mythos, so bezaubernd und vielversprechend wie ein randvoller Krug voll bestem Wein. Ein Buch, das ich von ganzem Herzen empfehlen kann, weil es einen auf höchstem Niveau von Anfang bis Ende nicht wieder loslässt, bis man traurig-glücklich das Buch zuklappt und die wunderbare Geschichte verlassen muss.

Geruede

 

Der Leuchtturm – Paolo Rumiz
Ein wunderbares Geschenk in unserer heutigen Zeit, das uns Paolo Rumiz mit diesem Buch macht. Die Gewissheit, dass es noch Orte gibt, die unentdeckt geblieben von uns selbst als Abenteurer gesucht werden können – immer mit dem Gedanken daran, das Entdeckte niemand anderem preis zu geben, der nicht selbst findet – hat für mich etwas ungemein Tröstliches.

Der Wal und das Ende der Welt – John Ironmonger
Eigentlich darf man über den Inhalt dieses Romans überhaupt nichts verraten. Sogkräftiger Lesestoff, den man einfach selbst erlesen muss.

Der Krieg im Garten des Königs der Toten – Sascha Macht
Eine spektakuläre Veröffentlichung, die das Erleben des Zusammenbruchs der alten bekannten Welt und das gleichzeitige Hineingeworfenwerden in eine wilde, unüberschaubare und rational nicht nachvollziehbare Realität auf ungekannte Art und Weise darstellt. Der Zusammenbruch der DDR und dessen Auswirkungen perfekt übersetzt in phantastische Literatur. Chapeau!

Auf die sanfte Tour – Castle Freeman
ZEN als Polizeimethode – und das in den USA!

Im Westen nichts Neues – Erich Maria Remarque
Der Irrsinn des Krieges – eine eindringliche fundamentale Warnung vor der Kaltschnäuzigkeit des Militarismus, dem naiven Gutglauben von jungen Menschen. Erschütternd, gruselig, lehrreich und dennoch stellenweise erheiternd.

Rallus

 

 

Distelfink – Donna Tart
Weil Donna Tartt es schafft, über 1000 Seiten immer wieder seitenweise hoch emotionale Sätze zu schreiben, die mich immer wieder mitgerissen haben und das Buch nicht aus der Hand haben legen lassen.

DODO- Neal Stephenson
Weil das einfach eines der witzigsten und phantastisch-wissenschaftlichsten Bücher ist, das ich je gelesen habe. Bitte verfilmen liebes Marvel!

 Graffiti Palast – AG Lombardo
Los Angeles brennt und der Held irrt durch die Stadt und erlebt eine Reise durch die Mythen Amerikas. Sprachlich herrvorragend!

Verändere dein Bewusstsein – Michael Pollan
So viel wie hier habe ich lange nicht mehr über Drogen und Halluzinogene gelernt. Und über die 50/60er Jahre in Amerika und den Beginn des Spießertums.

Die Unsterblichen – Chloe Benjamin
Willst du wissen wann du stirbst? Und wenn du es weißt, was machst du? Sehr unprätentiös, aber auch sehr emotional und berührend

Thursdaynext

 

Der Bär und die Nachtigall – Katherine Arden
Ein Debüt das mich absolut mitgerissen hat, dabei ist es „nur“ ein Märchen/ historischer Fantasy der auf traditionellen russischen Mythen basiert. Was die junge Autorin daraus für eine universelle Erzählung geschaffen hat verdient höchstes Lob. Alles ist zu finden: Liebe, Hass, Loylität, Freundschaft, Fürsorge, Magie, Natur, das Prinzip des Bösen, des Guten und das in wunderbar einfacher Sprache mit sachte schwingender Poesie.

Crazy Rich Girlfriend – Kevin Kwan
Nachdem ich mich bei „Crazy Rich Asians“ göttlich amüsiert habe, obwohl es durchaus ernste gesellschaftskritische Untertöne hat und die Dekadenz schlicht so überwältigernd ist, dass die Kritikl sehr subtil transportiert wird ist mir just in dieser trüben Dezember Matschregen Zeit der Folgeband “ Crazy Rich Girlfriend“ untergekommen, nicht ganz so überraschend und frisch, denn nun ist Leserin mit dieser Welt bekannt aber dennoch ein Mega (OMU, ich hab echt mega gesagt und ich meine es !) Lesespaß, wie es mit Rachel Chu weitergeht erfährt frau nur hier 😉

Bad Feminist – Roxane Gay
Ist mein feministischer eye & mindopener 2019 geworden. Roxanne Gay ist witzig, ernsthaft und sie gibt dem Feminismus das was ihm für mein Empfinden ab und an fehlt, eine fröhliche Leichtigkeit, die durchaus klarstellt worum es geht.

Angriff der unsinkbaren Gummiente. Christopher Boorkmyre
Unsinkbare Gummienten sind Fake News, esoterische Annahmen, Geistersichtungen und jeglicher Bullshit mit dessen Unterstützung die Erfinder des Schmarrns ihren Opfer das Geld aus der Tasche oder das Resthirn aus dem Schädel ziehen können. So amüsant wie Brookmyre hat es selten ein Autor aufbereitet.

Das flüssige Land – Raphaela Edelbauer
Ein Roman, der einen vom ersten Satz an mitnimmt und hinterher hochzufrieden aber verwirrt ausspuckt. Unfassbar, dass das ein Debüt ist. Das flüssige Land ist ein wilder Genremix, brennend aktuell, und das Buch zur Kognitiven Dissonanz per se.