Die Highfives des Jahres 2018

Und schon wieder ist ein Jahr vergangen – ein spannendes, ereignisreiches – manchmal schön, manchmal weniger schön ereignisreich – aber vor allem ein lesereiches, mit vielen Highfives der literarischen Art. Da uns diese Art der Rückschau über die letzten doch schon sechs Jahre mittlerweile zur lieben, wenn auch trotzdem manchmal schwer zu entscheidenden, Gewohnheit geworden ist, wollen wir euch unsere absoluten Lieblingslektüren nicht vorenthalten. Wenn euch dieser Rückblick nur ein klein wenig so viel Freude macht, wie uns, dann haben wir doch einiges richtig gemacht. Wir freuen uns auf Diskussionen und ein weiteres Jahr mit euch, die ihr uns immer wieder hier besucht und sagen Danke für eure Treue. Denn ohne euch wäre der Feine Buchstoff viel weniger, als er mit euch ist. Wir wünschen euch einen guten Start in ein friedvolles, glückliches und gesundes Jahr 2019, in dem wir uns hoffentlich auch wieder gemeinsam an unserem Lagerfeuer versammeln, um uns von den Geschichten zu erzählen, die wir so nötig brauchen, wie die Luft zum atmen!

Awogfli

 

Manaraga – Tagebuch eines MeisterkochsVladimir Sorokin
Eine meiner Lieblingsneuerscheinungen im Jahr 2018. Sorokins abgedrehte Dystopie über ein postislamistisches Europa im Jahr 2037, das auf Grund eines Krieges in mittelalterliche feudale Riten zurückgefallen ist und in dem Erstausgaben von Büchern zum Anzünden von Grillgerichten benutzt werden, zeigt sowohl atemberaubende Fantasie als auch eine gehörige Portion Gesellschaftskritik am Verfall unserer Wissens- und Wertegesellschaft.

Das geraubte Leben des Jun Do Adam Johnson
Meine positive Buchüberraschung in diesem Jahr. Über dieses Kleinod bin ich tatsächlich an einem sehr ungewöhnlichen Ort zufällig gestolpert, habe es mitgenommen und anlässlich der minimalen Öffnung Nordkoreas gegenüber der restlichen Welt sofort gelesen. Eine sehr surreale, entlarvende fiktive Geschichte über dieses für uns so fremde Land, die mehr reale Komponenten aufweist, als man den ersten Blick vermuten könnte. Sie hat meiner Meinung nach den Pulitzer-Preis redlich verdient. Einfach Großartig!

QualitylandMarc-Uwe Kling
Für mich einer der besten technologie- gesellschafts- und politikkritischen Romane der letzten fünf bis sieben Jahre. Eine absolute Ausnahmeleistung bezüglich Plot, Satire, philosophischem und technischem Hintergrund. Von einer Dystopie kann man ja gar nicht mehr reden, denn ca. 90% ist irgendwo schon Realität in unserer automatisierten digitalisierten Lebensrealität. Vorreiter China hat eben ein in Qualityland ähnlich beschriebenes Social-Credit-System ausgerollt, das die gesellschaftlichen und ökonomischen Möglichkeiten einer Person anhand eines Bewertungssystems begrenzt, das sich an politischem und gesellschaftlichem Wohlverhalten orientiert. (von thursdaynext hier im Blog auch besprochen.

Überleben – Der Gürtel des Walter FantlGerhard Zeillinger
Diese Biografie schildert detailliert das Leben eines der letzten österreichischen Zeitzeugen des Holocaust, Water Fantl. Mit dem sehr neutralen Blick des Historikers werden die Stationen des Überlebenden geschildert: Die Idylle in Niederösterreich in der Kindheit, das Umkippen der Stimmung auf dem Land, die Übersiedlung nach Wien und der verzweifelte Versuch der Auswanderung, die Deportation nach Theresienstadt, der Abtransport nach Auschwitz und Gleiwitz, die Befreiung und letztendlich auch die Verlorenheit nach dem Überstehen des Horrors. Ein absolut lesenswertes Zeitdokument.

FremdenzimmerPeter Turrini
Der österreichische Altmeister der Literatur hat ein berührendes kritisches Theaterstück über ein typisches misanthropes Pensionistenpaar geschrieben, das durch die Umstände plötzlich damit konfrontiert ist, einen syrischen Flüchtling bei sich aufzunehmen. Beim näheren Kennenlernen des jungen fremden Mannes werden Zug um Zug Vorurteile abgebaut und die in Sprachlosigkeit erstarrte Beziehung des Paares zudem auch noch repariert. Dieses Werk gibt Hoffnung und zeigt den richtigen Weg, dass die Angst von Otto Normalbürger vor den Fremden durch Kennenlernen und Kommunikation sehr leicht zu vertreiben wäre.

Bri

 

Ein gewisser Monsieur Piekielny François-Henri Désérable
Ausgehend von einem holistisch gefügten Umweg begibt sich ein junger Mann auf die Suche nach einer Figur des autobiographischen Romans „Frühes Versprechen“ von Romain Gary. Gab es Monsieur Piekielny, der zum Symbol für die Millionen ermordeter Juden wird, tatsächlich? Wollte Gary, der selbst so viele Identitäten lebte, Piekielny stellvertretend für all die anderen dem Vergessen entreißt? Klug, belesen, stilistisch wie sprachlich ausgefeilt spielt François-Henri Désérable mit den Ebenen und Strukturen und wird dafür zu Recht mit Preisen ausgezeichnet. Eine wunderbare Neuentdeckung für mich, die eine ganze Liste über Bücher über und von Gary, Gogol & Co. nach sich zog.

Ich bin Ich bin Ich bin – Maggie O’Farell
In jedem Leben gibt es Situationen, die gefährlich, ja lebensgefährlich, sind. Häufig verdrängen wir genau diese Erfahrungen, weil wir nicht wahrhaben wollen, wie nahe wir uns manchmal am Rande des Abgrunds bewegen, der zwischen Leben und Tod entscheidet. Wenn man sich aber mal klar macht, wie häufig und wie schnell diese Grenze erreicht werden kann und wie oft wir doch vor dem letzten Schritt bewahrt bleiben, dann muss man Maggie O’Farrells absolut lebensbejahenden Geschichten rund um ihre bedrohlichen Lebenssituationen einfach lieben. Obwohl sie natürlich aus ihrer Sicht schreibt, bleibt sie weit davon entfernt, egozentrisch zu sein. Ihre Sprache ist atmosphärisch dicht, klar und dennoch berührend ohne kitschig zu sein. Auch von ihr will ich mehr lesen. Dankbarkeit und Demut, das verbinde ich mit dieser Lektüre.

Moonglow Michael Chabon
Die vollkommen erfundene und deshalb wahre Lebensgeschichte des Großvaters, auf dem Sterbebett enthüllt, vom Schriftstellerenkel aufgezeichnet. Michael Chabon übertrifft sich wieder einmal selbst, in dem er erzählt, wie es hätte sein können, denn Wahrheit im Nachhinein ist objektiv nicht zu bekommen. Erinnerungen sind ausgewählte Fetzen einer vergangenen Realität und somit subjektiv gefärbt. Weshalb dann nicht gleich einen richtigen Roman draus machen, der das Gefühl vermittelt, so wäre es tatsächlich gewesen? Und das kann Chabon meisterhaft. So sitzt man  mit Moonglow wieder wie früher am Lagerfeuer, wärmt sich und lauscht entrückt … im sanften Schimmern des Mondlichts und hofft, die Erzählung würde niemals enden.

Die Herzen der MännerNickolas Butler
Als großer Butler Fan ein Muss – anfangs ein Buch, wie Nachhausekommen, dann ein Bruch, der mich dazu zwang meine Komfortzone zu verlassen, das Hadern mit den Entwicklungen der Geschichte sein und den Fluss der Erzählung wieder fließen zu lassen. Mein absolutes Lesehighlight der 2018 erschienen Bücher. Rundum gelungen. Lebensprall, echt, ungeschminkt, Türen aufstossend, die mir bisher verschlossen waren – und zu guter Letzt ist es eine Frau, die den Blick in die Herzen der Männer erst komplett macht. Dieser Roman ist einer der besten, den es auf dem deutschen Buchmarkt gibt und Nickolas Butler wird zu Recht als eine der führenden literarischen Stimmen Amerikas gehandelt.

Kleine Feuer überall Celeste Ng
Manchmal suchen sich Bücher ihre Leser*innen aus – und dieses hier eines davon. Der sanfte Druck und das unnachgiebige Beharren von Thomas Zirnbauer spülten mir dieses Kleinod ins Haus und nach der Lektüre war ich mehr als dankbar. Bereits häufig empfohlen, verschenkt und verliehen hat es bisher allen Empfängern ausnehmend gut gefallen und für Diskussionen – das Schönste an gemeinsamer Lektüre – gesorgt. Inhalt und Erzählweise sind derart zeitlos, dass diese Geschichte aktueller nicht sein könnte. Für mich ist Kleine Feuer überall die grandiose Geschichte davon, wie sehr Freiheit, die sich manche nehmen und sie leben, die verunsichern, aufrütteln oder ins wahre Leben schubsen kann, die sich solcher Freiheit nicht bewusst sind – denn Freiheit muss man auch aushalten können.

daslesendesatzzeichen

 

Rattatatam, mein Herz von Franziska Seyboldt. Die erfolgreiche taz-Redakteurin schreibt in ihrem Buch in flapsig-liebevollem Ton über ihre Angststörungen, die ihr manchmal das Leben zur Hölle machen. Sie tut das auf so großartige Weise, dass es Balsam für die Seele ist. Wunderbarer Lesestoff für alle mit dem Herzen am rechten Fleck. Für mich als Mutter eines kleinen, äußerst lebenstüchtigen Mädchens, das ab und an Panikattacken hat, außerdem sehr, sehr beruhigend und aufmunternd, denn nie, nie mehr werde ich voller Angst (!!) denken, dass meine Kleine wegen dieser Angstattacken ihren Weg durchs Leben nicht finden könnte.

Nighthawks, herausgegeben von Lawrence Block: Schriftsteller schreiben Geschichten zu Bildern von Hopper. Ein simpler, aber genialer Einfall! Insgesamt 16 Autoren haben sich von den einzigartigen Bildern mit der typisch unterkühlt-charismatischen Atmosphäre inspirieren lassen und ihre Ideen formuliert, was vorgefallen sein könnte, bis zu diesem einen Moment oder was danach geschehen sein könnte. Jede Geschichte hat ihren eigenen Reiz; da sie inhaltlich komplett unabhängig voneinander sind, kann man sie wunderbar einzeln verschlingen. Wunderschön aufgemacht, mit Abbildungen der herrlichen Edward-Hopper-Gemälde in guter Auflösung und auf hochwertigem Papier gedruckt, ist das Buch eine kleine Kostbarkeit.

Eleanor Oliphant von Gail Honeyman: Ein Buch, das von unglaublichem Sprach- und Wortwitz überbordet, jedoch auf eine ganz subtile Weise. Honeyman skizziert diese Eleanor Oliphant auf so umwerfende Weise, mit einem derart abstrusen Charme – trotz ihrer Defizite im sozialen Umgang mit anderen -, dass man nicht anders kann, als sich in die Hauptfigur zu verlieben. Es ist kein leichtes Buch, das Thema klingt nur vermeintlich locker und Eleanors Schicksal ist bedrückend, doch das Traurige, Erschütternde kommt mit einer derartigen Leichtigkeit daher, dass man mit Eleanor zusammen genug Stärke entwickelt, das durchzustehen. DAS BESTE BUCH 2018 FÜR MICH!

Franz Hohler legt mit Das Päckchen einen so schönen wie spannenden Roman vor, der in zwei Zeitebenen aufgeteilt ist: Zum einen die Zeitschiene, die in der Jetztzeit spielt, in der Ernst Stricker die wertvolle mittelalterliche Handschrift Abrogans in die Hand gedrückt bekommt, zum anderen die Zeitschiene, in der der Mönch Haimo im 8. Jahrhundert den Auftrag erhält, ebendiese Handschrift aus seiner süddeutschen Heimat ins italienische Montecassino zu bringen.
Beide Erzählstränge sind äußerst spannend angelegt und haben den schönen Nebeneffekt, dass der Leser bei diesen Rückblicken ins frühe Mittelalter viel dazulernt. Der mir bis dato unbekannte Schweizer Autor rutscht mit diesem Titel für mich ganz überraschend auf meine Lieblingsbuchliste!

Sophia, der Tod und ich von Thees Uhlmann: Was soll man bitte davon halten, wenn es an der Türe klingelt und da steht ein Typ, der einem erzählt, er sei der Tod?
Was Thees Uhlmann in seinem Erstling schafft, ist irgendwie nicht richtig in Worte zu fassen. Die Magie liegt sowohl in der Handlung, als auch im Stil der Geschichte, diesem herrlichen, knochentrockenen Humor. Tod, Exfreund und Sophia ziehen absurderweise gemeinsam los: Sie fahren zur Mutter des Todgeweihten. Der Todgeweihte gewinnt tatsächlich durch einen Riesenzufall Zeit auf Erden. Er kann, auf seine ihm eigene, sehr luschige Art, noch ein bisschen Dinge in Ordnung bringen, die nicht so ganz rund laufen. Ein grandioses Buch!

Geruede

 

Reinkarnation ist nichts für Feiglinge von Fredrik Brounéus – Es spricht mir aus der Seele und bereitete mir einen prächtigen Heidenspaß! – Nichts für Agnostiker.

Dirk Gently’s holistische Detektei von Douglas Adams – Die perfekte Ergänzung zu Reinkarnation ist nichts für Feiglinge; großartige Einfälle, wunderbare Verknüpfungen und sooo herrlich britisch; Wann sterben Sie eigentlich? – Und: Sind Sie darauf vorbereitet?

Der Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien – Meine Reisegeschichte, zu der ich nicht einmal fortfahren muß. – Einfach herrlich so ein Urlaub! – Natürlich nur in der Übersetzung von Margaret Carroux!

Ich und die Anderen von Matt Ruff– Eine faszinierende Geschichte über gewaltsam entstandene Seelensplitter, die sich einen Körper teilen und lernen müssen, miteinander klarzukommen, wollen sie dem drohenden Chaos einer multiplen Lebensführung Einhalt gebieten.

Kleine Feuer überall von Celeste Ng – Metaphorisch: Wenn zwei Kiesel die Beschaulichkeit einer Betontiefgarage bedrohen. Sehr beeindruckend. Auch handwerklich. Ein starkes Stück, auch wenn es so gar nicht daherkommt.

Rallus

 

Alpha & OmegaMarkus Orths
Wer Science Fiction mag, wer schöne Sprache mag, wer einer verrückten Geschichte folgen kann und wer skurrile Personen und krass Szenenwechsel goutieren kann, der ist mit diesem Buch bestens bedient. Das Lesehighlight dieses Jahres für mich.

In ExtremisTim Parks
Ein verzweifelter Protagonist, mit einem neuartigen Analmassagestab. So durchgeknallt das klingt, Tim Parks hat hier eine moderne Midlife-Crisis Geschichte entworfen. Ein Leben was aus dem Ruder gerät, aber die Liebe fängt es wieder auf. Herrlich komisch und berührend

Die Architektur des KnotensJulia Jessen
Was tun wenn das Leben plötzlich die Farben und die Leidenschaft verliert? Ist eine Änderung dann notwendig oder wie schaffe ich es, meine Umwelt da mit einzubeziehen? Eine verzweifelte junge Mutter kämpft mit sich und dem unkonventionellen Leben. Ein wunderbares und eindringliches Buch.

Vernon Subutex (Reihe) Virginia Despentes
So klar hat selten jemand der Gesellschaft die Faust aufs Auge, ins Auge gedrückt. Despentes ist schonungslos, aber nie verletzend. Die Sage um den DJ Subutex ist eines der wichtigsten Gesellschaftsromane des 21.Jahrhunderts, auch wenn es noch so jung ist.

GlückWill Ferguson
Nach Glück streben wir alle. Doch bei aller Suche sollten wir es uns zweimal überlegen, was andauerndes Glück bedeuten kann. Ein älteres Buch zum Wiederentdecken.

Thursdaynext

 

Aufstieg und Fall des D.O.D.O. Des Department of Diachronik Operations Nicole Galland und Neal Stephenson
ist witzig, tiefgründig, augenzwinkernd verschmitzt und fulminant. Ein Lesespaß in XXL. Bietet viele Stunden wunderbarer Weltflucht nach der Mensch gutgelaunt wieder in die zeitreisenfreie und meist unmagische Realität zurückkehrt. Ein Buchschatz der Extraklasse.

Lovecraft CountyMatt Ruff
Matt Ruff in vergnüglicher und nachdenklich machender Höchstform auf einer mysteriösen Reise durch die USA der 50er Jahre. Wieder Kult. Lovecraft County in dem historische Fakten mit magischer Realität und politischem Statement, herrlichem Witz lässt einen bis zum Ende nicht los. Ein abgefahrener Roadtrip!

Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst! Jaron Lanier
Wenn sich Jaron Lanier, der Dreadlockguru aus Silicon Valley meldet lohnt es sich zuzuhören. Sein provokanter Sachbuchtitel: Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst! verbessert Hirn- und Lebensqualität. Mensch muss diesem Aufruf nicht unbedingt folgen, sollte aber wissen weshahlb Social Media so giftig und zersetzend sein können.

Hochdeutschland Alexander Schimmelbusch
Eine bitterböse, köstliche Satire, die der Wahrheit beängstigend nahekommt hat Alexander Schimmelbusch mit seinem kurzen Roman Hochdeutschland hier abgeliefert. Lesespaß pur. Deutschland 2018. Ohne Filter.

Der Tyrann Stephen Greenblatt
Die Sachbuchautor Neuentdeckung des Jahres war für mich Stephen Greenblatt. Der Tyrann legt die Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften der Populisten elegant, intelligent und perfide nachvollziehbar dar und das indem Shakespearetexte seziert werden. Grandios.