Wie man einen Stift heiser schreibt

Das nagelneu erschienene zweite Buch von Stefanie vor Schulte heißt „Schlangen im Garten“ und eigentlich wollte ich heute ein ganz anderes Buch besprechen, doch: Das wort- und bildgewaltige Werk hüpfte mir auf den Schoß und will nicht mehr runter und möchte, dass ich über es schreibe.

Bis vor 11 Minuten war ich im Onlinetalk von Diogenes mit der Autorin Stefanie vor Schulte, mit ihrer Lektorin und mit Susanne Bühler, die wir BloggerInnen alle bestens kennen. Eine Stunde lang stand Frau vor Schulte Rede und Antwort, las vor, sprach über ihre Schreibsituation, über Inspirationen, darüber, wem sie zuerst neue Texte vorliest. All das war derart berührend, inspirierend und anregend, sodass ich nicht einfach zurück ins Wohnzimmer auf die Couch konnte, um in irgendeinem anderen Buch zu lesen, sondern am Rechner bleiben musste, um in die Welt zu trompeten: LEST! DIESES! BUCH!

Stefanie vor Schulte hat im letzten Jahr bereits mit „Junge mit schwarzem Hahn“ brilliert und zum Glück auch Preise dafür eingeheimst, nun ist sie so schnell zurück und bringt uns eine Geschichte, die Trost spendet, fantastisch (im eigentlichen und übertragenden Sinne des Wortes) ist und Mut macht. Mut, auch in schwierigen Situationen seinen eigenen Weg zu gehen, sich keinen Deut drum zu kümmern, was die anderen in existenziellen Momenten über einen denken, unbeirrt dem nachzugehen, was für einen selbst in diesem Moment das Überleben ermöglicht, auch wenn anderes es komisch finden.

Die Geschichte handelt von Familie Mohn und diese Familie lebt im Hier und Jetzt und sie hat eine wichtige Bezugsperson verloren: die Mutter.

Wie geht man damit um? Vater und drei Kinder stehen ratlos da. Die direkten Nachbarn scheinen bestens zu wissen, was richtig ist, jedenfalls ist es sicherlich keine Tortenschlacht beim Leichenschmaus – das findet übrigens auch, leicht düpiert, der Konditormeister, als Adam Mohn, der Papa, ihm die obskure Frage stellt, welche Torte denn bitteschön am besten flöge?

Dieses Buch kann nicht in eine Kategorie gepresst werden, es sprengt den Rahmen, es ist, wie und was es eben ist – aber es ist vor allem das einzige Buch, das ich wagen würde, meiner Freundin zu schenken, die vor zwei Jahren von heute auf morgen ihren Mann verloren hat, der in den Bergen abstürzte.

Das Buch ist niemals Klamauk, es ist niemals erhobener Zeigefinger, sondern es ist immer authentisch und es ist der Realität entrückt. Vier neue Freunde finden die Mohns in diesen harten Zeiten und es sind nicht die normalen Mitmenschen, es sind die Außenseiter, die Ungewöhnlichen, die ihnen plötzlich zur Seite stehen und Trost und Wärme geben.

Ein Buch, das Roman ist und doch Lyrik, das Poesie ist und doch Prosa, das vom Tod handelt und doch vor allem vom Leben und das uns lehrt, dass die permanente Optimierung, die die Gesellschaft gern sieht und oft erwartet, ein Weg ist, den man gehen kann, aber nicht muss. Manche Menschen wandeln auf anderen Pfaden. Was erwartete die Gesellschaft von einem Trauernden? Dass er bald wieder, nach angemessener Zeit (was auch immer das sein soll), funktioniert – das klappt bei vielen, aber eben nicht bei allen. Und die, bei denen es nicht klappt, die sind genauso vorhanden und dabei real und wertvoll. Und für all die, die nicht angepasst sein können und für all die, die bildgewaltige Worte, skurrile Situationen, fantastische Metaphern mögen, ist dieses Buch.

Wie sagte eine Teilnehmerin des Onlinetalks eben sinngemäß? – „Wo waren Sie so lange, Frau vor Schulte? Mir hat Ihre Sprache so gefehlt!“

„Schlangen im Garten“ von Stefanie vor Schulte gibt es seit 24. August 2022 im Buchhandel, es ist gebunden und bei Diogenes erschienen. Weitere Informationen durch Klick auf Buchcover oder Verlagsname.

6 Gedanken zu “Wie man einen Stift heiser schreibt

  1. Pingback: Die Üblichen Verdächtigen präsentieren ihre Highfives des Jahres 2022 | Feiner reiner Buchstoff

  2. Guten Morgen. Eine wunderschöne Rezension. Ich finde das Thema, immer wieder, egal welches Genre, ungemein wichtig. Aber nicht die verklärte Umsetzung sondern die echte. „Das Leben geht weiter“ oder ähnliche Floskeln finde ich persönlich sehr unpassend und erzwungen, trauert jeder doch anders. Und sind es nicht oft die fremden, frischen Personen, die echtes Verständnis und echten Trost geben? Die oft auch nach Jahren, im Gegensatz zu den altbekannten, nicht auf das Loslassen drängen?

    Übrigens sticht der Klappentext meiner Auffassung nach schon deutlich hervor, gibt einen Eindruck des verwendeten Stils.

    Gefällt 1 Person

  3. Schönen guten Morgen!
    Deine Rezension hab ich heute gerne in meiner Stöberrunde verlinkt 🙂
    In den nächsten Tagen kommt auch ein Gewinnspiel auf meinem Blog zu dem Buch und die Voraussetzung zum mitmachen wird sein, bei deiner oder meiner Rezension zu dem Buch zu kommentieren. Ich hoffe, das ist für dich in Ordnung, dass ich deinen Blog da so mit eingebunden hab 😀
    Liebste Grüße, Aleshanee

    Gefällt 1 Person

  4. Schönen guten Morgen!

    Eine ganz tolle Rezension! Ich hab das Buch auch grade gelesen und mir ist es echt schwer gefallen, meine Meinung dazu zu tippen…
    Das Debüt hat mir etwas besser gefallen, einfach weil das Thema/die Handlung mich von grundauf mehr angesprochen hat. Aber dennoch finde ich, dass sie hier das Thema Trauer auf eine wirklich großartige Weise umgesetzt hat.

    Vielen Dank für deine Einblicke und ein schönes Wochenende!

    Liebste Grüße, Aleshanee

    Gefällt 2 Personen

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..