#Euphancholie

Das Frühlingsprogramm verschiedener Verlage des Jahres 2021 wartet mit einer Fülle von Titeln auf, die die 70er, 80er und auch 90er Jahre teilweise in klassischer Coming-of-Age Manier Revue passieren lassen. Das ist, wenn man die Zeit selbst erlebt hat, spannend und je nach eigenem Alter damals auch mit gewissen Erinnerungen und Gefühlen verbunden. Auch das Alter der Protagonisten der Geschichten aus der (eigenen) Vergangenheit spielt eine Rolle – prägt es neben der Erzählweise, der Stimme des meist aus der Ich-Perspektive erzählenden jungen Menschen, sowohl die Geschehnisse als auch den Blick auf diese.

Benedict Wells hat sich in seinem neuen Roman Hard Land für die Zeit entschieden, die ihn am meisten fasziniert, die er aber selbst nicht als Teenager erlebt hat, weil er schlichtweg erst in den 80er geboren wurde. Dabei hat er seine Geschichte in eine Kleinstadt in Missouri verlegt, ein cleverer Trick, um Kritik an der Ausrichtung des Romans zu entgehen. Denn Wells wollte keinen kritischen Roman schreiben, sondern sich die Sehnsucht nach dem einen Sommer, der alles irgendwie verändern kann, von der Seele schreiben – und das hat er richtig gut gemacht.

Grady in Missouri, 1985 – 49 Geheimnisse gibt es dort angeblich zu  entdecken, aber Sam, der in diesem Sommer 16 werden wird, sind die reichlich gleichgültig. Er hat andere Sorgen. Zum einen ist da die immer vorhandene Angst, dass es seiner Mutter, die vor ein paar Jahren an Krebs erkrankt ist, wieder schlechter gehen, ja sie sogar sterben könnte. Die Anzeichen dafür sind da und lassen sich auch mit dem besten Willen nicht immer verdrängen. Zum anderen ist Sam eben ein 15 jähriger Teenager, mitten drin in diesem Gefühlschaos, das ihn mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt sein lässt – Euphancholie nennt er das selbst einmal Okay, Sam ist eher der Typ, der weniger himmelhochjauchzend durch die Gegend läuft. Er ist schüchtern, er hat vor vielem Angst und er hat keine Freunde. Seine Schwester ist erfolgreich in der Filmbranche und weit weg, sein Vater schweigsam und kommt Sam unnahbar vor und seine Mom eben krank. Und eigentlich soll er die Sommerferien fernab von Grady bei seinen beiden Cousins verbringen, mit denen er so gar nicht kann. Da kommt ihm der Job in Gradys Kino wie gerufen … zumal erdort auf Kirstie trifft, die ihn mit ihrem Wesen einfach umhaut.

Benedict Wells lässt seinen Protagonisten Sam Turner die Geschehnisse um SEINEN Sommer selbst erzählen – retrospektiv, aber nicht allzu lange nach den Ereignissen und das chronologisch. Ein Erzählstrang, der uns straight an Sams Erlebnissen teilhaben lässt, ohne große Schnörkel oder Exkurse. Der erste Satz des Romans alelrdings, tifft punktgenau die Gefühlslage, in der er sich über die ganze Zeit hinweg befindet:

In diesem Sommer verliebte ich mich und meine Mutter starb.

Damit sind die Pfähle für den klasischen Coming-of-age Roman auch schon eingeschlagen – und das in einem einzien Satz, das muss man erst mal schaffen. Grundsätzlich bedingt coming-of-age einen (meist männlichen) jugendlichen Anti-Helden, schüchtern, Außenseiter, um die 16 Jahre alt, der durch ein äußeres Ereignis aus der Bahn geworfen wird und daran wächst. Dass es immer oder meist junge Männer sind, die die Hauptrolle in solchen Geschichten spielen, hat klassische Gründe – schließlich handelt es sich ja um einen Entwicklungsroman und diese Entwicklung gestand man (früher) Mädchen und (jungen) Frauen nicht zu. Mir persönlich fällt hierzu nur ein Roman ein, der diese Vorgaben zum Teil sprengt, geschrieben von einer Autorin.

Strukturell gesehen ist also nicht viel Überraschung in Hard Land geboten, die Rahmenbedingungen des Genres hat Wells äußerst konsequent und gekonnt umgesetzt. Die Atmosphäre, die Wells jedoch hier zaubert, wirkt ein bisschen so, als hätte man eine alte Kiste mit Photographien gefunden: Farblich mögen sie zwar nicht mehr ganz so frisch sein, vielleicht ist da auch ein bisschen zu viel Schulterpolster zu sehen, aber die Erinnerungen, die sie bergen, steigen so klar daraus hervor, als wäre alles erst Gestern gewesen. Wells hat lange und ausgiebig dafür recherchiert, ist er selbst doch zu jung, die 1980er Jahre als Teenie erlebt zu haben. Ich selbst war 1985 17 Jahre alt, und alles was in Hard Land an Filmen und Musik referenziert wird, schlug eine ganz bestimmte Saite in mir an. Dabei entstand eine bittersüße Melodie, die mir klar machte, dass es eben nie wieder so sein wird, wie es damals war, aber auch, dass ich damals Glück hatte und eine gewisse Leichtigkeit, all die drohenden Szenarien, die uns in den 80er Jahren ja durchaus beschäftigten – Kalter Krieg, Brokdorf, Tschernobyl um nur ein paar wenige zu nennen – doch irgendwie zu handeln. Denn es ergaben sich aus diesen Fakten durchaus ernst zu nehmende Aktionen und Gegenströmungen, die für mich persönlich immer eine Energie besaßen, die meine Einstellungen bis heute prägen. Dabei scheine ich nicht die Einzige zu sein, die Hard Land so gelesen hat, ohne die Zeiten damals glorifizieren zu wollen. Im übrigen ist der Trick, den Roman örtlich in die USA zu verlegen deshalb schon ziemlich klug – die Probleme eines amerikanischen Jugendlichen zu der Zeit kann ich kaum ermessen. Das Lebensgefühl jedoch mag in der beschriebenen Lebensphase immer ähnlich sein.

Und damit kommen wir zu einem weiteren Kritikpunkt, der Frage danach, ob ein Autor, der diese Zeit selbst nicht erlebt hat, überhaupt dafür geeignet sein kann, seinen Stoff dort anzusiedeln. Eine Frage, die sich mir nicht stellt und die ich mit einem klaren Ja beantworten muss. Denn gerade das ist es doch, was Schriftsteller können müssen: Ihre Phantasie und Kreativität einsetzen, sich gedanklich  in andere Zeiten und an andere Orte begeben zu können und einen fiktiven Raum zu schaffen, in dem die Realität auch einen Platz angeboten bekommt und mit dem sich möglichst viele Menschen gedanklich verbinden können. Ob diese Auseinandersetzung nun eine kritische ist oder nicht, das sollte den jeweiligen Autor:innen überalssen sein.

Benedict Wells hat sich dafür entschieden, seinen in 49 Kapitel unterteilten Roman so zu schreiben, dass die Lektüre wie ein sehr guter 80er Jahre Film die Bilder im Kopf anwirft, Energie gibt, vielleicht auch etwas Trost in Pandemie Zeiten. Wer sich eine kritische Aufarbeitung der gesellschaftlichen und politischen Umstände in diesem Roman erhofft, der/die sollte die Finger davon lassen. Aber wer sich gerne gut unterhalten lässt, dem/der sei Hard Land wärmstens empfohlen. Denn wie das dem Roman vorangestellte Ferris Bueller Zitat so schön sagt:

Life moves pretty fast .
If you don’t stop and look around once in a while, you could miss it

Viel Spaß beim Innehalten – vielleicht sogar mit der eigens vom Autor zusammengestellten Playlist, die ihr auf der Hard Land Webseite findet.

Hard Land von Benedict Wells ist am 01. März 2021 als HC im Diogenes Verlag erschienen. Für mehr Information zum Buch per Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder direkt auf der Verlagsseite.

2 Gedanken zu “#Euphancholie

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