Überall in Europa kriechen die Faschisten und Rassisten wieder aus ihren Löchern, der Winterschlaf scheint vorbei und es zeigt sich, wie fragil Demokratien sind. Unpolitisch sein heißt, ihnen den Weg zu bereiten. Lange haben wir es nicht wahrhaben wollen: sie sind nie weggewesen.
Das Debüt der jungen Autorin Raphaela Edelbauer das die diesjährige Shortlist für den Deutschen Buchpreis zierte, nähert sich auf abgefahren ungewöhnliche Art dieser Thematik. In Gestalt eines Fantasy-Romans. So zumindest wird dieses schwer einem Genre zuzuordnende Werk vom Verlag etikettiert.
Sicher nicht fälschlich, aber eben auch nicht passgenau.
Als versierte Fantasyleserin – von (gutem Trash bis Epos und FunTasy) gehört meine Leserinnenliebe nicht nur, aber doch zu einem gehörigem Teil, diesem literarisch unterschätzten Genre – hat mich dieser außergewöhnliche Roman gereizt, weil er es zuerst auf die Longlist des DBP geschafft hat und später dann, völlig berechtigt, die Shortlist kaperte.
Dabei geht die Autorin neue Wege und das liest sich ab dem ersten Satz wunderbar, auf ganz eigene Art poetisch und doch flüssig und leicht verständlich. Ein stilistisches Meisterwerk. Dabei fällt auf, dass sie das Weglassen nutzt. Ein wirkmächtiges Stilmittel, indem durch das was sie nicht schreibt, im Leserinnenkopf eine reichbebilderte Geschichte entsteht, die ich, so erzählt, noch nie gelesen habe. Das ist spannend und aufregend. Facht die Leselust noch weiter an. Zur Geschichte: Die Protagonistin macht sich, nach dem Unfalltod ihrer Eltern auf, ihre Heimat zu suchen und findet … Löcher. Nicht ungewöhnlich für eine experimentelle Physikerin, und fast sofort taucht Ruth ein in die Welt von „Groß-Einland“ den magischen Realismus, den man dem drogen- und trauervernebelten Hirn zuschreiben könnte, doch auch das trifft es nicht. Seltsame Figuren tauchen auf, ein Pendant zur Herzkönigin aus Lewis Carrols Alice im Wunderland ist gepaart mit der Grinsekatze und dem verrückten Hutmacher und immer weiter breiten sich die Löcher im Boden und Risse in den Fassaden aus, während alle versuchen sie zu verdrängen, sogar wenn sie Kinder fressen …
Die Verdrängung des Unerwünschten ist ein Teilaspekt dieses komplexen Romans, alle schauen weg, während das Unerfreuliche sich weiterentfaltet, das kann durchaus auf die politische Lage in Österreich, Deutschland gemünzt sein. Dieses Geschwür breitet sich momentan in rasender Geschwindigkeit global aus: Faschismus, Fake News, populistische Lügenpropaganda, Wegsehen, Ignoranz. Wenn die Gräul der Geschichte geschwind unter den Teppich gekehrt werden, wellt er sich und irgendwann kommt der DRECK wieder zum Vorschein.
Auffällig ist an „Das flüssige Land“ der Sog, den dieser grandiose Roman bereits mit dem Anfangssatz entwickelt. Das Buch wegzulegen ist quasi unmöglich. Zwar liest sich die Geschichte durchaus anspruchsvoll, dabei stilistisch angenehm und sprachlich eloquent. Es ist ein andauerndes Vergnügen, den Abenteuern von Ruth zu folgen. Wurde sie entführt in eine Traumwelt, oder sind es doch die Gedanken einer psychisch Kranken, oder einer Medikamentensüchtigen? Die Autorin lässt die Leserinnen metaphorisch (Männer wie immer herzlich mitgemeint) auf Strawberryfields wandeln mit Lucy in the Sky with Diamonds und das fröhlich gewitzt zur Musik von Yellowsubmarine.
Ruth jedenfalls ist der Ansicht, man muss etwas tun, doch was? Sie geht die Chose wissenschaftlich an, forscht nach Abhilfe, nach den Gründen für die Risse in den Häusern und den alles verschlingenden Löchern. Im Dorf selbst wird, als die Geschehnisse schon weit fortgeschritten sind, nach Schuldigen geforscht. Die Landwirte bieten sich an. Sie pflanzen Rettiche und Karotten. Diese Pfahlwurzler, Tiefwurzler sollen angeblich den Boden auflockern … In Notzeiten sind die Schuldigen immer schnell gefunden.
Die Autorin zeigt die faschistoiden Mechanismen verpackt in magischen Verkleidungen, die dennoch, oder gerade dadurch die ganze Abscheulichkeit in aller Klarheit bloßlegen. Das flüssige Land kann auch als Aufruf an die Anständigen verstanden werden, endlich aufzustehen, es gibt so viele Interpretationsmöglichkeiten in diesem außergewöhnlichen Werk, dass empathische Leserinnen nur so schwelgen dürfen. Mit langem Nachhall. Steht das Buch doch schon länger an zierender Stelle im Bücherregal und wenn der Blick darauf fällt kommen Erinnerungen, sehr gute Erinnerungen an ein besonderes Erlebnis. Ich hoffe auf weitere Bücher dieser jungen Autorin, die ich keinesfalls verpassen möchte. Es ist herrlich das Hirn so bravurös durchgewalkt zu bekommen. Ein wunderbares literarisches Geschenk das natürlich ebenfalls den DODO – Award bekommt. Chapeau Frau Edelbauer!
Eine weitere ebenfalls begeisterte Besprechung findet sich bei BooksterHRO.
Das flüssige Land von Raphaela Edelbauer ist 2019 als Hardcover bei Klett-Cotta erschienen. Weitere Informationen durch Klick auf das Cover oder auf der Verlagsseite.
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Da das Buch auf der Best of Liste von zwei Mittäterinnen von Feiner Buchstoff steht, es deshalb auch zum Jahreswechsel wieder angeklickt wird und ich die Autorin und die Hintergründe zu dem Buch kennenlernen durfte, schreibe ich keine eigene Rezi, denn zum Inhalt ist ohnehin schon alles gesagt, sondern ein Update zwischen Fiktion im Roman und historischer Realität, das als Add on zu dieser Rezension zu werten ist, wenn sich jemand für die realen Details interessiert.
Ich durfte die sympathische Autorin Raphaela Edelbauer während einer Lesung in Langenlois kennenlernen und mit ihr auch noch anschließend bei einem Glas Wein in der Gartenbauschule über die Hintergründe zu diesem Buch ausführlich plaudern. Die im fast schon dystopischen Roman dargestellte, von jeglicher Umwelt abgeschottete Ortschaft, Groß Einland, weist nämlich sehr viel Bezug zur Hinterbrühl in der Gemeinde Mödling und der dort ansässigen Seegrotte auf, die ursprünglich ein Gipswerk war und ab 1944 als KZ-Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen geführt wurde. Während der Auflösung des Lagers 1945 verschwanden dort tatsächlich Häftlinge unter mysteriösen ungeklärten Umständen. Zweiundfünfzig Insassen wurden vor Ort ermordet und in einem Massengrab verscharrt. Details zu den historischen Ereignissen findet ihr unter https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/KZ-Au%C3%9Fenlager_Hinterbr%C3%BChl . Im Roman von Edelbauer, fusioniert das Dorf Hinterbrühl mit der Seegrotte, ein bisschen mit der Bezirkshauptstadt Mödling von der Größe des mittelalterlichen Stadtkerns her und bezüglich des Namens mit einer dort auch ansässigen Ortschaft, Einöd, die so wie sie in einem tiefen Tal liegt, von der Umwelt, abgeschnitten ist, dass nicht einmal Mobiltelefone und Radios funktionieren, geschweige denn eine ordentliche Busverbindung existiert – also tatsächlich ein Ort, der heutzutage mehr als jedes Bergbauerndorf am Ende der Welt ist– zu Groß Einland.
Das sogenannte Loch, das die fiktive Ortschaft zu verschlingen droht, ist ebenso ein ehemaliges Bergwerk in dem auch KZ-Häftlinge gearbeitet haben. Wie mit den historischen Ereignissen in der Hinterbrühl stimmen auch im Roman die Vermutungen überein, dass nicht nur die offiziell hingerichteten (im Buch sind es 34 in der Geschichtsschreibung sind es 52) Opfer existieren, sondern dass auch mehr als 800 Leute irgendwie verschwunden sind. Da es ja gar nicht so viele Wärter gab, die das Massaker anrichten hätten können, munkelt man im Roman, dass auch die Ortschaft an den Tötungen beteiligt sein könnte. So etwas hat man in der Realität auch in der Hinterbrühl in Edelbauers Jugend geraunt und selbstverständlich ständig vertuscht und das war auch einer der Anlässe der Autorin, genau diesen Roman zu schreiben.
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Die ist ja auch noch Österreicherin *kreisch* – supa muss ich irgendwann haben
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ich wollte nur mal kurz sagen, wir haben das Buch getrennt gelesen, versucht, eine gemeinsame Besprechung hinzukriegen … aber durch die Komplexität und die Vielfalt der Themen, die hier angesprochen wurden, es zum ersten Mal nicht in der Zeit geschafft, in der wir es wollten. Deshalb zunächst Thursdaynexts Rezensiion, von mir wird noch eine folgen, in der ich hoffentlich nicht alles nur wiederholen werde. Ein großartiges Buch, das mich auch Monate nach der Lektüre noch gefangen hält. Ich bin fast geneigt zu sagen, mein absolutes Lektürehighlight 2019. LEST ES BITTE ALLE. Und sagt uns Bescheid, wie ihr es fandet.
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