To Do Listen, nachlassendes Gedächtnis, das Leben, das Universum und der ganze Rest in immer noch patriarchalischer Zeit

Wenns weiter nichts ist von Allison PearsonHow hard can it be, so der Originaltitel von „Wenn’s weiter nichts ist“. Wieder einmal schlägt das Original den deutschen Titel um Längen. Aber zu diesem Thema mag ich nichts mehr schreiben. Es ist eine unendliche Geschichte …

Was vorliegt ist optisch und haptisch ein kleines Schmuckstück, das mich aufgrund des Covers mit  hübsch gestalteter To-Do-Liste und seiner Inhaltsbeschreibung lockte. Beides weist deutlich auf die Zielgruppe hin. Frauen, speziell Mütter, die sich von ihrer Jugend unwillig aber unaufhaltsam verabschieden müssen. In Würde zu altern klingt so logisch und einfach, bis Mensch selbst an diesem Punkt angekommen ist.

„Mein Badezimmerschrank beispielsweise ist ein Schrein für die Göttin des Anti-Agings. Nennen wir sie Utopia.“

Protagonistin und Ich-Erzählerin Kate Reddy, ehemalige erfolgreiche Fondsmanagerin, muss sich damit und mit all den anderen kleinen sich summierenden Problemchen einer Mittelschichtexistenz herumschlagen und sie nimmt den Kampf auf. Das mag sich trivial anhören, ist sicher keine hohe Literatur, doch nah, sehr nah an der Realität etlicher Frauen. Kates unaufhaltsamem inneren Monolog zu lauschen, teils in Form von E-Mails mit Freundinnen, teils im Zwiegespräch mit Roy, ihrem Hüter des Gedächtnisses der einen harten Job hat, weil Kate so viel Krimskrams verschiedenster Art auf ihrer Agenda stehen hat.  Ab und an liefert Roy ihr die benötigten Informationen zu spät. Aber er liefert noch. Das alles ist so banal wie unglaublich witzig, enthält sowohl Screwball- als auch Slapstickmomente.

Monty Python, Martina Schwarzmann, Monika Gruber und Amy Shumer lassen grüßen, denn Autorin Allison Pearson beherrscht die Kunst, einerseits die Realität zu beschreiben, sie dabei gekonnt zu persiflieren, dabei aber die Dramatik die sich daraus für die Betroffenen entwickelt, immer wieder ins tragikomische zu verwandeln, ohne den Tatsachen zu schaden. Ab und an bemüht sie den Zufall ein wenig zu sehr, hat einen der Roman aber bereits gepackt, so wie mich, stört das nicht und, tatsächlich, hatte ich gegen Ende sogar mit feuchteren Augen als normal zu kämpfen.

„Sind meine Ängste noch im Rahmen? Haben alle Frauen das Gefühl, allein im Tower der Flugsicherung zu sitzen? Zugegebenermaßen mache ich schon Sorgen, seit Emily auf der Welt ist. Ich schätze das ist wohl normal. Sind die Kinder denn nicht ein Teil von uns? Und ist es nicht ideal, wenn dieser Teil von dir bei fremden Leuten übernachtet und dir keine Nachricht schickt, weil der  >Akku leer war<. Wenn du dir aussuchen könntest, wem du dein lebenswichtigstes Organ mitgibst, dann doch sicher keinem schusseligen Teenager, der sein Handy aufzuladen vergisst, oder?

Leserinnen, die ähnliche Erfahrungswerte haben wie Kate – und sie ist gnadenlos ehrlich, ab und an geradezu brutal – hasten mit der Protagonistin durch ihr Leben, leiden mit und können sich doch bei diesem temporeichen Kopfkino entspannen. Wunderraum sollte ein Mindestalter auf diesen Roman drucken und eine Warnung an die U-30er Mädels, deren Lebenswelt eine völlig andere ist. Es ist nie gut, zu weit in die Zukunft blicken zu können.

Allison Pearson gönnt ihrem Bericht skurriles Nebenpersonal und scheut sich nicht,  Klischees einzubauen. Das passt meistens gut, denn interessanterweise treffen diese im Alltag erstaunlich oft zu. Nur ab und an vergaloppiert sie sich ein wenig, wie hier, wo Kate zum X-Mas Konzert des Sohnemanns, hetzt um gemeinsam mit ihrem Gatten zuzuhören:

„Doppelt gut, dass ich zum Konzert gefahren bin, denn Richard war nicht da. Er schrieb mir, er hätte ein wichtiges Achtsamkeits-Treffen vergessen. Wie wäre es, wenn er seinem Kind mal etwas Achtsamkeit entgegenbringen würde?“

Den bitteren letzten Satz hätte sie sich zugunsten des Gags und im Hinblick auf mitdenkende Leserinnenschaft getrost sparen können. Doch das ist Nörgeln auf hohem Niveau. Allison Pearson schreibt für Frauen, doch weit über dem klischeehaften frauenromantypischem No-brain-no-pain-Usus. Sie schildert leicht, amüsant und luftig den Alltag einer Alleinverdienerin, die nach etlichen Jahren Pause versucht, wieder beruflich Fuß zu fassen, Tochter und Sohn heil durch die Pubertät zu begleiten,  sich um Mutter und Schwiegereltern zu kümmern und sich selbst dabei nicht völlig aus den Augen zu verlieren, und mit ihrer beginnenden Menopause zurechtzukommen. Ihr Mann ist dabei keine wirkliche Stütze:

„Richard irrte auf seiner Reise zur Selbstfindung durch einen dunklen Wald, wie Leute in unserem Alter es tun, hatte aber vergessen Brotkrumen zu verstreuen, damit ich ihm folgen konnte. Ich hatte keine Ahnung wo er war, und aufgehört es wissen zu wollen, vor allem weil er es anscheinend gar nicht merkte oder es ihn nicht kümmerte, dass ich nicht mehr nach ihm suchte.“

Nebenbei beschreibt sie eine warmherzige, ergreifende Lobeshymne auf die Liebe und die Freundschaften unter Frauen. Ehrlich, ohne andere Frauen, die uns zuhören, sich ab und an mit uns andudeln und rumalbern, könnten wir doch gar nicht überleben!

Loyalität, Solidarität, Zeit und offene Ohren und große Herzen – Mädels, ihr wisst wen ich meine – fühlt euch gedrückt. CHEERS!

Die witzige feministische Sicht auf unsere Gesellschaft, in der Gleichberechtigung zwar festgeschrieben aber immer noch nicht umgesetzt ist  – und es wohl auf lange Sicht noch nicht sein wird, obwohl wir im Westen schon viel erreicht haben  -,  mit der Pearson ihre Kate erzählen lässt ist das Erfrischende und Besondere an diesem Roman über Älterwerden, Liebe, Mutterschaft, Beziehungen und das verdammte, schöne alltägliche Leben, das manchmal so bittersüß und manchmal so dermaßen herausfordernd sein kann, dass wir gerne erst gar nicht morgens aufstehen möchten. Einfach liegenbleiben … nur einmal. Die meisten stehen, wie Kate, aber doch auf. Auch nach nur vier Stunden schlechtem Schlaf, kümmern sich und organisieren, machen weiter.

„Wenn’s weiter nichts ist“ ist gleichzeitig witzige Unterhaltung, Motivationstraining, die beruhigende Versicherung, dass wir nicht alleine sind, wir sogenannten Babyboomerinnen, und LachYoga. Denn ernsthaft, wer nicht älter werden möchte verpast alles was nioch kommt und das möchte ja keine die noch einigermaßen bei Verstand ist. Dann doch lieber in Würde  – und mit besserer Musik als einst auf der Titanic –  in wunderbarem Schwanengesang gemählich untergehen. Mit Genuss! Und vor allem mit viel, viel Humor, den darf Frau sich gerne bei Allison Pearson abholen. Wellnesslesen.

Buchdetails

  • Erscheinungsdatum Erstausgabe : April 2018
  • Verlag : Wunderraum
  • ISBN: 9783336547692
  • Fester Einband 480 Seiten

 

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