Der koreanischen Autorin Cho Nam-Joo ist mit Ihrer Sammlung zu acht Frauenschicksalen in Form von Kurzgeschichten wieder ein großer Wurf gelungen, denn diese sind so konzipiert, dass sie sehr unterschiedliche Aspekte vom Leben als Frau im patriarchalischen Gesellschaftssystem in Korea thematisieren und so geben sie gleichzeitig einen sehr guten Rundumblick über die Gesamtgesellschaft. Männer kommen nur als Randfiguren und Ausüber von patriarchalischer Gewalt vor, alles ist aus der Sicht der betroffenen Frauen geschildert. Dieses Setting hat mir ausgezeichnet gefallen.
Die erste Geschichte war schon mal furchtbar, im Sinne von verstörend gut. Sie zeigt das einsame Altern von Frauen in Korea. Zuerst haben sie sich für ihre vielen Kinder aufgeopfert, sowohl im Berufsleben hart gearbeitet als auch in der Freizeit im Haushalt dem Manne gedient, die Ausbildung der Kids mitfinanziert und die Kinder zu den eigenen Müttern gegeben, was zu einer recht großen Entfremdung führte. Anschließend haben sie ihre Enkel großgezogen, um die eigenen Kinder, die nun auch voll im Berufsleben schuften müssen, zu entlasten. Im hohen Alter können sie sich glücklich schätzen, wenn sie zumindest ein Enkel im Altersheim besucht. Da kriegt man wirklich Angst vorm Altern.
In Short Story zwei sind die Gewalterfahrungen mit den Vätern und Brüdern und die Vernachlässigungen von jungen Frauen von der gesamten Familie zugunsten ihrer Brüder so ähnlich, dass eine Autorin des Geschichtendiebstahls bezichtigt wird, als sie sich einen Ruck gibt und endlich auch mal ihre eigene Story aufschreibt.
In Geschichte drei lebt eine Familie nach dem Verschwinden des Patriarchen besser als je zuvor, plötzlich können sich alle entfalten und Beziehungen miteinander knüpfen.
Die titelgebende Story Miss Kim weiß Bescheid beleuchtet das Leben und die Ungleichbehandlung von Frauen in der Arbeitswelt. Zudem wird auch noch dezent und indirekt darauf hingewiesen, dass fast jeder Job in Korea durch persönliche Beziehungen, ergo durch die tägliche Kleinkorruption, vergeben wird.
In Geschichte fünf, die mir fast am besten gefallen hat, rechnet eine Frau mit ihrem toxischen Partner ab, der die patriarchalen Strukturen vollends verkörpert, indem er seine Freundin von allen Außenkontakten abriegelt, anschließend permanent kritisiert und sie schlussendlich quasi besachwaltert, bis sie jedes Selbstbewusstsein und Eigeninitiative verloren hat. Diesen Manipulations- und Kontrollzwang und die systematische Vernichtung jeglicher Identität seiner Freundin nennt er dann ernsthaft „Liebe“.
Du hast mich eingesperrt, kontrolliert, und mich heruntergemacht – alles unter der Behauptung, das sei Liebe – und mich ganz sicher nicht als Menschen respektiert. So hast du eine unfähige, unsichere Person aus mir gemacht. Du hast dich nicht um mich gekümmert, weil ich zu dumm war; du hast mich erst zu jemand Dummem gemacht, indem du dich um mich „gekümmert“ hast. Hat es dir Spaß gemacht, mich als unfähig zu bezeichnen und nach Lust und Laune zu manipulieren? Danke für den Heiratsantrag. Sonst wäre ich nie darauf gekommen, Kang Hyunnam, du Arschloch!
In Geschichte sechs beginnt eine sehr innige Beziehung zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter, sobald die Männer nicht mehr anwesend sind.
In der siebten Geschichte geht es um sexuelle Belästigung von Mädchen in der Schule, wie solche Vorfälle zugunsten der zukünftigen Karriere der männlichen Täter von den Verantwortlichen unter den Tisch gekehrt werden und wie sich die Mädchen dann wehren. In der letzten Story wird von einer jungen Liebe in der Schule erzählt, die durch die Isolation während Corona in die Brüche geht.
Hiermit schließt sich dann auch die Klammer von der ersten Story, in der die älteste Frauengeneration thematisiert wird, bis zur jüngsten Generation. Das ist grandios gemacht.
Fazit: Lesen! Großartig! Schön langsam steigt bei mir das Grauen auf, wenn ich meine fünf besten Neuerscheinungen des Jahres herausfischen und besprechen soll, denn dieses Buch gehört auch auf die Liste, auf der mittlerweile schon mindestens acht Bücher stehen.
Miss Kim weiß Bescheid von Cho Nam-Joo ist im Verlag Kiepenheuer&Witsch als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.
@Linnea ja das ist es wirklich 🙂
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Das ist aber ein sehr interessantes Thema;)
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