Geplauder aus dem Boudoir eines alten weißen Mannes

Eines muss ich dem Autor lassen, er hat mir wirklich recht tiefe Einsichten in das Leben eines alten weißen Mannes mit all seinen Arschlochansichten, Strategien, Meinungen, die er anderen aufzwängt, politischen Ausrichtungen und Entwicklungen, seinem Lebensstil, seinen Lebenskrisen und seinen Wehwehchen verschafft. Die Frage ist aber: Ist dieser Prototyp für mich überhaupt interessant und spannend genug, um als Hauptfigur eines Romans fungieren zu können? Dabei muss auch noch dazu gesagt werden, dass dieser Dr. Johannes Lohmer eher sehr liebevoll und viel zu wenig bissig-kritisch gezeichnet wurde. Ich hätte ja eher eine bitterböse Abrechnung mit so einer Figur erwartet, und nicht so einen leichten bis seichten Kuschelkurs. Die Vorfreude und die Erwartung einer bissigen Satire hat mich erst zu diesem Roman greifen lassen. Ich fürchte aber, der Autor, Jahrgang 1959, also auch Boomer, hat viel zu viel Empathie mit solchen Figuren, die einer romantechnischen Hinrichtung, ob deren Vorfreude ich mir schon die Hände gerieben habe, einfach entgegensteht.

Dabei möchte ich sagen, dass die Beschreibung richtig treffend und gut ist, aber sie ist halt definitiv ob ihrer Liebenswürdigkeit nichts für mich, sondern vielleicht etwas für die Generation Greta, die Opi wirklich kennenlernen möchte. Denn ich will zumindest fiktiv und literaturtechnisch Blut sehen und keine Gnade walten lassen. Mir als Frau und Jahrgang 1968 ist jegliches Einfühlungsvermögen und positiver Blickwinkel für diese Figuren abhandengekommen, müssen wir uns ja eh täglich im Job und sonst überall ungefragt all die tiefschürfenden und wichtigen Befindlichkeiten dieser Leute permanent anhören, wenn sie wieder einmal ein Schas (Pups) zwickt. Die Tage, an denen ich online oder real nicht gemainsplaint werde, indem mir von meist völlig fremden alten weißen Männern mein Job, mein Körper, meine Stadt und manchmal sogar mein Frau-Sein erklärt werden, kann ich in einem Jahr an meinen Händen abzählen. Aber so ist es halt, wenn man als Frau online viel unterwegs ist.

So, nach meiner kurzen Positionsbestimmung, damit Ihr meine möglicherweise nicht ganz faire Kritik einordnen könnt, zurück zur Geschichte. Dr. Johannes Lohmer, Boomer, alter weißer Erklärbär, Journalist, Blogger, Schriftsteller und Jugendforscher, gegenwärtig noch immer ob seines letztangeführten Jobs ordentlich in einer nie enden wollenden Midlifecrisis befindlich, soll ein Buch über die Generation Greta schreiben, aber diese redet nicht mit ihm. Er braucht aber unbedingt Informationen aus erster Hand mittels Interviews und versucht daher verzweifelte Annäherungsversuche an die Kids, indem er seine Freunde verpflichtet, ihm Zugang zu ihren Enkeln zu verschaffen. Im Zuge seiner Recherchen bahnt sich nebenbei ein heftiger Flirt mit einer 25-jährigen Influencerin an, die für seine Stichprobe aber schon viel zu alt ist. Als seine schöne, herzeigbare, sehr pragmatische Frau etwas wittert, schickt sie ihn in die Abgeschiedenheit eines Klosters zum Heilfasten und damit auch gleichzeitig zum Online-Fasten ins kommunikationstechnische Nirwana 😂.

Dann werden ziemlich breit einmal die Boomer-Ansichten ausgewalzt. Der Protagonist ist ein ziemlicher Arsch, bezeichnet sich selbst als kritischer Linker, steht aber stattdessen mittlerweile ganz schön weit rechts von Attila dem Hunnenkönig. Er verehrt Sebastian Kurz, seine geilo-kleptokratische Buberlpartie in der Regierung, steht auf den slim-fit-Kleidungsstil von Kurz und seine ganze Attitüde. Lohmer findet #metoo und Feminismus total daneben. Er geht sogar so weit, dass er Woody Allen als Opfer einer Intrige seiner verrückten Frau sieht. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, Allen ist ein Mensch, der ganz sicher zumindest eine Adoptivtochter missbraucht hat, da hilft es auch nichts, wenn er sie nachher geheiratet hat, und seine Stieftochter beschuldigt ihn ebenso des Missbrauchs.

Auch sonst erfahren wir einige Liveberichte aus Lohmers Midlife-Crisis: Das Fitnessstudio, das seinen Gesundheitszustand sogar verschlechtert, anstatt ihn zu verbessern. Der Flirt mit der minderjährigen Enkelin seines Freundes, in dem er sogar viel zu weit geht, als er sie küsst. Der ständige Schwanzvergleich durch die neuesten technischen Geräte wie E-Roller, Handys etc, um ein Grufti-BOBO-Hipster-Image aufzubauen, sein beklopptes Klammern an ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor in Form eines ohnehin nicht wirklich funktionierenden Wartburgs, für das ich zwar ein Fünkchen Verständnis hätte, wenn er auf dem Land leben würde, aber doch nicht in Wien, einer Stadt mit einer der besten Öffi-Infrastrukturen der Welt, in der man überhaupt kein Auto braucht. Sein Beibehalten der Berliner Wohnung, denn schließlich ist er ja Deutscher.

Als sein Bruder an Corona stirbt, setzt er sich gedanklich nicht gerade sympathisch mit dessen politischen Ansichten auseinander, weil dieser ein Linker geblieben ist und Lohmer so etwas als sehr dumm und unintelligent bezeichnet. Anschließend wird alles weggewischt und der Protagonist kreist wieder um sich selbst, schiebt Panik, bis er eine Impfung erhält, selbstverständlich schon im Jänner durch Vordrängeln in Form einer medizinischen Studie, die er sich durch seine hervorragenden Kontakte zu Freunderln aus dem österreichischen Gesundheitswesen gerichtet hat. Zwischendurch genießt er satt wie die Made im Speck den Lockdown mit seiner Frau in der schönen Wohnung in Wien und reicht selbstverständlich ganz ohne Not und mit leichten kriminellen Mitteln durch Überlistung des Geotaggings in Deutschland Corona-Härtefallauszahlungen ein.

Unterdessen, selbstverständlich nach der Impfung, als er safe und seine Corona-Angst abgeebbt ist, trifft er sich konspirativ mit der 17-jährigen Enkelin seines Freundes entgegen allen Kontakt- und Abstands-Regeln auf einer Parkbank und freut sich diebisch darüber, wenn er den Ordnungshütern ein Schnippchen schlagen kann. Zu diesem Zeitpunkt verwandelt sich die Schwärmerei zur Jugendlichen auch in das schon erwähnte unangemessene Verhältnis. Lohmer versucht während des Corona-Lockdowns, weiter Kontakt zu seiner Zielgruppe der Generation Greta aufzubauen, stellt sich aber so inkompetent an, dass ich mich wirklich frage, wie man ein gar so untauglicher Jugendforscher sein kann, der die jungen Leute in Wien während des wirtschaftlichen Shutdowns nicht findet. Zuerst probiert er es im Prater. Klar ist da niemand, da alle Buden und Fahrgeschäfte zu haben, dann im Stadtpark, wo schon immer die Pensionisten auf den Bankerln saßen. Hat er noch nie was vom Donaukanal gehört? Dort waren bis vor Corona viel öffentlicher konsumfreier Raum und Graffitikünstler und dort befand sich auch schon immer die Jugend von Wien, was sich auch gegenwärtig und zukünftig nicht ändern wird.

Als das ermogelte Geld endlich da ist, muss natürlich ein neues Auto her, denn sonst hat er ja sowieso genug finanzielle Mittel und alles, was er braucht. Den alten Wartburg möchte er Gregor Gysi verkaufen und fährt deshalb mit einem Freund nach Berlin, was plottechnisch in einem schrägen Roadtrip ausartet. Das Leben plätschert so dahin, von der ersten Coronawelle über die Lockerungen fast zur zweiten Welle. Am Ende erlebt er noch live den islamistischen Terroranschlag, der am Tag vor dem zweiten Lockdown in Wien auch in der Realität stattfand. Ich bin eigentlich ein bisschen böse auf den Autor, weil er seine Fantasie und die perfekte Gelegenheit nicht beim Schopf ergriffen hat, diese nutzlose Figur einfach bestialisch umzubringen. Verdient hätte er es, der Herr Lohmer.

Was mich in diesem Roman auch stört, ist nicht die Charakterisierung des widerlichen Boomers, denn die ist sehr exakt, sondern dass die Beschreibung der asozialen Taten einfach nicht gemeiner und bissiger ausgefallen ist. Ganz selbstverständlich werden Privilegien in Anspruch genommen, teilweise auch durch Korruption erlangt, und das wird so lapidar und menschlich – mir kam manchmal sogar vor – ein bisschen liebevoll beschrieben, als ob so ein Verhalten das normalste auf der Welt sei. So als sei dieses Gehabe und diese Einstellung fast so etwas wie Popkultur. Ich hatte das Gefühl, der Autor hegt zu viel Sympathie für seine Figur, und das hat mir einfach nicht so gut gefallen. Aber wie gesagt, vielleicht bin ich in diesem Falle durch mein Aversionslevel gegen solche Charaktere etwas ungerecht und dünnhäutig.

Fazit: Gute Beschreibung eines alten weißen Mannes Marke Boomer, Erklärbär und Opi-Arschloch, die für mich von der Tonalität der Beschreibung her viel zu wohlwollend und daher zu seicht geraten ist. In dem Fall hätte ich mehr Biss, Ironie und Hinterfotzigkeit gebraucht.

Sterben war gestern von Joachim Lottmann ist 2021 im Verlag Kiepenheuer&Witsch als Paperback erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.

2 Gedanken zu “Geplauder aus dem Boudoir eines alten weißen Mannes

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