Der dritte Mann war nur Kulisse

Wien und London als Setting, da muss der Plot schon echt schlecht sein, damit ich nicht dabei bleibe 😉 Sowieso kein Thema bei diesem Buch hier, denn das hat es geschafft, mich von Anfang an zu fesseln. Nicht auf eine psychothrillermäßige „Fingernagelabkau-Weise“, sondern auf eine angenehm spannende, im Bauch kribbelnde „Ichwillweiterlesen-Art“.

Ihren Ausgang nimmt die Geschichte in New York (einer dritten Lieblingsstadt von mir, aber hallo!), wo wir als Lesende den britischen Geschichtsprofessor Hunt begleiten, der auf Recherchereise in die USA einreisen will, aber am Flughafen stecken bleibt. Wegen einer flapsigen Bemerkung dem amerikanischen Zollbeamten gegenüber hat man ihn zur Deeskalation in eine Arrestzelle gesteckt. Das britische Konsulat schickt Emma Spencer, um ihn da wieder rauszuholen und innerhalb kürzester Zeit ist klar, Hunt wurde nicht wegen seines kleinen sozialen Ausrasters aus der Warteschlange gezogen, sondern weil bei ihm zu Hause in London, leider genau in seiner Wohnung, ein Mord geschah. Emma Spencer ist auch keine Mitarbeiterin des britischen Konsulats, sondern des MI6, also des britischen Geheimdienstes. Als möglicher Tatverdächtiger darf Hunt nicht in die USA einreisen, sondern muss direkt wieder zurück nach London fliegen, was ihn nicht gerade einnimmt für Emma Spencer …

Schnell zeigt sich, dass Hunt als potentieller Mörder ausgeschlossen werden kann, da der Mord zu einem Zeitpunkt geschah, als der Professor friedlich dösend im Flugzeug gen New York saß.

Seine historische Neugier ist jedoch geweckt und sein wissenschaftlicher Ehrgeiz angestachelt, denn schließlich ist der Nachbar Gerald Fraser in seiner Wohnung getötet und ein Teil der Fensterbank im Wohnzimmmer aufgebrochen worden – ganz offensichtlich, weil dort etwas Wichtiges versteckt worden war, was nun verschwunden ist. Musste der alte Mann sterben, weil er diesen Gegenstand aus der Wohnung holen wollte oder hatte er vielleicht jemanden beim Einbrechen gestört und dies mit seinem Leben bezahlt?

Vieles deutet auf Verbindungen in die Vergangenheit, denn die Wohnung, in der Hunt lebt, hatte früher einer wichtigen MI6-Agentin namens Daphne Parson gehört und in ihrem Umfeld muss zu ihrer aktiven Agentenzeit etwas vorgefallen sein, was den Tod Gerald Frasers nach sich gezogen hat.

Karina Urbach lässt geschickt zwei Zeitstränge nebeneinander herlaufen, der eine spielt in der heutigen Zeit in London, in dem Emma Spencer und Professor Hunt die Vergangenheit zu rekonstruieren versuchen, der andere im Wien der späten Vierzigerjahre des letzten Jahrhunderts, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In diesen historischen Strang packt Karina Urbach ihr ganzes Wissen über die Geheimdienste und ihre Arbeitsmethoden, das sie als Historikerin im Lauf der Zeit durch ihre Arbeit in Deutschland, Großbritannien und den USA angesammelt hat. Sehr fundiert, atmosphärisch dicht und emotional packend beschreibt sie die Vorgeschichte dessen, was schließlich zur Ermordung Gerald Frasers führte. Neben vielen spannenden Fakten über das Nachkriegswien kriegen wir Lesende hier auch interessante Protagonisten mit unterhaltsamen sozialen Beziehungen.

Diesen Krimi im Agentenmilieu würde ich allen als Reiselektüre empfehlen, die Urlaub in Wien oder London planen, da er die jeweiligen Städte schon vor dem inneren Auge entstehen lässt, was sehr atmosphärisch wirkt, auch wenn es das Wien der Nachkriegszeit und das London mit einem fiktiven Platz (Gordon Place könnt Ihr lange suchen, den gibt es nicht) so nicht (mehr) gibt. Dann würde ich es allen Freunden der gepflegten Krimiunterhaltung ohne Thriller-Elemente ans Herz legen und dann noch all den Fans des Filmklassikers „Der dritte Mann“ von Graham Greene, denn der spielt hier im letzten Drittel des Buches eine entscheidende Rolle!

Fazit: Ein gelungener Krimi mit historisch verbrieften Facts und viel Atmosphäre.

„Das Haus am Gordon Place“ von Karina Urbach erschien im März 2024 im Limes Verlag. Mehr Informationen gibt es über einen Klick auf den Verlagsnamen oder das Buchcover.

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