Gleich in der ersten Jännerwoche des neuen Jahres hat mich dieser Roman zuerst schwer begeistert und anschließend sogar berührt. Thomas Mulitzer brennt in seinem zweiten Werk bereits zu Beginn ein Feuerwerk grandioser Ideen ab, die auch noch derart mit schwarzem Humor garniert werden, dass ich mich schon auf Seite 18 mehrmals vor Lachen zerkugeln musste. Eigentlich sollte diese Neuerscheinung noch zu den Büchern von 2021 gezählt werden, ich bin aber einfach nicht mehr dazugekommen, alle Rezensionsexemplare zu lesen. Macht aber überhaupt nix! So qualifiziert sich „Pop ist tot“ einfach gleich mal für meine Bestenliste von 2022.
Der Protagonist, ein alternder, in den neunziger Jahren mittelmäßig erfolgreicher Punkrock-Musiker, ist in der Gegenwart im biederen, spießigen, geregelten Arbeitsleben angekommen. Irgendwann muss man halt auch erwachsen werden. Aber dass er ausgerechnet beruflich auch noch in der Hipster Hölle landen musste, ist als Einstiegsszenario gar köstlichst konzipiert. Als einziger männlicher Mitarbeiter im Content Management einer extrem angesagten feministischen Agentur mit New Work Organisationsstruktur muss er die ALT-Tags von Bildern in Online Shops befüllen. Diesen technischen HTML-Programmiercode liest eh keiner außer Blinde, deren Braille Interpreter die kleinen Anmerkungen phonetisch übersetzt. Das ist seine kleine, tägliche, fiese, anarchische, armselige Rebellion ohne Sinn und Verstand: Er stiftet mit pöhsen Wortkreationen Verwirrung bei sehbehinderten Menschen.
Neben Geschlechtsorganen und deutschen Diktatoren österreichischer Herkunft habe ich mich in letzter Zeit vor allem auf vollkommen sinnbefreite, zusammenhanglose Begriffskombinationen spezialisiert: […] Ich stelle mir Blinde im Shoppingrausch vor, die vor ihren Screenreadern hocken und sich Bildbeschreibungen vorlesen lassen wie „epileptische Autobahn-Matratze“, „Ping Pong-Penis“, „Papst Benedikt XVI. in roten Dessous und Springerstiefeln“ oder „Bauchnabelexplosionskomitee“ und dabei vollkommen den Glauben an die visible Welt verlieren.
Früher habe ich mich über die Leute lustig gemacht, die nie aus ihrer Led Zeppelin oder Grateful-Dead-Phase herausgefunden haben. Das waren ergraute Männer in ungewaschenen Bandshirts mit den Tourdaten vergangener Jahrzehnte am Rücken, die immer noch lange Haare hatten, obwohl die Geheimratsecken und die Tonsur lauthals eine Kahlrasur forderten. Steht mir dasselbe Schicksal bevor? Wenigstens hatte ich nie einen Iro.
Zu Beginn der Geschichte taucht nach Jahren der alte Bandkumpel Günther auf, wirft dem Protagonisten sein angepasstes Leben um die Ohren und will die alte Punkband wieder zusammentrommeln. Spätestens hier mutiert die Geschichte zum Road-Trip und hat jetzt was von Blues Brothers, wobei die Gruppe nicht im Namen Gottes, sondern im Namen von Jugend, Anarchie, Krawall, Alkohol und Drogen eine Reunion vollziehen soll. Auch für eine Tournee ist schon gesorgt. Die Band Pop ist tot wird im Vorprogramm der modernen Punkband Superschnaps spielen. Dass hier bei den Konzerten zwangsläufig auch die Generationen von Fans aufeinanderprallen werden, ist natürlich im Setting ganz vortrefflich geplant.
Der Rest der Band lässt sich auch recht leicht überreden, aus dem Alltagstrott auszusteigen. Bassist Branko braucht ohnehin eine kleine Auszeit von seinem Leben als erfolgreicher Schlagerproduzent und Hansi, respektabler Bürger der Gesellschaft, Ehemann einer erfolgreichen Juristin, Vater und Startup-Gründer langweilt sich auch schon ewig in seiner Spießervilla im Homeoffice. Nach ein paar Lagerfeuergeschichten über die geile alte Zeit und Rückblenden in die Punk-Vergangenheit steht fest: Pop ist tot ist wieder on tour.
Dabei ist das ganze Unterfangen in der Realität der Straße gar nicht so einfach, wie es sich ursprünglich darstellte. Einige der Gruppe haben kaum mehr Übung im Spielen der Instrumente, die Stimme des Protagonisten ist auch ganz schön eingerostet und die alternden Knochen tun bei der ungewohnten intensiven Bewegung auf der Bühne ordentlich weh. Aber kein Problem, mit ein bisschen Verleugnung, Training und Cola-Rotwein als Schmiermittel, kommt die Sache nach und nach auf Touren.
Wenn man jahrelang kein Kalimoxto getrunken hat, ist der Magen auf diesen Schock nicht vorbereitet. Dementsprechend beschissen fühlt man sich am Tag danach. Mein Herz galoppiert noch immer wie ein Skatepunk-beat, ich bin heiser und mein Schädel dröhnt. Der Rotwein hat einen pelzigen Geschmack im Mund hinterlassen, es fühlt sich an wie Schimmel, der am Gaumen und an der Zunge wuchert. Ich muss husten und ersticke fast dabei. Ich brauche Wasser.
Ab diesem Zeitpunkt werden die Gags rarer und die Tonalität der Geschichte nachdenklicher, fast schon sentimental, denn die Tour ist eben doch anders als jene in der Vergangenheit. Der Elan der Jugend mit Krawall und Anarchie lässt sich nur rudimentär zurückholen. Sehr charmant, aber auch ein bisschen peinlich sind diese vier Opas, die die Zeit und ihr Alter notfalls mit Gewalt beharrlich bezwingen wollen. Dass so etwas nicht gutgehen kann, liegt auf der Hand … . Hier wird der Roman auch von der Geschwindigkeit langsamer und weniger spritzig, für mich zeigt er nun aber seine eigentliche Qualität in der Tiefe.
Die Fabulierkunst von Thomas Mulitzer durfte ich schon in seinem Roman Tau (als er die Geschichte Frost von Thomas Bernhard weiterführte) preisen. Auch in diesem Roman brilliert er mit gar trefflichen, bitterbösen, gesellschaftlichen Analysen und großartigem Sprachwitz. Wenn der Satz: „Pop ist tot ist tot“ auch noch korrekt ist, weiß man, wie gut der Autor mit Wörtern zu spielen vermag.
Noch ein kleiner Exkurs gefällig, warum die Band Pop ist tot heißt?
Der Hansi: „Es heißt immer Punk ist tot, also wollten wir den Popfuzzis mal zeigen, wie sich das anfühlt.“
Die darauf folgende philosophische, sehr lange Diskussion in der Art von Schrödingers Katze, warum Pop und Punk tot, beziehungsweise eben nicht tot sind, war der vergnüglichste, witzigste, klügste und gleichzeitig logisch herleitbar bekloppteste Dialog (im humorvollen Sinne), den ich in letzter Zeit gelesen habe. (S. 161-162 für jene, die reinschnuppern möchten)
Fazit: Sensationell! Für alle in die Jahre gekommenen, abgehalfterten Punk- und Rockfans mit Problemen im Rücken und irgendwo im Unterbewusstsein vergrabenem Anarchieareal, die nur noch geistig Pogo tanzen, so wie ich, weil sie für den Scheiß in der Realität schon zu müde, alt und fertig sind, ein MUST-Read, für den Rest ein literarisch anspruchsvoller, höchst vergnüglicher Road Trip.
Pop ist tot von Thomas Mulitzer ist 2021 im Verlag Kremayr und Scheriau als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.
@thursdaynext Du hast völlig Recht in mehrerlei Hinsicht 1. Das Buch ist auch für Rockfans geeignet. 2. beim Punk macht es wirklich nicht so viel aus, wenn man die Instrumente und die Stimme nicht mehr so beherrscht, einzig der Einsatz zählt 3. Ich glaub auch, dass das Dein Humor ist. Liebe Grüße retour von einem Süden der höchstwahrscheinlich südlicher von Deinem Süden liegt und grad ordentlich verschneit ist. 🙂
LikeGefällt 1 Person
Punk, mal abgesehen von den Dead Kennedys, war nie meins, wahrscheinlich ist es gar nicht schlimm, dass die Bandmitglieder ihre Instrumente nicht beherrschen, gehört zum Musikstil doch eigentlich dazu, trotzdem scheint das ein Roman für mich zu sein, kann man das auch als Blues- und Altrockliebhaberin (yep, Led Zep ist geil und Pink Floyd die Größten und John Lennon ein Hero und Cat Stvens geht immer und Queen und Buddy Guy sind die besten) lesen, die Zitate jedenfalls sind mein Humor. Danke dir für die begeistert(nd)e Besprechung, kommt auf die schon wieder heftig anschwellende Liste. Grüße aus dem januarig ekligen Süden
LikeGefällt 2 Personen