Spiel mit den Ebenen

Kermani_25276_BS_MR.inddEin Schriftsteller hält eine Lesung zu seinem zuletzt erschienenen Buch. Ein Roman, der offensichtlich autobiographische Züge trägt und von seiner kurzen, für den Autor aber unvergesslichen, Jugendliebe handelt. Jutta nennt er die junge Frau, die eigentlich anders heißt. Plötzlich steht sie vor ihm, hält ihm ihr Buch zum Signieren hin, spricht ihn an: „Aber nicht für Jutta.“

Von diesem Zeitpunkt an geht die Konzentration des Autors flöten, er spult das Signierprogramm ab und bittet Jutta zu warten. Üblicherweise folgt der Lesung ein Abendessen mit den Veranstaltern, Jutta wird dazu geladen. Während der Autor sich fragt, ob Jutta sich in der wohl ungewohnten Umgebung wohl fühlen wird und denkt, sie müsse sich vor allem für sein Schaffen, seinen Erfolg, die eben erlebte Lesung interessieren, dreht sich die Situation. Er, der den Abend über im Fokus war, steht plötzlich am Rand und sieht zu, wie Jutta jovial und professionell alle Beteiligten einbezieht. Das Themenspektrum der Unterhaltung ist breit gefächert, Lesung und Buch, und damit die Karriere des namenlosen Schriftstellers, treten in den Hintergrund. Im Laufe der Unterhaltung wird klar, Jutta ist Bürgermeisterin des Ortes …

Navid Kermani spielt in Sozusagen Paris ein mehrfaches Spiel der Ebenen. Von Anfang an lässt er die Leser im unklaren, ob Jutta nun tatsächlich die unvergessene Jugendliebe des Schriftstellers – vielleicht sein Alter Ego? – ist und vervollständigt diese Verwirrung noch mit Einschüben und Verweisen auf die großen französischen Eheromane. Denn es geht – tut es das wirklich – zunächst ja um die Liebe, so ganz allgemein gesprochen. Beziehungsweise darum, was daraus werden kann, in einer Ehe. Im Falle Juttas, ist alles nicht ganz so rosig, wie es begann.

All das erfährt der geneigte Leser, der teilhaben darf an einer durch diskutierten Nacht und sich nicht vorzeitig verabschiedet. Kermani lässt Juttas Zweifel, Klagen und Hoffnungen, die sie ihrem früheren Freund ungefiltert darbietet genauso auf den Leser einprasseln. Das ist – und da spreche ich ganz direkt als Frau – manchmal anstrengend bis nervig. Denn Jutta jammert, und das ist ihr bewußt, auf hohem Niveau. Andererseits kann man diese Erzählungen, die vom Jugendfreund immer wieder mit Zitaten aus den großen französischen Eheromanen kommentiert werden, auch als Rahmen für ebendiese Verweise sehen.

Damit wir uns recht verstehen: Sozusagen Paris ist ein eloquent geschriebener, flüssig zu lesender, klug konstruierter Roman. Erreichen konnte er mich trotz alledem nicht. Die Figur der Jutta hat mich als Frau ungeduldig gemacht, der Autor, der mir anfangs eher egozentrisch und unsympathisch erschien, gewann mit der Zeit. Der Plot war für mich nicht wirklich einer. Aber das sehen andere anders.

Zu viert haben wir das Buch gemeinsam gelesen bzw. gehört und das Urteil fiel zwei zu zwei aus. Wer eine positivere Stimme zu diesem handwerklich hervorragend gemachten Buch, von dem ich mich nicht abholen ließ, hören möchte, sei auf die bereits auf dem Blog unserer früheren Mitverschwörerin und gerne gesehenen Gastrezensentin Letteratura verwiesen.

Im Gedächtnis bleibt mir dieser Roman wohl noch länger – und das mit der Frage, die ich selbst für nicht sehr befriedigend halte, mir aber immer wieder stelle: Was, bitte schön, will mir der Autor damit eigentlich sagen?

Buchdetails:

  • Aktuelle Ausgabe : 26. September 2016
  • Verlag : Carl Hanser
  • ISBN: 978-3-446-25276-9
  • Gebunden: 224 Seiten

12 Gedanken zu “Spiel mit den Ebenen

  1. Ah, genau das meide ich gerade. Nichts was mich noch mehr entnervt. Geistiger Winterschlaf sozusagen *G*

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  2. Lies den Jonathan Safran Foer. Begeistert mich gerade. Selbes Thema, ebenfalls intellektuelle Herangehensweise, doch er hat Satzschätze, Humor der ankommt und dennoch leise daherkommt. Der Mann kann schreiben und Leser mitnehmen. Ist halt ein Ami *G* Die (meisten) deutschen Autoren können hier noch gut dazulernen.

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  3. Exakt. Aber nicht nur bezogen auf die Welt die gerade verrückter als üblich und das auf die besonders unangenheme Art ist sondern, auch und in erster Linie auf den Roman, der zwar an der Lebenswirklichkeit nicht weniger Teile der Bevölkerung sicher nah dran ist, dabei die Luxusproblemchen fein und gekonnt feuilletonreif illustriert und und dabei so elitär nichtssagend bleibt. Witzigerweise wird mir der Roman im Gedächtnis bleiben weil ich mich dermassen darüber geärgert habe, weil es Kermani sicher möglich gewesen wäre das Thema besser zu verpacken, interessanter ( jetzt kommt mir gerade der Gedanke, dass die Tristesse des Buches beabsichtigt war? ) Wie man es auch deuten mag; es ist auch eine Möglichkeit sich ins Lesergedächtnis zu brennen 😉

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  4. Ähem, ja Hirnwichserei – entschuldigung, dass ich es jetzt hier so schreibe, das ist sonst nicht meine Art, aber ja, das war es für mich und für Dich. Vielelicht auch deshalb, weil die Welt gerade so verrückt spielt und das, was inhaltlich in diesem Buch passiert so nebensächlich wirkt, neben dem alltäglichen Irrsinn.

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  5. Das mag sein, aber ehrlich gesagt wirkt dieser Roman so einzeln komponiert auf mich, dass es das nicht brauchen dürfte. ER wird ja sehr häufig sehr gelobt … vielleicht habe ich ihn einfach nicht verstanden. Handwerklich, sprachlich, konzeptionell alles eigentlich erste Sahne, nur war er für mich … nichtssagend. Die Figuren stereotyp. Keine Ahnung, was ich damit anfangen soll – und das merkt man der Besprechung denke ich auch an. LG, Bri

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  6. Vielleicht kann man mehr mit dem Roman anfangen, wenn man den „ersten“ Teil „Große Liebe“ liest. „Sozusagen Paris“ ist wohl eine Fortsetzung davon. Allerdings konnte ich mit dem auch schon nichts anfangen und habe ihn nach wenigen Seiten weggelegt.
    Viele Grüße!

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  7. Mir hat er auch nichts gesagt, obwohl so viel gesprochen und gedacht wurde. Mopserei auf hohem Niveau, und wofür? Mir wurde als einzige Figur der eigentlich wenig sympathische Lektor ans Herz gelegt. Nach Beendigung deiner Rezension habe ich mich erneut über die vertane Zeit geärgert. Wir hatten uns bei der Unterhaltung über diesen Roman, glaube ich im Begriff Gehirnmasturbation wiedergefunden. Weniger euphemistisch umschrieben trifft dieses Wort immer noch exakt mein verärgertes Empfinden.

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