Die American Gods als Directors Cut – 10 jährige Jubiläumsauflage

Dieses Werk ist aus mehreren Sichten einzigartig, da es einerseits im Fantasygenre die mythologische Welt der Götter beleuchtet und andererseits als realistischer Road-Roman ein wunderbar detailliertes Sittenbild des gegenwärtigen ländlichen Amerikas zeichnet.

Wer vermutet, dass diese zwei Sichtweisen nichts miteinander zu tun haben und nur als stilistischer Gag zusammengefügt wurden, irrt gewaltig. Neil Gaiman hat sich selbst als britischer Emigrant die amerikanische Kultur und Seele durch die alten Götter der eingewanderten Einwohner der USA erschlossen, die offensichtlich mehr zu den Gebräuchen und dem Armerican Way of life beigetragen haben, als gemeinhin bekannt ist.

Die Hauptprotagonisten, die diesen Roman bevölkern, sind vor allem die alten nordischen Gottheiten – die Asen, die die Briten und Deutschen (Angelsachsen und Germanen) in ihren Köpfen nach Amerika mitgebracht haben. Die Götter leben auch noch heute in dieser Welt, solange irgendein Mensch an sie glaubt, sind sie schwer umzubringen. Aber auch Kobolde, Zwerge, Trickser, indianische Naturgötter, afrikanische, griechische, ägyptische, slawische Götter, Amazonen, Hexen, Vampire usw. werden völlig authentisch und mit ihrem mythologischen Hintergrund perfekt in die Geschichte und die Handlungsstränge eingefügt.

Demgegenüber stehen die modernen Gottheiten, die heutzutage massiv angebetet werden, wie Media (die Göttin des Fernsehens), der dicke  Junge (Gott des Internets und der Technik) und Mr. World inkl. seiner schwarzgekleideten Handlanger, die immer in Regierungsbehörden gearbeitet haben, die nur aus ein paar Buchstaben bestehen.

Zwischen allen Fronten steht der Held Shadow, der Schatten (gleichbedeutend die Seele des Menschen) mit seiner bereits verstorbenen Frau, der zwar für Mr. Wednesday (Odin) arbeitet, aber auch von der anderen Seite massiv umgarnt wird. Nach einem Gefängnisaufenthalt kommt er in Kontakt mit den menschlichen Inkarnationen der Götter und reist sowohl in der realen Welt durch Amerika als auch zu den mythologischen Unter- bzw. Zwischenwelten und nimmt an der sich abzeichnenden finalen Schlacht zwischen alten und neuen Göttern teil.

Wundervoll sind die Gegensätze in diesem Roman. Shadow lernt auf seiner Reise echte amerikanische Landeier kennen und lieben und parliert Stunden später wieder mit einem Gott über Leben und Tod, Religion und Glauben.
„Sag ihm, dass Sprache ein Virus ist und Religion ein Betriebssystem und Gebete nichts anderes als Spam.“ (Gott der Technik).

Einiges im Plot war für mich kaum überraschend, denn mein zweites Buch, das ich als Kind nach Winnie Puuh besessen habe, war ein dicker Wälzer mit nordischen Götter- und Heldensagen. So konnte ich natürlich all jene Götter schnell identifizieren, die Verräter auf beiden Seiten der Kriegsparteien sind, weil ich ihre Geschichte nur zu gut kannte. Andere Figuren & Fakten waren mir jedoch völlig unbekannt, wie z.B. Bilquis, die eine fabelhafte Sexszene in diesem Buch hat, indem sie ihr Menschenopfer während des Aktes verschlingt, oder dass der Vorname Elvis vom nordischen Zwerg Alvis abstammt. Ich liebe es, während des Lesens Neues zu lernen und die mythologischen Stories nachzurecherchieren.

Auch die Geschichte der Kleinstadt, in der Shadow zwischendurch wohnt, erfährt zum Ende des Buches noch eine großartige überraschende Krimi-Wendung. Eigentlich wurden für mich alle offenen Fragen und Handlungsstränge Schritt für Schritt beantwortet und aufgelöst… bis auf eine Frage…..

Allen, die bereits in den letzten 10 Jahren das Original von American Gods gelesen haben und die sich fragen, ob die Jubiläumsausgabe anders ist, sei gesagt: Ja, der Directors Cut ist um 12.000 Wörter länger, also gibt es einige Kapitel mehr. Ist das Buch dadurch besser geworden? Ja und Nein. Einige Geschichten und teilweise ganze kurze Kapitel haben mit dem eigentlichen Plot nix zu tun und erzeugen unnötige Längen. Selbst ich, die gar nichts von Lektorat versteht, hätte diese Szenen schnell identifiziert und gestrichen.

Andererseits wird im Nachwort meine letzte offene Frage beantwortet. Wenn fast alle alten Götter zumindest als Randcharaktere bei der finalen Schlacht vorkommen, warum fehlen dann die uns so wichtigen monotheistischen Religionsfiguren wie: Jahwe, Gott, Allah, Jesus, Mohammed?

Achtung Spoiler!! 
Im allerletzten Kapitel der neuen Ausgabe  – als Bonustrack im Anhang – führt Shadow, als er sterbend an einem Baum hängt, ein wundervolles Gespräch mit Jesus über das Leiden und wie die Vorstellung der Menschen von einem Gott diesen sehr oft zu seinem Nachteil verändert. Alleine wegen dieser Szene hat sich der Directors Cut für mich rentiert.

Fazit:
Ein wundervolles Werk, das man sowohl als Fantasygeschichte an der Oberfläche genießen kann, das aber auch zum Recherchieren und Nachdenken anregt. Weiters stellt der Roman ein großartiges Sittenbild des modernen Amerika dar und beschreibt das Leben in den ländlichen Bundesstaaten weit besser, als die Werke von so vielen hochgelobten amerikanischen Romanciers.

Buchdetails:

  • Aktuelle Ausgabe : 16. April 2015
  • Verlag : Eichborn
  • ISBN: 978-3-847-90587-5
  • Taschenbuch : 672 Seiten

2 Gedanken zu “Die American Gods als Directors Cut – 10 jährige Jubiläumsauflage

  1. Danke für Dein Lob. Deine Rezension ist sehr gut. Es ist irgendwie wirklich lustig, ich verstehe alle Deine Einwände gegen das Buch, aber bei mir sind genau diese Argumente, die Du als Kritik anführst, Pluspunkte. 🙂 gerade der Genre Mix (kein richtiger Road Roman keine Fantasy, kein Krimi..) ist für mich die eigentliche Innovation an der Geschichte und der Grund, warum ich die American Gods so liebe.

    Im Gegensatz dazu hat mir der reine Märchen-Fantasyroman „Der Ozean am Ende der Strasse“ überhaupt nicht gefallen, weil er mir zu esoterisch war. Zu diesem Gaiman Werk fehlte mir irgendwie der richtige Schlüssel 🙂 – das ist übrigens eine wundervolle Art ein Buch zu kritisieren, das einem nicht gefallen hat, das man aber dennoch wertschätzt

    Gefällt 2 Personen

  2. Schöne Rezension, habe Lust bekommen, das Buch im neuen „Director’s Cut“ nochmal zu lesen. Meine Lektüre der Version aus dem Heyne-Verlag fiel weniger positiv aus (http://wp.me/p1Vmd7-114), obwohl ich viele von Gaimans Romanen, Kurzgeschichten und vor allem seine Sandman-Reihe brillant finde.

    Gefällt 1 Person

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