Mitten ins Auge

Alex Capus hat mit seinem neuen Roman einer interessanten Frauengestalt ein literarisches Denkmal gesetzt: Susanna Carolina Faesch, die sich später als Malerin Caroline Weldon nannte. 1844 wurde sie in Kleinbasel geboren als Tochter einer wohlhabenden Familie.

Mit einem Karacho setzt der erste Erzählstrang ein: Als die kleine, resolute Dame, gerade fünfjährig, sich beim alljährlichen volkstümlichen Festakt in Basel vor dem als „Wilder Mann“ verkleideten Pferdeknecht erschrickt, sticht sie ihm, in vermeintlicher Notwehr, mit dem Finger ein Auge aus.

Zack! Das sitzt. Man ahnt, dass in diesem Persönchen mehr steckt, als auf den ersten Blick ersichtlich.

In Zeitsprüngen hangelt sich Capus am Leben dieser Susanna Faesch entlang und biegt von seiner Erzählhauptstraße immer wieder in ebenso spannende wie unterhaltsame Nebenstraßen ein. Das ist ein Faible von Capus, das er sich gönnt: Beim Erzählen auch links und rechts gucken zu dürfen, auch auf die Nebengeschehnisse eingehen zu können. Vater Lukas Faesch und dessen bester Freund aus Zeiten der Fremdenlegion an der marokkanisch-algerischen Grenze, Karl Valentiny, werden ebenso wichtig wie Mutter Maria. Denn sie ist es, die schließlich ganz unerwartet alles hinschmeißt im kleingeistigen Basel, ihren Mann verlässt und nur die Tochter Susanna mitnimmt nach Amerika, wo sie den dort bereits heimisch gewordenen Valentiny heiratet.

Susanna rückt immer wieder in den Fokus der Erzählung, um die Seitenstränge der Erzählung zusammenzuhalten. Mit 14 kommt sie, eher zufällig, zum Malen, entdeckt ihr Talent und bessert ab da ihr Taschengeld durch Auftragsarbeiten im Bekanntenkreis auf. Sie porträtiert für ihr Leben gern und bestreitet, als sie älter wird, auch ihren kompletten Lebensunterhalt damit. Ihre besondere Beobachtungsgabe fließt in ihre Werke ein, oft malt sie auch nur für sich, beginnt eine eigene Porträtsammlung anzulegen.

Abwechslungsreich und informativ – und ohne belehrend zu wirken – erzählt Capus nebenbei vom Umbruch der Zeiten, als die Brooklyn Bridge fertiggestellt wurde, das elektrische Licht erfunden und infolgedessen viele vorher von Hand betriebenen Geräte elektrisch wurden. Das Aufkommen der Eisenbahn half, vorher unüberbrückbare Distanzen zusammenzurücken.

Capus beleuchtet die Licht- aber auch die Schattenseiten dieser Erfindungen und die Probleme dieser Zeit. Auch die Ureinwohner Amerikas rücken in seinen Erzählfokus, vor allem der berühmt gewordene, weise Häuptling Sitting Bull, den Susanna Faesch auch im realen Leben traf und porträtierte. In seinem Buch bedient sich Capus des erzählerischen Kniffs, Susannas Sohn Christopher zum Indianer-Fan zu machen und diesem Thema so ebenfalls einen eigenen Erzählstrang widmen zu können.

In diesem Buch geht es, anders als der Rückseitentext einen glauben machen könnte, um viel mehr als nur um die Reise zu Sitting Bull, hier geht es um ein ganzes Menschenleben und die um die vielen äußeren Einflüsse, die andere Menschen darauf haben und die es prägen und formen.

Sehr charmant und in schöner Sprache plaudert Alex Capus durch sein Buch zu uns und wenn man ihn einmal live erlebt hat, hört man ihn beim Lesen förmlich vor sich …

Das Buch ist im Juli 2022 bei Hanser erschienen, ist gebunden und hat 288 Seiten. Mehr Informationen zum Verlag oder dem Buch gibt es über einen Klick aufs Buchcover oder den Verlagsnamen.

Ein Gedanke zu “Mitten ins Auge

  1. Na, und noch was zum lesen, bin in der Buchhandlung dran vorbei, aber deine Rezi macht Lust. Da muss ich doch. Merci 🙂

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