Es gibt Momente in jedem Leben, an die man sich einfach immer erinnern wird. Ein solcher Moment ist für mich der 24.11.1991 – der Tag, an dem Freddie Mercury starb. Ich weiß noch genau, dass ich in der Küche bei uns zu Hause stand, das Radio lief, ich schaut gerade in unserem Kalender nach, was der Nachmittag an Terminen für mich bereithielt, da hörte ich die Meldung, dass der Sänger von Queen an AIDS gestorben sei. Zur damaligen Zeit war ich keineswegs ein besonderer Fan, eher war es so, dass mein Cousin viele Male recht ergebnislos versucht hatte, mir mit auf Kassette aufgenommenen persönlichen Best-of-Zusammenstellungen von Queen eine Freude zu machen und mich zu missionieren. Klappte nicht so gut, denn als eingefleischter „Seicht-Pop-Hörer“ und Fan von a-ha war Queen für mich quasi Heavy Metal – und damit hatte ich damals so gar nichts am Hut.
Trotzdem klappte mir die Kinnlade herunter angesichts dieser Todesbotschaft und ich war wie gelähmt: Ein solcher Superstar konnte doch nicht einfach sterben! Ich war fassungslos.
Erst Jahre später sollte ich mich diesem Genie musikalisch nähern und die ganze Bandbreite an Können begreifen, die Freddie Mercury zu bieten hatte.
2018 erschien der Film „Bohemian Rhapsody“ mit dem kongenialen Rami Malek als Freddie, wofür er zu Recht mit vielen Preisen und großem Lob überschüttet wurde – der Film hat selbst unsere Kinder zu Queen-Fans gemacht und somit haben wir das musikalische Erbe erfolgreich eine Generation weiter getragen. Was in diesem Film jedoch sehr kurz – und offensichtlich auch verfälscht – angerissen wird, ist Freddies und somit auch Queens Zeit in München.
Diese Lücke schließt nun Nicola Bardola mit seinem Buch (und nun komme ich endlich zur Buchbesprechung, Entschuldigung für das lange „Intro“ …) „Mercury in München – Seine besten Jahre“. Im September 2021 ist es erschienen, rechtzeitig zu Freddies 30. Todestag. Wer München kennt, wird seine helle Freude daran haben, den im Buch enthaltenen Stadtplänen mit ihren eingetragenen Locations zu folgen, an denen der britische Sänger so viel Spaß, exzessive Nächte und bayrische Gemütlichkeit erlebte. Seine legendäre Party anlässlich seines 39. Geburtstags, der „Black and white drag ball“, bildet zugleich Höhe- und Schlusspunkt dieser außerwöhnlich produktiven Münchner Zeit.
Bardola umfasst in seinem Buch vor allem, aber nicht nur, die Jahre 1979-1985, in denen die Band Queen und ihr Leadsänger nicht durchgehend, aber doch über sehr lange Zeitintervalle in Bayerns Metropole lebten. Mal in Hotels, mal bei Freunden – Freddie ließ sich aber auch Wohnungen zur Verfügung stellen, die er alleine nutzen konnte, als Rückzugsort. Mit einer unglaublichen Akribie hat sich der Autor an die Arbeit gemacht und jeden noch so kleinen Hinweis, Ausspruch oder Interviewausschnitt gesammelt, um darzulegen, wie gut es Mercury in dieser Zeit ging. Viele Zeitzeugen kommen zu Wort, bekommen seitenweise Raum für ihre Erinnerungen. Man merkt, hier ist ein Musikfan am Werk, der sorgfältig arbeitet und in dieses Projekt sein ganzes Herzblut einfließen lässt. Wie um zu beweisen, dass der Film „Bohemian Rhapsody“, der verknappt und mit künstlerischer Freiheit über Freddies Leben berichtete, nicht in allen Bereichen der Realität entspricht, belegt Bardola jede Aussage über Freddies Liebe zur bayrischen Hauptstadt mehrfach – anfangs wirkt das sorgfältig, rührt einen fast, mit der Zeit jedoch führt dies zu Wiederholungen der immer gleichen These: Freddie hatte „The time of his life“ in Munich. Das ermüdet auf Dauer ein wenig.


Was Bardola durch diese unzähligen Zeitzeugen-Aussagen jedoch wunderbar gelingt, ist der Versuch, hinter diesem Bild, das wir alle von Freddie haben, als perfektionistischem Superstar, der exaltiert, extrovertiert und energetisch wie ein Pfau über die Bühne tobte, auch den Menschen Freddie beziehungsweise Farrokh Bulsara zu zeigen. Seit ich das Buch gelesen habe, denke ich immer, wenn ich ein Lied von Queen im Radio höre: „Ach, mein guter alter Freund ist wieder zu hören.“ 🙂 Man gewinnt ihn lieb, diesen fremden Künstler, der so ausschweifend feierte, so promiskuitiv lebte und doch so liebevoll gewesen sein muss, so impulsiv, empathisch und hilfsbereit. Die Empathie jedoch hörte schnell auf, wenn sie bezüglich seiner Liebschaften eine Begrenzung seiner Freiheit bedeutet hätte – offensichtlich spielte er bewusst zeitweise seine Affairen emotional gegeneinander aus. Doch als lesender „Voyeur“ ist man mehr als gewillt, ihm solche unschönen Handlungen durchgehen zu lassen – war nicht auch Mozart ein Mann mit zwei Gesichtern?
Das Musikmagazin „Rolling Stone“ urteilt jedenfalls positiv und schreibt »Eine akribische Spurensuche und Porträt der aufregenden Zeit des Queen-Sängers in Deutschland.«
Ich würde noch eines draufsetzen und sagen: Dieses Buch gibt jedem noch so halbherzigen Queen-Freund so viele Details, dass man automatisch zum Hardcore-Fan mutieren muss bei der Lektüre. Hier werden Bildmaterial geliefert, Hintergrundwissen mitgeteilt (ich hatte schon wieder vergessen, dass Freddie ein Grafikdesign-Studium in Großbritannien abgeschlossen hatte und das legendäre „Q“ selbst designt hat), Zwischenmenschliches dokumentiert und Lebenswege nachgezeichnet. Eine Art Rundumbeleuchtung der sechs bayrisch-gemütlichen Jahre eines Weltstars, in denen er die damalige Schwulenmetropole und ihre Freiheiten bestmöglich für sich nutzte, viel Energie tanken konnte und eine enorme Produktivität in den Musicland Studios im Untergeschoss des Arabella-Hochhauses zusammen mit dem genialen Musikproduzenten Reinhold Mack erlebte.
Keep on rockin‘, Freddie!
„Mercury in München – Seine besten Jahre“ von Nicola Bardola ist am 20. September 2021 bei Heyne Hard Core als Hardcover erschienen. Informationen zum Titel und dem Verlag durch einen Doppelklick auf das Buchcover oder den Verlagsnamen.
PS: Wer sich auch noch einen kurzen Beitrag des BR dazu anschauen möchte, kann dies hier tun!
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Also ich muss zugeben, das Buch lag eine Weile bei mir, bevor ich es gelesen habe, da es ganz schön dick ist und ich befürchtet hatte, dass es langweilig werden könnte. Wird es aber nicht, es wiederholt sich ab und zu, aber nicht schlimm, und man ist richtig drin im Queenskosmos 🎶
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Wow. Das sieht nach nem tollen Buch aus. Man konnte von seiner Musik ja halten was man will, aber er war ne Persönlichkeit! Danke für den Tipp. Sicher auch ein gutes Geschenk.
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Nicht zu vergessen, das legendäre Staubsaugervideo, das Hausarbeit versüßt.
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