Alice und Nellie haben etwas gemeinsam: ein und dasselbe Haus. Allerdings trennen sie mehr als 70 Jahre voneinander. Nellie lebte in den 1950ern in dem großräumigen Haus in dem Vorort mit dem malerischen Namen „Greenville“. Der Name ist Programm. 2018 schauen sich Alice und ihr Mann das mittlerweile ziemlich in die Jahre gekommende Haus an und entscheiden sich für dessen Kauf.
Die Frauen sind die Hauptfiguren dieses Romans, die Männer das Beiwerk – sie sind trotz allem dominant und schicksalshaft für die beiden Frauen.
In beiden Fällen sind die Ehegatten die Entscheider, diejenigen, die sich für den Umzug in dieses Haus entscheiden. Während die frischvermählte Nellie sich freut, einen großen Garten und ein Haus zu haben, das sie nach und nach mit Kindern und Leben füllen möchte, ist die ebenfalls gerade erst verheiratete Alice mit ihrem Nate in der Innenstadt trotz der räumlichen Enge sehr zufrieden gewesen. Sie hat keine große Lust, nach draußen in den gemächlichen Vorort zu ziehen, das Haus erscheint ihr zu groß, es erdrückt sie und spricht auf eine ungute Weise zu ihr, der Garten überwältigt sie ob seiner schieren Größe und des Arbeitsaufwands, den man hineinstecken müsste, um ihn wieder schick zu machen. Doch Nate ist begeistert: Er will schnellstmöglich eine Familie gründen und wenn nicht hier, wo dann? Das Haus wird gekauft.
In loser Reihenfolge begleiten wir die beiden Frauen auf einem Teilweg ihres Lebens – die Kapitel sind jeweils mit den Namen der beiden Frauen überschrieben und – netter Sidekick – während bei Nellie jeweils ein Retro-Rezept aus der kanadischen Hausfrauenküche der 1950er-Jahre vorangestellt ist, darf man sich bei Alices Kapiteln über Auszüge aus Frauenzeitschriften, Ratgeberbüchern und Alltagsliteratur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts freuen, die herrlich altmodisch (und im Kern dann doch wieder jeder Frau aus dem alltäglichen Leben seltsam bekannt vorkommend) daherkommen. Eine Kostprobe:
„Erwarten Sie nicht, dass Ihr Mann Sie glücklich macht, während Sie einfach passiv bleiben. Geben Sie Ihr Bestes, um ihn glücklich zu machen, und Sie werden selbst dabei Ihr Glück finden.“ [Blanche Ebbutt, Don’ts for Wives (1913)]
Die guten alten Zeiten für Chauvis, wo sind sie nur hin? Oder sind sie gar nicht so weit weg? Man liest sich durch das Taschenbuch und muss manchmal nachschauen, bin ich inhaltlich gerade in den 1950ern oder in den 2010ern? Manches, was Alice mit ihrem Nate erlebt ist doch sehr rückständig – sowohl sein als auch ihr Verhalten. Dann wundert man sich wieder über manches, was Nellie tut, denn ihr Verhalten ist oft aufmüpfig und unangepasst, wenn auch meist hintergründig und nicht offen zur Schau getragen. Sie spielt ihrem Richard gekonnt die Rolle des braven Weibchens vor, doch als er es mit seiner „Herrscherrolle“ übertreibt, denkt sie nur kurz nach, dann handelt sie – subversiv und effektiv.
Und auch Alice und ihr Nate durchleben turbulente Zeiten – was anfangs nach gut funktionierender Partnerschaft aussieht, entwickelt sich zunehmend komplizierter. Während Nate genau weiß, was er will (Frau, Haus, Kinder, Erfolg – in beliebiger Reihenfolge lesbar), ist Alice in der Findungsphase, was sie passiv und rückständig handeln lässt, bis auch sie wieder das Ruder an sich reißt.
In ihrer Selbstfindungsphase stößt Alice auf alte Briefe und Zeitschriften von Nellie, sie lernt die Nachbarin kennen, die Nellie noch persönlich kannte und sie beginnt, ein wenig obsessiv zu werden, was die 50er-Jahre angeht …
Das Buch ist eine nette Unterhaltung für ein verregnetes Wochenende, eine lange Bahnfahrt oder zur Überbrückung, wenn man mal „zur Erholung lesen möchte“ ;-). Hier finden wir weder sprachlich, noch dramaturgisch Glanzleistungen, aber eben auch nichts, worüber man sich als Leser*in schämen müsste. Ein Buch, das gut unterhält, das durchaus überraschende Wendungen enthält, dem es aber nicht zur Gänze gelingt, die beschriebenen Personen psychologisch fein herauszuarbeiten, ihnen Raum zur Entwicklung zu geben, in ihnen den Hauch der Realität einzufangen. Hier bleiben wir in einer Fiktion, die Luft nach oben hätte, diese Chance aber verpuffen lässt.
„Todsichere Rezepte für die moderne Hausfrau“ von Karma Brown ist am 13. September 2021 im Penguin Verlag als Taschenbuch erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf den Verlagsnamen im vorherigen Satz.
Liebe Xeniana, seicht würde ich es nicht nennen, aber es ist eben Lesefutter, keine hohe Literatur. Vielleicht auch mal was für die Stadtbücherei 😉
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Schade, dass dich das Buch scheinbar nur teilweise begeistert hat. Die Idee klingt ja gut, aber auf eine seichte Umsetzung hab ich dann trotzdem keine Lust
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Das klingt recht nett. Die Idee finde ich klasse, so ne Anne Tyler hätte da echt nen Hammer draus machen können. Schade, nice Story. Hab auch drübergeschaut und zurechtgerückt.
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