Ist Schweigen Gold?

Fertig! Pünktlich zum Erscheinungstag habe ich das schmale Bändchen mal so eben „inhaliert“. Vater-Tochter-Beziehungen sind wohl immer speziell, Dilek Güngör lässt ihre Protagonistin Ipek, die Journalistin ist, den Versuch unternehmen, ihrem Vater bei einem mehrtägigen Besuch emotional wieder näherzukommen. Denn Ipek leidet als berufliche Wortkünstlerin unter der Wortlosigkeit, die sie im Umgang mit ihrem Vater überfällt – regelmäßig jedes Mal seit sie erwachsen und ausgezogen ist.

Während die Mutter auf „Wellness-Urlaub“ mit ihren Freundinnen ist, reist Ipek aus Berlin in die schwäbische Provinz zum Papa, der nun ja gerade Strohwitwer ist. Ipek selbst ist seit einiger Zeit getrennt von ihrem Langzeitfreund Kai und kann daher völlig frei in ihren Entscheidungen über Zeit und Ort walten. Sie beschließt ein paar Tage, nicht so lange, wie sie eigentlich könnte, bei ihm zu bleiben, sich ein wenig um ihn zu kümmern, mit ihm zu kochen und zu … ja, was eigentlich? „Zu reden“ wäre eigentlich das Ende des Satzes gewesen, aber das würde so nicht stimmen, denn Ipeks Vater ist ein großer Schweiger und Ipek selbst ziemlich gehemmt. Er ist nicht still auf eine bösartige Weise, kein Groll schwingt darin mit, sondern es ist lediglich das Unvermögen (oder der mangelnde Wille), sich mit der Tochter über Banalitäten auszutauschen. Smalltalk ist seines nicht – ihres aber auch nicht. Zumindest in Gegenwart des Vaters, in der sie rasch zur kleinen Tochter mutiert, die lieber passiv statt aktiv agiert, lieber zuhört, statt plappert, lieber beobachtet, statt selbst ins Rampenlicht zu treten. All das kann sie sonst – mit anderen Menschen, in ihrem Beruf, in ihrer Wahlheimat Berlin. Einige dieser Fähigkeiten musste sie sich über die Jahre antrainieren, andere gelangen ihr einfach so gut. Doch Ipek und Papa hatten, als Ipek noch zu Hause lebte, eigene Arten, zu kommunizieren, durch Taten, dadurch, etwas miteinander zu machen oder schlicht auch einfach mal auf körperliche Weise: Durchkitzeln, Kissenschlacht etc. Doch als Ipek größer wurde, nahm das ab, denn so etwas schickte sich nicht – das vermittelte vor allem auch die Mutter den beiden.

Je älter Ipek wird, umso stärker tritt die Mutter als Bindeglied zwischen Vater und Tochter und kommuniziert zwischen ihnen – eine direkte Unterhaltung am Telefon ist meist nicht nötig (möglich?), denn die Mutter führt das Gespräch an.

All diese Beobachtungen, Gedanken, Erkenntnisse kommen Ipek während des Besuches zu Hause, als die wortstarke, laute, omnipräsente Mutter mal nicht anwesend ist. Zu gerne wäre Ipek wie ihre Cousine Meray, die kurz auf einen Tee bei den beiden hereinschaut und völlig ungezwungen mit ihrem Onkel plaudert, als wäre das das Leichteste der Welt.

Doch man kann eben nicht aus seiner Haut (oder doch?) und so versucht Ipek ihr Bestes, ihren persönlichen Weg der Kommunikation mit ihrem Vater zu finden.

Das Buch überzeugt auf ganzer Linie und schildert feinsinnig und liebevoll Gedanken, die sicher viele Töchter kennen – völlig losgelöst von der Frage, wie gut oder schlecht man sich mit seinem Vater versteht.

Schnelles Lesevergnügen, das nachhallt und Mut macht, selbst mal wieder aktiver zu werden in der Vater-Tochter-Beziehung, solange man das Glück hat, noch einen lebenden Vater zu haben!

„Vater und ich“ von Dilek Güngör ist am 28. Juli 2021 im Verbrecher Verlag erschienen. Mehr Informationen zu den Büchern und dem Verlag durch Klick auf das Cover oder den Verlagsnamen.

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