Steven Stelfox ist ein verdammtes Arschloch! Ich darf das so rüde schreiben, denn ich kenne John Nivens Protagonist aus „KILL EM ALL„, schon seit etlichen Jahren. Und er blieb in Erinnerung. In „KILL YOUR FRIENDS“ erschien er gedruckt zum ersten Mal und war derart unerfreulich, dass ich das Buch, obwohl hochgelobt, nur bis zur Hälfte gelesen habe. Nivens Satire auf die Musikindustrie war mir zu hart, zu brutal. Zu Hardcore. Dabei hat der aus Schottland stammende Autor englische Literatur studiert, bevor er als A&R Manager bei einer Plattenfirma arbeitete, um dann seine Erfahrungen in „KILL YOUR FRIENDS“ zu verarbeiten.
Stelfox die zweite zeigt einen gealterten, reicheren, und dadurch noch widerwärtigen Protagonisten. Mit siebenundvierzig Jahren Erfahrung in asozialem Handeln und Benehmen und der Gewissheit, alles damit erreichen zu können, nimmt das gealterte Ego noch überdimensionalere Ausmaße an als vor zwanzig Jahren unter Drogen stehend. Davon zu lesen wäre nicht interessant, wenn unsympathische Misanthropen und Zyniker von seiner Sorte nicht zuhauf unseren Planeten bevölkern und zerstören würden. Typen, die so viel Kohle haben, dass sie nicht wissen, wie sie sie verprassen sollen. Macker. die Frauen in Kategorien einteilen, wobei „fickbar“ das Einzige ist, was für sie zählt. Für Geld würde Stelfox Hundewelpen foltern. Für viel Geld macht er alles. Moral, Ethik, Skrupel, Gewissen, sind Begriffe, die er kennt und sich darüber amüsiert, wenn er sie bei den schwachen „Gutmenschen“ ausmacht. Wie ticken diese Abarten der Gattung Homo Sapiens? Niven lässt sie erzählen. Liefert eine Zustandsbeschreibung der Gesellschaft, skizziert sie, lässt sie all den Dreck und die Machenschaften der Drahtzieher herauskotzen. Sorry, für meine Wortwahl, wenn euch das schon zuviel ist, Finger weg! Es ist Hardcore, denn es geht um Profit! Immer wieder und nur, um maximalen Profit. Das entmenschlicht. Humanismus, Altruismus, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, all das ist überholt. Spalten, Gräben ziehen, Macchiavelli im technischen Zeitalter anwenden, Populismus, Egomanen, Narzissten – das ist ihre Welt, denn sie haben das Geld und wollen mehr davon. Stelfox ist nur einer von vielen. Exemplarisch für alle anderen. Die Demokratie und alle mit ihr einhergehenden Errungenschaften sind am Arsch. Wer das Geld hat, bezahlt die Meinung der Masse und erhält ihr Voting. Wahrheit wird, was oft genug lauthals in den Medien herausgestellt wird.
Stelfox ist 300 Millionen Dollar schwer, sein Leben ein einziges Fest der Langeweile, sinnstiftend ist es. zu versuchen die magische Marke zu knacken, die ihn von den Superreichen trennt, die Yacht von David Geffen zu toppen. Der Weg dahin scheint klar, nur die kleineren Probleme, die zu lösen er angetreten ist, weiten sich zu größeren aus und Stelfox agiert zunehmend reaktiv und unter Zugzwang, umso wahnwitziger seine Strategien, doch in Zeiten, die einen regredierten Narren an die Spitze der „freien Welt“ gesetzt haben, scheint nichts unlösbar. Am stärksten ist der Roman, wenn Steven Stelfox sich über die Entwicklung der US-amerikanischen Gesellschaft auslässt.
John Niven ist einer der unbequemsten Spiegelvorhalter der schreibenden Zunft. Seine Themen sind böse und faszinierend zugleich. Er wertet nicht, er macht Kriegsberichterstattung. In „Gott Bewahre“ zerlegt er die Auswüchse der Religion, in „Straight white male“ zeichnet er ein grandioses Bild toxischer Männlichkeit. Niven schreibt mit Testosteron. Unverfälscht und ungeschönt zeichnet er Bilder der unangenehmsten Seiten unserer Welt. Das müssen Leser*innen aushalten, wenn sie die eine Seite der nackten Wahrheit sehen möchten. Ich denke, man sollte sich damit befassen und sich bemühen, ein komplettes Bild der menschlichen Welt mit ihren vielen Facetten zu erstellen. Einer muss den Job machen und John Niven macht das mit Verve, rüder Eloquenz und einer großen Portion Freude an der dunklen Seite der Macht. So „come to the dark side, we’ve got cookies“.
KILL EM ALL ist im Januar 2019 bei Heyne Hardcore erschienen. Weitere Informationen zum Buch durch Klick auf das Beitragsbild oder auf der Verlagsseite.
@bluesforuse na dann muss ich ihm ja noch eine Chance geben – ja ich kann mich auch dumpf an die Diskussion erinnern ist schon eine Weile und viele gelesene Bücher her 🙂
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Ich erinnere mich, wir waren da leicht unterschiedlicher Ansicht, doch zugegebenermaßen ist es definitiv nicht sein bestes Buch. „Kill your friends“ fand ich extrem brutal und grausam (zu lesen) auch eintönig, weil immer dasselbe, womöglich authentisch, aber nix für mich. All seine anderen Romane gefielen mir sehr. Guter Mann
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@bluesforuse Brutalität ist eigenltich ganz meines, wenn sie zu den Figuren und zum Thema passt, und es scheint so in diesen Büchern zu sein, die Du angesprochen hast . In einem Krimi auftretende inflationäre körperliche Gewaltexzesse, die nicht wohldosiert sind, langweilen mich aber sehr, wenn der Plot viel zu durchsichtig gerät. Das war bei Nivens Thriller Das Gebot der Rache der Fall. https://www.goodreads.com/review/show/560880482
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Mmmmhhh, nö. Glaub ich nicht. Straight white male eher. Niven ist brutal.
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Oha ich hab mal nach Gott Bewahre einen Krimi von Niven gelesen und der war außer brutal sonst überhaupt nicht anspruchsvoll. Deshalb habe ich ihn wieder verworfen – ich glaub, ich sollte diese gesellschaftskritische Reihe mit straight white male und diesem Buch auf jeden Fall ins Auge fassen – klingt, als wäre es genau für mich gemacht.
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Das ist er nur diesmal, es liegt an Stelfox, war er mir zu heavy. Versöhnt hat mich das Ende. ;)))
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Also ich muss ihn lesen, bin gespannt. Er ist schon ein sehr guter Beobachter, keine Frage.
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