Eigentlich mag ich die Sachbücher der Autorin nicht so recht, da sie doch etwas unausgewogen formuliert und polemisch agitiert – die journalistisch sachliche Herangehensweise und Beleuchtung der gesellschaftlichen Themen von mehreren Seiten fehlt mir einfach, allzu oft trennt sie in ihren Büchern nicht zwischen Information und Meinung und setzt sich dadurch über eine prinzipielle Regel des Qualitätsjournalismus hinweg. Aus diesem Grund hab ich bei Frau Klingls erstem Roman auch sofort zugegriffen, denn was im Journalismus und bei politischen Sachbüchern verpönt ist, ist in der Belletristik ja eher eine große Tugend: dass die Figuren sehr viel subjektive Meinung einbringen, diese äußern und ein unverwechselbares Profil aufweisen. In dieser Hinsicht wurde ich nicht enttäuscht.
Der Protagonist Karl Schmied, 62, arbeitet als studierter Historiker bei einer Boulevardzeitung, aber nach eigenen Angaben bei einer der besseren und nicht bei diesen dreckigen Gratiszeitungen. Er hat sich gerade in die Moldavierin Sonja verliebt, in der Redaktion ist das Betriebsklima recht angenehm und auch sonst läuft alles gut in seinem Leben.
In Form eines inneren Monologs philosophiert, analysiert, polemisiert und wettert er für und gegen die heutige Welt, wie sie sich darstellt, wie sie früher war und wie sie sich seit 2015 verändert hat. Gleich einem modernen Herrn Karl (nach dem gleichnamigen Theaterstück von Helmut Qualtinger deshalb wahrscheinlich auch der Name) drückt er aus, was einem „normalen“ österreichischen Bürger auf der Seele liegt. Dabei geht es um Gesellschaft, Politik, die moderne Arbeitswelt, den Boulevardjournalismus, Soziale Medien, Ausländer, Flüchtlinge, Fremdenhass, Ausländerfeindlichkeit – einfach um alle Themen, die heute die Menschen so bewegen.
Seit das Facility Dings outgesourct wurde, tummelt sich der Lurch* zwar unter den Bücherregalen, aber das ist der Chefetage wurscht*, die surft auf der Welle des economical success. „Wir müssen alle succeeden“, sagt der Online Chef alle Augenblicke, der grundsätzlich sehr genau auf seine Work-Life-Balance achtet und aktuell sehr wenig beiträgt zum success der Zeitung. […]
Aber wenn ein Drittel der Österreicher in einer Umfrage angibt, sie könnten auch Kanzler, da fragt man sich schon, ob die wo angedonnert sind! Die würden ja nicht mal einmal physisch das Tagespensum derschnaufen, das diese Politiker haben. Das weiß ich sehr gut, ich habe oft genug Politiker begleitet. Und man mag sie für alles mögliche halten, aber Kondition haben sie. […]
Diese Formulierung ist eigentlich eine der dümmsten im gesamten Sprachgebrauch, die hasse ich. Und alle verwenden sie! Ein Krieg bricht nicht aus, der ist keine irgendwo eingesperrte Bestie, die ausbrechen kann. Einen Krieg muss man mühsam machen! Das braucht ziemlich lange Vorbereitung. Da müssen Politiker das Volk vorbereiten, da braucht man Aufwiegler, meistens sind das eh Journalisten, aber die miesen charakterlosen, vielleicht sogar dafür bezahlten und dann braucht man auch noch die, die Finanzen für den Krieg haben und die, die die Waffen besorgen. Am Unwichtigsten ist am Anfang das Volk.
Was an dieser Geschichte wirklich spannend ist: Karl polemisiert und analysiert die Gesellschaft aus der politischen Mitte heraus. Und ich möchte hier nicht von einer Mitte reden, die die Rechten Recken nun mittlerweile besetzt haben, sondern von der ursprünglichen politischen Mitte. Einer Mitte, die mittlerweile stumm geworden ist, weil sie vor allem in Sozialen Medien einfach nicht so laut kräht wie der radikale Rand, wird hier eine gewichtige und auch etwas wütende Stimme beziehungsweise ein Podium gegeben. Es ist spannend, wie Frau Klingl den Herrn Karl hier konzipiert hat, der sich permanent austariert und verschiedene Positionen beleuchtet. Er schwankt eben gleich einer Wasserwage zwischen Fremdenangst und Fremdenfreundlichkeit, zwischen linken und rechten politischen Positionen, zwischen Boulevard und Ablehnung desselben und argumentiert sich persönlich wirklich fast punktgenau in die Mitte.
Ein kleines Problem hatte ich aber mit der Geschichte: Karl polemisiert drei Viertel des Romans lang also von Montag bis Donnerstag und sonst passiert eigentlich so gut wie nichts. Aber auch dies ändert sich, denn der Freitag hat es in sich. Das Leben des Protagonisten gerät sowohl beruflich als auch privat völlig aus den Fugen, und Karl muss sich beim inneren Reflektieren eingestehen, dass er eigentlich mit Scheuklappen durch sein eigenes Leben gelaufen ist.
Trotzdem ist eben auch dieser innere Monolog in langsamem Tempo vor allem für Leute um die Lebensmitte nicht schlecht, denn der Leser lernt einiges, reflektiert den Zustand der heutigen Gesellschaft zusammen mit Herrn Karl und findet kuriose Lebensgewohnheiten aus der Vergangenheit wieder. Zum Beispiel gab beziehungsweise gibt es in Wien 50 Ausdrücke für Sterben: wie den 71er nehmen (Straßenbahnlinie zum Zentralfriedhof), cool war auch die Erinnerung an meine typische Wiener Wohnung der 80er Jahre mit Indischer Toilette (jenseits des Ganges) 😉
Fazit: Ein guter erster Roman – ich kann ihn empfehlen, auch wenn er für mich ein etwas zu langsames Tempo aufweist.
*Lurch = Wollmaus
*wurscht = egal
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe: 08. März 2018
- Verlag: Kremayr & Scheriau
- ISBN: 978-3-218-01107-5
- Hardcover: 192 Seiten
Ach, das können die Schwaben auch gut. Da heißt es dann bruddeln. Diese Sicht auf die Welt ist nicht meine, bin zwar geb. Schwäbin, aber die frühkindliche Düsseldorfer Sozialisation vermasselte mir das Verständnis für manche dieser urschäbischen Eigenheiten. Erst gestern auf der Mai Hocketse der Feuerwehr, die zum Zwecke der Currywurst mit Pommes Versorgung heimgesucht wurde ist mir das wieder glasklar geworden.
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Siehst da wollte ich eigentlich noch was dazuschreiben und habs dann total vergessen. Dieses Sudern und Lamentieren ist typisch österreichisch – fast schon eine eigene Kulturleistung 😜😎
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So, wieder was gelernt Lurch und indische Toilette haben mich sehr amüsiert. Grazie 😉 Was den Herrn Karl angeht, uhhh, da graut mir vor, ihm zuzuhören scheint doch enervierend ansterngend. Wer mit seinem Leben nicht zufrieden ist meckkert, war so, ist so bleibt so. Ist schon lästig genug sich selbst dabei zuzuhören, einen womöglich noch weniger reflektierten inneren Monolog …puh…
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Habe gerade mal die Leseprobe bei der A-Krake überflogen. Für mich ist das nichts. Da könnte ich mich ja ins nächste Café setzen und zuhören, was die Leute an den Tischen rechts und links reden. Und so ist das ja vielleicht auch gemeint. Nur ich bin als Leser in dem Fall nicht gemeint.
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das freut mich 🙂👍
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Ich hab es gelesen und stimme mit deinem Fazit völlig überein! 👍
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