Käsebier sorgt für Wirbel

Zugegeben, als ich den Buchtitel „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ das erste Mal las, wollte ich das Buch sofort haben. Ich musste unbedingt wissen, was Käsebier ist! Die Berliner mischen ja auch Bier mit buntem Sirup und nennen es „Berliner Weiße“ – mir war also klar, dass ich dieses Getränk aus der Hauptstadt auch unbedingt kennenlernen musste, und sei es in Form eines Buches.

Schaut man dann auf den Rückseitentext, wird natürlich alles ganz schnell klar – Käsebier, so heißt der Protagonist in Gabriele Tergits Roman. Georg Käsebier ist Sänger, und zwar ein eher mittelmäßiger bis vielleicht sogar schlechter. Er tingelt durch die Berliner Varietéwelt und kann sich gerade so über Wasser halten damit. Doch dann ist er zur rechten Zeit am rechten Ort. Ein Reporter auf der Suche nach der Story für die Berliner Rundschau greift in seiner Verzweiflung zu etwas unlauteren Mitteln, nimmt einen nicht ganz brandaktuellen Artikel und bedient sich des Stilmittels der gnadenlosen Übertreibung. Er schwärmt in den höchsten Tönen von diesem Sangeskünstler, der, auch rein optisch, schon nicht allzu viel hermacht, beschreibt Tergit Käsebier doch schonungslos als „blond, dick, und quibblig“. „Unterschätzt“ ist das magische Wort! Ja, er sieht vielleicht nicht brillant aus, ja, er singt nicht perfekt – aber diese Ausstrahlung, dieses gewisse Etwas! Der Schneeballeffekt ist losgetreten – die Berliner Tageszeitung greift das Thema auf, ein Radio-Interview mit dem aufsteigenden Star wird geplant, ein Buch – nur über Käsebier – konzipiert. A star is born!

Das bemerkenswerte an der Sache? Das Buch spielt 1929/30 und wurde das erste Mal im Jahre 1931 von Rowohlt herausgebracht. Wer sind wir, zu denken, ein solcher Medienrummel ginge nur in Zeiten wie unseren – mit Fernsehen, Facebook, Youtube oder Instagram? Das kann Berlin schon am Ende der Roaring Twenties.

Wilde Spekulationen werden losgetreten, ganz Berlin steht kopf. Echt knorke. Käsebier kommt an den Wintergarten! Wirklich? Ganz bestimmt! Es wird immer turbulenter und bunter – und irgendwann gibt es tatsächlich alles zum Thema Käsebier: die speziellen Zigaretten, die Schuhe, sogar Puppen mit seinem Konterfei. Investoren planen gar, am Kurfürstendamm ein eigenes Theater für ihn zu errichten. Nun sind nicht mehr nur die Kulturschaffenden vom Sog betroffen, jetzt mischen sich auch Bauunternehmer, Spekulanten und eine Bank ein. Ob das gut gehen kann?

Die Geschichte ist erfrischend und erstaunlich zeitlos. Man mag kaum glauben, dass der Plot zu Zeiten der Weimarer Republik entstanden ist.

Doch so modern die Story, so altmodisch ist der Stil. Das Berliner Idiom wird gut eingefangen, keine Frage. Es ist kein wirkliches Berlinerisch, was da steht, aber der Singsang ist eindeutig der der Hauptstadt. Ein sehr umgangssprachlicher Stil, den die Autorin da ihren Protagonisten in den Mund legt, gesprochene Sprache eben. Doch mich ermüdet der Sprachduktus, das Stakkato, in dem sich die Personen unterhalten. Oft kann ich auch nicht sofort nachvollziehen, was für Gedankensprünge in den Gesprächen vollzogen werden. Die einzelnen Figuren zerfließen vor meinem inneren Auge, ich kann sie selbst während der Lektüre schwer auseinanderhalten. Ständig muss ich nachschauen, zurückblättern. Wer hatte noch mal was mit wem? Woher kannten die sich jetzt? Es geht drunter und drüber. Sicher, vor dem geistigen Auge entstehen an den besten Stellen Bilder wie aus einem alten Schwarzweißfilm, der tatsächlich, wie die Sprache im Buch, ein bisschen zu schnell vor sich hinschnarrt. Das innere Ohr hört die knarzenden Stimmen dazu.

Für mich persönlich hätten 200 Seiten gereicht, über längere Strecken im Mittelteil des Romans breitete sich in mir der Wunsch aus, das Buch wegzulegen – aber dann gab es fast immer doch wieder eine Wendung, deren Entwicklung ich verfolgen wollte.

Fazit: Thematisch hochaktuell, sprachlich für meine Begriffe etwas sperrig und altmodisch. Reinlesen und selber entscheiden, ob es für einen funktioniert.
Im Netz finden sich übrigens sehr viele ausdrücklich positive Besprechungen dieses Buchs, exemplarisch sei diese vom Deutschlandfunk genannt.

Buchdetails:

  • Aktuelle Ausgabe: November 2017
  • Verlag: btb
  • ISBN: 978-3-442-71556-5
  • Taschenbuch, Broschur: 400 Seiten

15 Gedanken zu “Käsebier sorgt für Wirbel

  1. Da bin ich ja froh, dass ich nicht alleine da stehe mit dem Gefühl, nicht ganz das bekommen zu haben, was ich mir vorgestellt hatte. Toll, dass Du reingeschmökert hast. Liebe Grüße aus Hamburg nach Berlin.

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  2. Heute habe ich mich mit Käsebier auf das Schmökersofa gesetzt und das Buch nach einigem hin und her Blättern und mehreren Versuchen, mich an einer Stelle festzulesen, etwas enttäuscht wieder aus der Hand gelegt.

    [als Beweisfoto leider wenig tauglich, da meine elende Knipserei unter dem Druck, vielleicht etwas Verbotenes zu tun und dabei erwischt zu werden, noch elender wird]
    Bis auf „Nee, nee, nee“ irgendwo, sind mir keine Dialoge im Berliner Dialekt untergekommen. Zufall vielleicht. Dass einige der geschilderten Probleme und Phänomene uns gar nicht so gestrig erscheinen, sagt ja eher etwas über die heutige Zeit als über den Roman aus. Will sagen: Ich fühlte jetzt nicht den unbezähmbaren Drang, mit dem Buch zur Kasse zu rennen. Vielleicht hat mich auch die auf den Buchrücken gedruckte Behauptung, der Roman könne es durchaus mit Kästner und Fallada aufnehmen, geärgert.

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  3. Das höre ich gern. Vor etlichen Jahren (vor dem Mauerfall) wollte ich schon mal einen Verein zur Pflege des Berliner Dialekts gründen. Nun bin ich aber so gar kein Vereinsmensch und ließ es folglich bei der Idee bewenden. Mir selbst wurde das Berlinern in der Kindheit konsequent verboten. Der Dialekt war geradezu verpönt. Als ich dann als Zehnjährige zu einer Gastfamilie in Frankfurt verschickt wurde, und die Gasteltern eine richtige Berliner Göre erwarteten, waren sie regelrecht enttäuscht. Ich konnte wirklich nur „Icke, dette kieke mal, …“ aufsagen.
    Vom Schmökersofa werde ich natürlich berichten.

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  4. Liebe Christa, ich lebe ja in Köpenick und bin keine Berlinerin, aber habe auch sofort gewusst, dass Käsebier kein Getränk ist ;))) Vielleicht auch, weil ich das Buch bereits durch die Besprechung von Birgit Böllinger auf Sätze & Schätze schon auf dem Zettel hatte. Aber ich arbeite auch mit ganz vielen Ur-Ostberlinern zusammen, die, wenn sie wollen, schon so sprechen. Und auch eine meiner guten Freundinnen, kann das noch – ihre Großeltern sowieso. Zudem hat mein Mann auch Wurzeln in Berlin und seine Mutter spricht schon noch sehr so, wenn sie sich ereifert ;))) Ich bin gespannt. Herzliche Grüße – und lass was vom Schmöckersofa hören, bitte.

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  5. Hmm, das ist sehr in der Zeit geschrieben scheint mir – muss man ein bisschen decodieren, was Spaß machen könnte. Also ich bin auf jeden Fall gespannt LG

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  6. Klasse Tipp, diese Grammophon-Lesungen! Da stelle ich mir Käsebier sehr kurzweilig vor! Schade, dass Jo van Nelsen erst mal nicht in Hamburg sein wird …

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  7. Das klingt für mich jetzt nicht animierend – dieses Insider-Dings. Ich denke, ich weiß, was Du damit meinst. und mag das auch nicht.
    @Bri
    Ich merke den Unterschied zwischen dem alten Berliner Dialekt und dem Berlinern, wie es im ehem. Ost-Berlin konserviert wurde, sehr deutlich. Als ich jung war, gab es noch ein paar alte Taxifahrer, die für mein empfinden „richtig“ berlinerten. Natürlich hat sich auch der von mir für richtig befundene Dialekt verändert. Zum echten Berlinern gehört ja z.B. ein bestimmter Satzbau, so eine Art, Teile des Satzes umgedreht zu widerholen (hatter jesacht, sacht er) und der sehr prononcierte Gebrauch von Fremdwörtern. Das hatte viel Charme, und so spricht heute niemand mehr. Ich frage mich, ob es noch Mundart-Schriftsteller gibt, die das hinbekämen oder Dialoge für Filme richtig schrieben. Nun stammt das Buch ja eigentlich aus der „richtigen“ Zeit. Bin ganz hin und her. Würde mir gerne selbst einen Eindruck verschaffen, bin aber nicht wirklich kien auf das Sujet und dann noch mit halbverständlichen Dialogen. Ich glaube, ich gehe mal zu Hugendubel und mache, was ich sonst nie mache: setze mich mit dem Buch für ein Weilchen aufs Schmökersofa.

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  8. Ungefähr zweimal im Jahr bekomme ich Lust auf ein Bier und trinke dann eines. Eine Weiße mit Schuss einmal im Jahr. Schon bei einem Radler schaudert es mich. Ansonsten bevorzuge ich Wein, der allerdings eine nette Kombination mit Käsewürfeln ergibt. 🙂

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  9. Das formuliere ich gleich mal im Text um, da das tatsächlich nicht korrekt von mir formuliert wurde. Nicht das Berlinerisch ist altertümlich, sondern der generelle Sprachduktus. Mich stört das Stakkato, in dem die Dialoge gehalten sind, zudem auf eine, wie ich finde, manchmal fast kryptische Weise. Die Art, wie die Menschen da miteinander kommunizieren grenzt für mich phasenweise an ein Insidergespräche. Das jeweilige Gegenüber scheint sofort zu wissen, worum es geht – ich nicht immer 😉

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  10. Ich gebe zu, der Einstieg ist etwas überspitzt formuliert gewesen 😉 Allerdings war es wirklich eine Minute lang so, dass ich hoffte, Käsebier sei eine Berliner Getränke-Erfindung, die Hauptgegenstand dieses Romans sei … *seufz* Käsebier klingt einfach fantastisch, wie ich finde. Tausend Bilder in meinem Kopf, wie so ein Drink hätte aussehen können 😉

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  11. Da merkt man gleich den Unterschied zwischen Nicht-Berlinerin und Berlinerin. Auch ich habe den Titel hier zum ersten Mal gelesen und brauchte keinen Rückentext um sicher zu sein, es konnte sich nur um den Namen des Protagonisten handeln, und auch die Handlungszeit war damit klar. Käsebier, solche Namen gaben die Autoren der Zwischenkriegszeit (was für ein Wort!) ihren Figuren.
    Ich habe kürzlich Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ gelesen – die endlich herausgebrachte Vollversion, denn das Originalmanuskript war ja von Anfang an um etwa ein Drittel gekürzt worden. Vielleicht hätte man mit diesem Roman umgekehrt verfahren sollen. Auch mich als Berlinerin nervt der Gebrauch des Dialekts auf Langstrecken.

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  12. Also ich will es unbedingt lesen – mal prüfen, ob der heutige Berliner Slang so unterschiedlich zu dem damaligen ist – glaube ich nämlich nicht mal. Aber anstrengend kann er schon sein. LG

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