“ Ich dachte daran, schnell auf ihn zuzugehen, aber das sind genau die Situationen, in denen Menschen sterben. Ich dachte daran, über den Boden zu kriechen, so wie sie das immer in Rat Patrol gemacht haben, aber ich war mir nicht mal sicher, dass jemand da sei, und wenn ich auf eine Katze zukröche oder zwei knutschende Teenager, würde ich mich einen Monat lang nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen können.
Die Entscheidung wurde mir abgenommen.
Es war keine Katze, und es waren keine Jugendlichen. Es war ein Mann, und er hielt eine Uzi in den Händen. Er kam um die Ecke, richtete die garstige Waffe auf mein Brustbein, und ich vergaß, wie man atmet.“
Patrick Kenzie heißt der Mann mit den kurzfristigen Atemproblemen. Zusammen mit seiner Kindheitsfreundin (und nicht ganz so heimlich Angebeteten) Angela Gennaro betreibt er eine Privatdetektei. Als er beauftragt wird, für einen Senator Dokumente wieder zu beschaffen, dessen Putzfrau diese entwendet hat, ist es, als öffnete sich die Büchse der Pandora erneut. Ans Licht kommen lang vergangene Dinge, die jedoch in einen brutalen Bandenkrieg ausarten.
Dennis Lehane ist mittlerweile nicht mehr wegzudenken, wenn es darum geht, spannende und gleichzeitig konzeptionell und sprachlich anspruchsvolle Lektüre zu finden. Der jetzt im Diogenes Verlag – der den Autor erst tatsächlich ins deutschsprachige Leser-Bewußtsein gebracht hat – erschienene erste Band der Kenzie – Gennazino – Reihe erschien bereits 1994 und war Lehanes Debüt. Vor seiner Karriere als Schriftsteller und Drehbuchautor – einige seiner Romane wurden bereits hochkarätig verfilmt, sein großartiges Gangsterepos In der Nacht soll als nächstes die Kinosäle füllen – war er beruflich vielseitig unterwegs – unter anderem als therapeutischer Berater für geistig behinderte und sexuell missbrauchte Kinder. Kein Wunder, dass gerade dieses Thema immer wieder in seinen Romanen auftaucht (wie zum Beispiel in Mystic River). Vielleicht ist auch diese vielfältige Lebenserfahrung durch die unterschiedlichsten Tätigkeiten – vor allem im Kontakt mit Menschen – der Grund für die großartige, menschliche Zeichnung seiner Figuren, die authentischer nicht sein könnten. Gepaart mit seinem außerordentlichen Talent für griffige Dialoge und der ebenso griffigen Übertragung seiner Texte in die deutsche Sprache hält man mit der Neuausgabe von Ein letzter Drink allerfeinsten Buchstoff in der Hand, den man nicht mehr weglegen kann.
Obwohl der Roman Lehanes Debüt ist, erkennt man bereits hier seine später noch weiter entwickelte Meisterschaft, was die Verknüpfung von Spannung, pointierter Sprache und gesellschaftlichen Aspekten angeht. Kenzie ist einerseits ein klassischer Privatermittler, der seinen Fall als Ich-Erzähler vor dem Leser ausbreitet, andererseits ist er keinesfalls stereotyp gestrickt. Hat er doch als Partnerin eine toughe, im Leben stehende Frau, die ihrerseits jedoch ein massives Problem hat: ihren Ehemann. So verquicken sich Fall und Privatleben der beiden Detektive geschickt miteinander, ohne den Spannungsbogen verflachen zu lassen.
Da durch das Aufstöbern der Dokumente etwas ans Licht kommt, das erstens absolut verabscheuungswürdig ist und zweitens nicht nur den bestohlenen Senator in die Bredouille bringt, stehen Kenzie und Gennaro bald zwischen den Schusslinien.
“ Er trat nach mir und schlug mit der Faust auf den Boden, was die Glasscherben in seiner Haut bestimmt noch weiter ins Fleisch trieb. Sein Brüllen wurde lauter. „Ich bring dich um, du Scheißkerl“, schrie e. „Ich mach dich alle.“
Angie sah mich an. „Wenn wir ihn am Leben lassen, sind wir beide tot. „
Welchen Weg Kenzie und Gennaro einschlagen werden, wie es weiter gehen wird mit ihnen und ihren Freunden, welche Fälle noch auf sie warten, darauf bin ich mehr als gespannt. Denn wenn das auch ein verdammt guter Anfang war, so war es eben nur das: Der Anfang eines erbitterten Krieges …
“ L.A. steht in Flammen, und in vielen anderen Städten schwelt es – alles wartet nur, bis jemand Benzin auf die glühenden Kohlen kippt. Die Politiker stacheln unseren Hass und unsere Engstirnigkeit nur noch an, währende sie in ihren Ferienhäusern mit Meerblick sitzen und auf die Brandung lauschen, damit sie die Schreie der Ertrinkenden hören.
Sie sagen, es liege am Rassenkonflikt, und wir glauben ihnen. Sie nennen es „Demokratie“, und wir nicken voller Selbstgefälligkeit. [… ] Sie respektieren uns nicht, weil wir uns von ihnen missbrauchen lassen. Sie verscheißern uns morgens, mittags und abends, aber solange sie uns einen Gutenachtkuss geben, solange sie uns ins Ohr flüstern „Daddy liebt dich, Daddy kümmert sich um dich“ schließen wir die Augen und schlafen ein und verkaufen unsere Körper und unsere Seelen an den schönen Schein von „Zivilisation“ und „Sicherheit“. „
1994 geschrieben, besitzen diese Zeilen heute eine erschreckende Aktualität. Uneingeschränkte und absolute Leseempfehlung!
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe: 24. August 2016
- Verlag: Diogenes
- ISBN: 978-3-257-30030-7
- Paperback: 368 Seiten
Ich meine natürlich „Aufruhr jener Tage“ 🙂
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Danke für den Hinweis, dann packe ich „Vor in die Ncht“ mal auf diese lange, lange, laaaange, wunderbar lange Leseliste 🙂
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Gerne- ich habe ihn tatsächlich erst vor ein paar Jahren entdeckt, als In der Nacht bei Diogenes erschien. Es hat mich umgehauen – einerseits, weil er wirklich verdammt gut schreibt, andererseits, weil ich ihn überhaupt nicht kannte … Es lohnt sich wirklich, mehr als Mystic River von ihm zu lesen. Vor In der Nacht würde ich allerdings noch Im Aufruhr jener Tage lesen, weil es quasi die Vorgeschichte dazu ist 😉
LG, Bri
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Meinen Dank an die Erinnerung an diesen Mann. Ich las einzig „Mytic River“ von ihm – wird Zeit dass bei so einer fundierten Empfehlung – zu ändern!
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