Donald Antrims Sicht auf die Welt – It’s a man’s world

978-3-499-27077-2Antrim erschafft Charaktere für das Gedankenkopfkino, sie sind nicht sympathisch, sie sind zerrissen, sich selbst gegenüber unehrlich und sie entlarven sich, während sie von anderen erzählen. So wie es eben auch entlarvend ist, was man selbst über andere Menschen denkt, wenn man denn befähigt ist seinen inneren Gedanken die die Handlungen beeinflussen zuzuhören, sie zu ertragen und möglichst objektiv – soweit das in der Subjektivität überhaupt möglich ist – damit umzugehen. Antrim ist für mich der Großmeister der inneren Stimme. So auch in diesem Kammerspiel getragen vom Ich – Erzähler der, eingepfercht mit seinen 100 Brüdern – einer fehlt – in der Bibliothek des Vaters seine Sicht seiner beschränkten kleinen Welt schildert. Einer beklemmenden, vollkommen patriarchalischen Welt in der Frauen nicht existent scheinen, die dem Gesetz des Stärkeren unterworfen ist, in der die pubertären Rangeleien um Status und Rangordnung nie beendet sind. Einem Zerrspiegel der Wirklichkeit, oder einer von vielen Realitäten.

„Das Problem, eine Person zu beschreiben, ist im wesentlichen identisch mit dem Problem eine Person zu kennen. Eines der traurigsten Charakteristika der meisten engen Beziehungen ist das Verschwinden von Vertrautheit und Nähe, bedingt durch Zeit, Hektik und all die kleinen Missverständnisse, wie sie zwischen Individuen zwangsläufig vorkommen und die sie über Jahre hinweg zu den immer gleichen leidigen Endergebnissen führen. : Gespräche verstummen, bei Freundschaften zerbrechen. Nach dieser Feststellung sei mir gestattet einzuräumen, dass es sich bei meinem Bruder Hiram um ein unglaubliches Arschloch handelt. Er ist schlicht und einfach ein absoluter Scheißkerl.“

Hier treffen Absurdität, Witz, Geist und Spielfreude aufeinander. Spritzig, wenn auch teils prätentiös (doch das muss man aushalten gehört zum „Spiel“) seziert Antrim Menschen, ihre Beweggründe, Antriebe. Legt bloß was sonst im Verborgenen bleibt. Beleuchtet das Leben, Menschheit und Gesellschaft auf absurde, skurrile, aber deswegen nicht weniger wahrhaftige Art. Unheimlich vertraut und doch so gänzlich anders sind seine Figuren, die er in einer eigens dafür gestalteten kleinen Welt zu Königen und Bettlern derselben macht.

Als Leser ist man im einen Moment hingerissen, im nächsten schockiert, überrascht, angewidert und begeistert. Saugt das, hervorragend, Geschriebene auf, verliert sich in seinen eigenen Gedanken um dann wieder einzutauchen in die seltsame Welt des Donald Antrim, die unserer eigenen doch immer wieder gleicht.

Ein Freund meinte kürzlich, wir hätten alle unsere eigenen kleinen Welten um glücklich zu sein. „Happy little worlds“, die sich –  Erfüllung der Grundbedürfnisse vorausgesetzt – durchweg sehr voneinander unterscheiden.

Das Universum des Donald Antrim ist ein Universum der Egoisten und Narzissten. bevölkert von armseligen Kreaturen, die zwar intellektuell entwickelt sind, emotional jedoch verkümmert. Es gilt: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral“, wobei der Moralbegriff sehr dehnbar ist und Ausreden schnell bei der Hand sind.
Er zeichnet das Bild einer Gesellschaft, die Wachstum und Profit vor alles andere gestellt hat. Gleichzeitig legt er den Finger auf die Wunden, offenbart die Verletzlichkeit aller und, wie im Falle des Erzählers Doug, dessen und deren Schwachstellen. Großartige Literatur und Lesevergnügen, wobei ich schätze, dass sich die Geschmäcker hier teilen. Antrim kann man lieben oder hassen. Kalt lässt er wohl niemanden. Klare Leseempfehlung für Menschen die das Besondere suchen und goutieren. Ob und wie es euch gefällt ?

Von mir 3 Dodos und Lesehighligtanwärter 2016 auch wenn es mehrere Pausen brauchte, bis das eigentlich recht dünne und doch so komplex komprimierte Werk bewältigt war. Die 100 Brüder lassen sich nicht einfach so weglesen. Manchmal musste ich dringend auftauchen aus dieser engen, überbevölkerten Apokalypse des Patriarchats in Gestalt des versoffenen Ich – Erzählers. Das Gesamtkunstwerk und Erlebnis möchte ich allerdings nicht missen.

Eine andere Sichtweise auf 100 Brüder ist hier zu finden:

Dieser Besprechung bin ich verfallen und kam so auf das Buch. Danke an bookster HRO

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: 22. April 2016
  • Verlag : ROWOHLT Taschenbuch
  • ISBN: 978-3-499-27077-2
  • Taschenbuch: 224 Seiten

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