„Stadtgeschichten“ auf Sizilianisch

Ein Mann verliert seine große Liebe durch einen derart banalen Unfall, dass man beim Lesen laut „Stopp!“ schreien und intervenieren möchte, denn so wirklich zutiefst sinnlos darf doch ein wichtiger Mensch nicht aus dem Leben gehen. Aber wir wissen ja, dass das Leben oft nicht gerecht ist, und so muss sich Konrad den Tatsachen – und vor allem seinem neuen Leben ohne Adriano – stellen.

Die beiden hatten mangels Kinder in der Beziehung ein äußerst frei gestaltbares und luxuriöses Dasein, das sich zwischen Rom (Konrad), Berlin (Adriano) und Noto auf Sizilien (beide) abspielte. Nun reist Konrad alleine, im Gepäck nur den geliebten Hund, zurück ins gemeinsame Rückzugsnest, ins gemeinsam gebaute Haus nach Sizilien, um auszuloten, was dieser Ort nun noch für ihn darstellen kann: Wird es nur der blanke Horror ohne Adriano? Wird es ein Ort des leisen Glücks, weil er so viele gemeinsame Erinnerungen birgt? Kann Konrad hier noch leben oder erdrückt ihn alles so sehr, dass er das Haus verkaufen muss?

Im Haus daneben hat die beste Freundin der beiden, Jenny, mit ihrem Mann und den Kindern ebenfalls den Traum vom Zweitwohnsitz im mediterranen Idyll verwirklicht und somit ist Konrad nur bedingt alleine. Über all die vielen Jahre waren Konrad und Adriano mit Jennys Familie zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen, Konrad Patenonkel geworden bei einem der Kinder und emotional wirklich eng verwoben. Zu diesem Personenkreis kommt noch Santi hinzu, der Mitbewohner Adrianos aus dessen WG in Berlin.

Alle Betroffenen versuchen ihre Trauer um Adriano auf ihre Weise zu verarbeiten, dabei versucht vor allem Konrad verschiedenste Wege aus, die ihn nicht immer gleichermaßen glücklich machen.

Im Gepäck, das muss man hinzufügen, war jedoch außer Hund Jack tatsächlich noch etwas mehr, nämlich ein wenig Asche von Adriano, die Konrad unerlaubterweise abgefüllt hat, um sie nun irgendwo in, auf oder um Sizilien herum zu verstreuen. Aus Unsicherheit, wo genau wohl der beste Platz dafür sein könnte, beginnt Konrad eine Art Abschiedstour auf Sizilien, bei der wir als Zuschauer unglaublich viel Liebe mitbekommen zu dieser verrückten Insel. Mythen, geografische Informationen, das Pro und Contra des Tourismus‘ vor Ort und sei er noch so ökologisch gemeint von liebevollen Aussteigern, Skurrilitäten – wir lachen, weinen, staunen und schütteln den Kopf während wir an Konrads Seite über die Insel fahren. Mal hat er Santi an Bord, mal Jenny – mal ist es melancholisch, mal lustig, mal ernsthaft.

Kunstvoll verwebt der Autor zusätzlich das Thema vom Lebenstraum des Zweitwohnsitzes im Süden mit der restlichen Geschichte. Die Erörterung, inwiefern die Zugereisten abseits aller Olivenöl-Herstellung, aller gutgemeinter Sizilienliebe integriert oder doch nur geduldet werden, treibt die Geschichte voran.

Und all die kuriosen Momente, das charmant-verrückt Chaotische macht diese Vielzahl an Themen und Figuren zu einem ähnlichen Vergnügen wie die „Stadtgeschichten“ von Armistead Maupin. Obwohl die Geschichten von Maupin in einem ganz anderen Setting spielen, musste ich die ganze Zeit beim Lesen daran denken.

Eine große Leseempfehlung von mir! Tiefgang mit Leichtigkeit kombiniert ist immer klasse.

„Noto“ von Adriano Sack ist im Februar 2024 als gebundenes Buch im Verlag Nagel und Kimche erschienen. Mehr Informationen zu diesem Buch durch Klick auf den Verlagsnamen oder auf das Bild.

3 Gedanken zu “„Stadtgeschichten“ auf Sizilianisch

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  2. Alles klar, das muss ich lesen. Sizilien mit dem Motorrad ist zwar schon lange her, aber die Insel istvmir sehr in Erinnerung geblieben. Und na die Stadtgeschichten von Maupin, damit hast Du mich ja vor langer Zeit angefixt. LG Bri

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