Das könnte eine neue Rubrik bei uns werden: Bücherschrankfunde oder Wie die Bücher uns fanden ;-)
Ich muss ja generell in jede Wühlkiste mit reduzierten, kostenlosen oder zum Tausch angebotenen Büchern einen Blick werfen, denn es könnte ja sein, dass genau DAS Buch dort auf mich wartet, das mir gerade zu meinem Glück fehlt. Und letzte Woche war es genau so. Ich hatte mit meiner Kollegin den Entschluss gefasst, 2024 jeden Monat ein Kinder- oder Jugendbuch zu lesen und was hüpft mir in die Arme? „Boy in a dead end“ von Karl Olsberg.
Kannte ich nicht, klang aber spannend. Worum geht es? Wir befinden uns ein paar Jahre unserer Zeit voraus, irgendwann in den 2030er-Jahren, die Technik ist also um einiges vorangeschritten.
Ein Junge im Teenageralter ist an ALS erkrankt, einer (auch dann noch) unheilbaren Nervenkrankheit, bei der das Nervensystem allmählich zerfällt und schließlich die Lungen kollabieren. Manuel ist körperlich ein Wrack und kann sich nur noch dank seines hyperintelligenten, von KI gesteuerten „Rollstuhls“ Marvin bewegen. Anführungszeichen deshalb, da, würde er das lesen, der kluge und wortgewandte Stuhl beleidigt wäre und lautstark protestieren würde. Natürlich ist er nicht nur ein Rollstuhl, er ist viel mehr: Er ist zusätzlich auch Gesprächspartner, Freund und Pfleger.
Geistig ist Manuel völlig fit, noch hat die Krankheit sein Gehirn nicht angegriffen, dennoch sind seine Prognosen mehr als düster, vielleicht noch ein halbes Jahr geben ihm die Ärzte. Als der Vater da auf einen Artikel über einen Unternehmer stößt, der behauptet, bereits Tiergehirne gescannt zu haben und diese in einer Art Computersimulation mit Avatar zu „neuem Leben erwecken“ kann, scheint das der Silberstreif am Firmament zu sein: Ist eine „Rettung“ Manuels möglich?
Während Manuel und sein Vater Feuer und Flamme sind, verhärten sich die Fronten innerfamiliär immer mehr, da die Mutter sehr religiös ist und die ältere Schwester schlicht skeptisch bleibt, denn, um das Gehirn der Tiere scannen zu können, mussten sie zuvor getötet werden. Auch Manuel müsste diesen Weg wählen. Für ihn macht das jedoch keinen großen Unterschied, da er weiß, dass ihm eh nur noch wenige Monate bleiben.
Spannend beleuchtet der Autor die vielen Aspekte, die sich angesichts einer solchen Option vor einem auftun, indem er sie den verschiedenen Protagonisten, also dem rational denkenden Vater, der religiös-emotionalen Mutter, der skeptischen, aber weltoffenen Schwester Julia und dem betroffenen, völlig technikaffinen Manuel in den Mund legt und so alle Seiten dieser unfassbaren Fragen beleuchten kann. Darf man so etwas versuchen? Was passiert mit der „Seele“, wenn die Gedanken Manuels in einer Art Computersimulation festgehalten werden? Kann das überhaupt funktionieren? Ist das moralisch, ethisch okay oder verwerflich?
Alles überschlägt sich, als der Visionär und Unternehmer Henning mit Manuel und dieser Idee an die Öffentlichkeit geht, ein Shitstorm der besonderen Art ergießt sich über Manuels Familie und sie müssen sich plötzlich mit viel mehr Themen befassen als „nur“ mit dem bevorstehenden Tod Manuels.
Diese Buch entwickelt Handlungsstränge, mit denen man niemals gerechnet hat, nichts ist, wie es scheint und doch ist alles irgendwie logisch. Es entwickelt an den besten Stellen eine starke Sogwirkung, an anderen wiederum wirkt es manchmal etwas konstruiert, aber dennoch plausibel. Tatsächlich, wie auf der Rückseite beschrieben, ein mutiges Buch zu einem brandaktuellen Thema – Künstliche Intelligenz. Wie weit darf sie gehen? Was sind Argumente dafür, was Argumente dagegen? Wie lange ist ein solches Experiment noch privater Natur und wo beginnen die Auswirkungen, die ein solches Experiment auf die gesamte Gesellschaft haben könnte?
Klug, innovativ, Neuland betretend, emotional – ein Thriller, der einen mitreißt und Grundlage für viele Diskussionen darstellen kann. Starke Leseempfehlung für kluge, streitbare Köpfe!
„Boy in a dead end“ von Karl Olsberg ist im 2019 im Loewe Verlag erschienen. Mehr Informationen gibt es durch Klick auf den Verlagsnamen oder das Bild.


Es ist eben eine Sucht 🤷♀️🙏😇
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:D Mir geht es auch so ich wühle mich durch jeden offenen Bücherschrank und durch jeden Flohmarkt
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