Olivia Benteles 50. Geburtstag fängt an, wie er nicht sollte: Erst gibt ihre Kaffeemaschine ihren Geist auf, dann klingelt es an ihrer Tür und ein zugegebenmaßen äußerst attraktiver fremder Mann steht vor ihrer Tür. Zunächst denkt sie es sei ein neuer Klient, dessen Termin sie vergessen hatte – Olivia ist Psychologin und somit an viele Erscheinungen gewöhrt – als sie seine Aufmachung genauer betrachtet wird sie stutzig. Er trägt ein schwarzes Cape und führt eine Sense mit sich und gibt vor, sich in der Tür geirrt zu haben. Ursprünglich wolle er zu einer älteren Nachbarin von Olivia, sie seien verabredet. Als es dann kurz darauf noch einmal an Olivias Tür klingelt, steht leider nicht der merkwürdig gekleidete Fremde vor der Tür, sondern Olivias Ex-Mann, der – da ist sie sich von Anfang an sicher – ihren Geburtstag vergessen hat, und ganz sicher aus egoistischen Gründen vorbeigekommen ist.
Hans Raths neuer Roman mit dem mehrdeutigen Titel „Jetzt ist Sense“ fällt nicht unbedingt in mein Beuteschema, aber ich bin ja prinzipiell ein ziemlich neugieriger Mensch und so wollte ich schon gerne wissen, wie sich das, was da so turbulent genau am 50. Geburtstag der Psychologin Olivia Bentele beginnt, aufllösen lässt. Tatsächlich ist der Mann im Cape nach eigener Aussage nämlich nicht von dieser Welt und sein Job ist, es den letzten Weg bestimmter Menschen so sanft wie möglich zu gestalten. Er ist also der Gott des sanften Todes, des Todes, den wir uns wohl alle wünschen. Die Annahme, er habe sich in der Tür geirrt, ist leider nicht so ganz richtig – ganz falsch ist sie auch nicht, denn Frau Keller wartet vielleicht nicht unbedingt auf ihn, aber eine Verabredung haben die beiden dennoch. Als bei Frau Keller später niemand öffnet und Olivia dem Hausmeister glaubhaft machen kann, dass sie besorgt ist, tut dieser ihr den Gefallen und öffnet die Wohnung mit dem Generalschlüssel. Tatsächlich ist Frau Keller friedlich auf ihrem Sofa entschlafen – und Olivia ist sich sicher, dass der Fremde etwas damit zu tun hat und meldet ihn bei der Polizei. Schon am nächsten Tag läuft er ihr wieder über den Weg, allerdings ohne Cape, ohne Sense, aber mit einem weltlichen Namen: Ab jetzt ist er Zino Angelopoulos für Olivia. Denn ihre Wege kreuzen sich immer wieder, bis klar ist, dass das nicht zufällig passiert und Zino aka Thanatos eigentlich keinen Bock mehr darauf hat, nur der Handlanger von Hades (der durch das Flüstern eines Namens bestimmen kann, dass die Moiren sich Gedanken darüber machen, wann sie den Lebensfaden des Namensträgers endgültig zerschneiden und somit den Todeszeitpunkt festsetzen) zu sein. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf.
Sowohl mit dem Thema Tod als auch den alten Geschichten um die griechischen Gottheiten hat sich Rath eingehend befasst. Das wird mit fortschreitender Lektüre der flüssig lesbaren und durchaus auch erheiternden Romans klar. In Zeiten von Corona und dem Ukraine Krieg ein nicht ganz einfaches Unterfangen, gerade auch deshalb, weil ja heute auch alles sehr „woke“ betrachtet wird. Rath schafft es jedoch wunderbar, die Grenzen des Gechmackvollen, Angebrachten nicht zu überschreiten. Im Gegenteil, er schafft es, den blick auf den Tod, der uns nun mal alle irgendwann ereilen wird, zu verändern.
Habt ihr euch jemals gefragt, wie es wäre, nicht zu sterben? Ewig zu leben? Spätestens nach der Lektüre von Simone de Beauvoirs „Alle Menschen sind sterblich“, wollte ich das nicht mehr wissen. Wie einsam es doch sein muss, wenn alle Menchen, die einem wichtig sind, gehen und man als Einzige*r übrig bleibt, nur um Jahrhunderte lang mit zu erleben, dass die Menschheit an sich immer wieder dieselben Fehler macht. Eine andere Frage, die mich manchmal umgetrieben hat, ist – was wäre wenn ich meinen Todeszeitpunkt genau kennte? Diesen Fragen widmet sich Rath subtil und doch eindringlich. Und genau das macht das humorvolle Buch, neben den fein ausgearbeiteten Charakteren, sehr lesenswert
Jetzt ist Sense von Hans Rath ist im Februar 2023 als Taschenbuch bei DTV erschienen. Für mehr Infos zum Buch per Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder auf der Verlagsseite.