Weder vergeben noch vergessen

Vor ein paar Jahren bin ich so ein wenig ungewollt, mittlerweile aber sehr glücklich darüber, in die Rolle einer Gruppenmoderation für die Backlist-Lesen Gruppe des Diogenes Verlags auf Facebook gerutscht. Eigentlich bin ich dort ein ganz normales Grupppenmitglied und hatte nur so eine spontane Idee, die ich der Gruppe vorstellte: Wie wäre es, wenn wir uns ab und an gemeinsam ein Buch aus der wirklich ergiebigen Backlist (ganz grob also alles, was nicht im aktuellen Jahr neu erschienen ist) aussuchen, es zwar örtlich getrennt voneinander lesen, aber dann regelmäßig über vorher eingegrenzte Abschnitte in der Gruppe diskutieren würden? Es fanden sich einige Mitstreiter:innen, die erste Leserunde bezog sich auf „Spinner“ – ein Roman von Benedict Wells, der quasi der Pate der Gruppe war, wie genau das wiederum zustande kam, kann ich im Moment nicht wirklich sagen – und wir groovten uns langsam ein. Zunächst wählten wir eine:n Autor:in und dann wieder wurde basisdemokratisch abgestimmt, welches Buch es sein sollte. Dabei waren auch für mich einige Bücher dabei, die ich zwar im Regal stehen, aber noch nicht gelesen hatte. Und einige, die ich ohne die Gruppe nie gelesen hätte. Wir gehen in unseren Leserunden immer ganz unvoreingenommen und ohne vorher erstellen Fragenkatalog, also anders als viele Lesekreise es tun, vor. Denn Spaß soll es machen und völlig zwanglos sein. Irgendwann wollten wir auch – getriggert von der erstarkten #blacklivesmatter – Bewegung – etwas von einem:r schwarzen Autor:in lesen und haben gemerkt: Hoppla, die sind ja im Verlag ganz schön unterrepräsentiert. Valerie Wilson Wesley war eine der Autorinnen, die mir einfiel und von der ich einige Romane gelesen habe – leider war aber nichts mehr von ihr lieferbar. Unsere Enttäuschung darüber scheint auch im Verlag angekommen zu sein – jedenfalls wurde nun die Krimireihe um Wilson Wesleys coole Ermittlerin Tamara Hayle wieder neu aufgelegt …

Tamara ist alleinerziehende Mutter und Detektivin – eigentlich war sie Polizistin, aber seit einem Vorfall auf dem Revier, der ihr gezeigt hat, wie sehr auch hier Alltagsrassismus betrieben wird , hat sie sich quasi aus der Schußlinie begeben und beruflich auf eigene Füße gestellt. Als ihr Ex-Mann und Vater ihres Sohnes sie bittet, den Tod eines seiner anderen drei Söhne zu untersuchen, weil er weder an einen Unfall noch an Selbstmord glaubt, nimmt sie sich eher widerstrebend des Falls an. Sie braucht Geld, muss Rechnngen bezahlen und etwas neugierig ist sie auch. Als dann kurz darauf der zweite Sohn ihres Ex-Mannes tot aufgefunden wird, glaubt auch sie langsam, dass die Polizei nicht ganz sauber arbeitet. Da beide junge Männer nicht immer ganz gesetzteskonform gelebt haben und PoC waren, geht die Polizei eben nicht von einem Gewaltverbrechen aus. Tamara wird langsam in eine alte Geschichte hinein gezogen, die auch sie oder besser gesagt, ihren Sohn zu bedrohen scheint. Beinah zu spät findet sie die Verbindung, die alles erklärt.

Etwas früher als Tamara erkannte ich eine Person, die mir verdächtig war – allein ein Motiv konnte ich nicht finden. Tamara allerdings hatte merhere Verdächtige im Visier. Ablenkungen waren derer einige und so hat Wilson Wesley den Spannungsbogen bis Schluß bravourös gehalten. Dabei schafft sie es spielend, Einblicke in die black community zu geben und dabei die Ungerechtigkeiten, denen Menschen auch heute noch aufgrund von Hautfarbe oder Herkunft ausgesetzt sind ohne Gewese sehr deutlich zu machen. Im Original ist dieser erste Band der Tamara Hayle Reihe 1994 erschienen und es ist erschreckend, wie sehr sich die Zustände in diesem Punkt den heutigen gleichen.

Was allerdings anders ist, sind die Methoden, die eine Ermittlerin in den 1990er Jahren zur Verfügung hatte. Keine Smartphones, kein social media, direkte Kommunikation und Menschen mit vielen Kontakten, netztwerken im echten Leben also, ist hier gefragt. Das machte die Lektüre für mich sehr angenehm und erholsam, wenn auch aufgrund der tatsächlich gebotenen Spannung, nicht langweilig. Ich freue mich darauf, Tamara Hayle nun weiter folgen zu können und habe in ihr eine neue Lieblingsermittlerin gefunden. Ich bin gespannt, wohin ihre Reise gehen wird,, beruflich, als auch privat, denn auch hier hat Wilson Wesley wohl noch einiges parat, wie mir scheint.

Ein Engel über deinem Grab ist als Taschenbuch im Oktober 2021 im Diogenes Verlag neu aufgelegt worden. Für mehr Informationen zum Buch über Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder direkt auf der Verlagsseite.

3 Gedanken zu “Weder vergeben noch vergessen

  1. ich bin schon gespannt, welche Connie Palmen herauskommt bei der Backlist. Wenn es jene ist, die bei mir zu Hause herumkugelt, dann mache ich mit. Neue Bücher kaufen darf ich derzeit nicht, bevor ich nicht die alten weggebracht habe und ich trenne mich ja so schwer. Mein Mann ist eh sehr geduldig bei den ganzen Bücherstapeln, die mittlerweile in jedem Zimmer außer dem Bad herumliegen.

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