Wenn ein Kinder-/Jugendbuch es schafft, auch eine erwachsene Leserin zu begeistern, ist das nicht unbedingt ein Merkmal für höhere Qualität, aber es zeigt doch sehr deutlich, dass der Text auf unterschiedlichen Ebenen sehr gut funktioniert.
So geschehen bei dem Titel „Eine Prise Magie“, dem Auftakt zu einer soliden Fantasy-Trilogie der Britin Michelle Harrison.
Drei Schwestern leben mit ihrer Großmutter auf der Insel Krähenstein, in direkter Nachbarschaft zu den wenig einladend klingenden Eilanden „Insel der Qualen“, „Insel der Klagen“ und „Insel der Sühne“. Tonangebend für das Leben aller ist das Gefängnis mit dem schaurigen „Krähensteinturm“ auf der „Insel der Sühne“ – denn eigentlich haben fast alle hier familiäre Verbindungen auf die eine oder andere Art zu dieser Institution. Die einen arbeiten dort, die anderen haben jemanden aus der Familie dort einsitzen. So auch die drei Widdershins-Schwestern Betty, Fliss und Charlie, deren Vater derzeit für fünf Jahre hinter Gittern ist.
Weil ihre Mutter bereits vor Jahren verunglückte, helfen sie, elternlos, wie sie sind, im Schankhaus „Wildschütz“ der Großmutter, dem zentralen Ort des gesellschaftlichen Lebens der Krähenstein-Insel.
An ihrem 13. Geburtstag plant Betty einen geheimen Ausflug mit ihrer kleinen Schwester, um endlich mal mehr von der Welt zu sehen, als immer nur die kleine Heimatinsel und das schmuddelige Wirtshaus. Doch leider läuft alles schief und die Fähre, mit der die Mädels ablegen, gerät im Nebel vom Kurs ab und nur in letzter Sekunde kann die umsichtige Großmutter die beiden aus der misslichen Lage retten. Die folgende Standpauke des Familienoberhauptes hat es in sich – und schließlich eskaliert die Situation, denn Betty rastet aus. Unter dem Zugzwang der Ereignisse entschließt Granny sich überraschenderweise, den Mädels die Wahrheit zu sagen über den uralten Fluch, der auf den Frauen der Familie lastet und den daraus resultierenden Konsequenzen: den Widdershins-Frauen ist es nicht möglich, die Insel zu verlassen – wenn sie es doch tun, sterben sie noch vor dem Morgen des nächsten Tages … Der einzige Trost, der sich ihnen bietet, ist die Tatsache, dass es drei magische Gegenstände gibt, die nur bei ihnen funktionieren und die ebenso von Generation zu Generation weitervererbt werden, wie der Fluch.
Nach einer anfänglichen Schockstarre verfällt die umtriebige Betty sofort wieder in ihren „Einfach-machen-Zustand“, der sie deutlich von ihrer älteren, nachdenklicheren Schwester Fiss unterscheidet. Doch auch diese ist diesmal überzeugt, dass sie handeln müssen, denn einfach nur hinzunehmen, dass man verflucht ist, das passt nicht zur Mentalität der Mädchen. Als sie nachts nicht schlafen kann, beginnt Betty in der Kiste mit Familienandenken zu wühlen und entdeckt dabei einen Stapel Briefe, deren Inhalte einige Rätsel aufwerfen, aber andererseits auch neue Perspektiven bieten, denn was, wenn die Großmutter all die Monate gar nicht den Vater der Kinder im Gefängnis besuchte, sondern jemand ganz anderen?
Die Widdershins-Mädchen kommen einer Tatsache auf die Schliche, deren Tragweite sich ihnen nicht sofort erschließt und die doch alles ändern kann. Doch dazu müssen sie zusammenhalten, ihre Großmutter betrügen und sehr, sehr mutig sein.
Wir begleiten diese drei Mädels, die sich schnell einen Platz im Herzen der Leser*innen erobern, denn alle drei sind grundverschieden und doch hat jede ihre Daseinsberechtigung und ist gerade wegen ihrer Eigenart so besonders – und wichtig! Ein Buch, das natürlich gewisse Stereotype bedient, das aber vor allem auf einfühlsame Weise allen, die lesend mit ins Abenteuer hineingezogen werden, klarmacht, dass es nicht den einen guten Charakterzug gibt oder den einen äußerlichen Vorzug – sondern dass vor allem das Zusammenspiel verschiedenster Persönlichkeiten und Eigenschaften zum Erfolg führt. So ist Charlie zwar die kleine, unerfahrene Schwester, sie ist aber gleichzeitig sehr impulsiv und wendig und längst nicht so ängstlich oder von wenig Nutzen, wie anfangs vielleicht befürchtet.
Das Abenteuer, das die drei so ganz ohne ihre Großmutter, dafür aber zum Glück mit einem Freund, der sich recht schnell zu Beginn der Geschichte „auftut“, meistern müssen, ist dabei nicht nur Pillepalle. Hier wird nicht zimperlich miteinander umgegangen und der Ton, der zeitweilig durch Häftlinge, Wärter oder andere Rüpel angeschlagen wird, ist durchaus ein handfester und rauer. Das ist aber positiv zu werten, denn somit wird unterbunden, dass das Buch in Richtung Kitsch oder Triviales abrutscht. So bleibt das Ganze oftmals glücklicherweise düster, dunkel, ruppig und wird nicht durch Rüschen, Einhörner oder Feenstaub entwertet.
Ein Buch, das ein wenig Märchen, ein wenig Fantasy, ein wenig (altersgerechten) Grusel vereint und dies in eine bildgewaltige Sprache gießt, die trägt und unterhält. Hier zischt und brodelt es, hier ist es auch mal kalt und ungemütlich, aber dann auch wieder wohlig warm und gut im Schoße der Familie.
Eine Geschichte, die für Jungs und Mädchen gleichermaßen funktionieren kann, die einen wegträgt ins Reich der erdigen, magischen Zauberei.
Gerne vergäbe ich 5 fünf 5 Sternen, wenn ich denn welche hätte 😉 *hexhex*
„Eine Prise Magie“ von Michelle Harrison ist 2019 im Atrium Verlag – und dort in dem Imprint WooW Books – erschienen. Der zweite Band namens „Ein Hauch von Zauberei“ ist seit September 2020 erhältlich. Mehr Informationen zu den Büchern und dem Verlag durch Klick auf das Cover oder den Verlagsnamen.