Bereits mit der ersten Kapitelüberschrift hatte mich die Autorin in ihrem Zaubernetz, das sie mit jeder Seite des Romans weiterwebt, eingefangen.
„Der Morgen an dem die Kojoten in die Stadt kamen.“
Lou ist in Los Angeles‘ Peripherie gestrandet, schreibt Drehbücher, und ist, wie so viele, erfolglos. Ein Leben unter vielen in dieser Stadt, die die Hollywoodträume der meisten Bewohner nicht erfüllt. Sie versucht Kontakte aufzubauen, an die erfolgreichen Filmschaffenden heranzukommen und hofft, wie fast alle, auf die Chance, die ihr Leben von Grund auf verändert. In Gestalt eines alten Schulkameraden bietet sich die Gelegenheit. Josh ist in der Branche erfolgreich und bietet ihr an, sie zu einem Workshop mitzunehmen.
„Hast du Lust, ein paar Hexer kennenzulernen?“
Wer würde da ablehnen und tatsächlich sind die „Hexer“ bereit Lou anzuschauen und zu testen. Sie besteht, welche Kriterien auch immer ausschlaggebend waren, das wird nie deutlich, es spielt wohl die „Aura“ und die Willfährigkeit, Dinge und Aufgaben ohne hinterfragen zu erledigen, eine entscheidende Rolle. Lou ist bereit ihren Namen zu ändern.
„Es ist ein Skandal definiert zu werden.“
Ihre alte Haut abzustreifen und ihre Vergangenheit sowie die Menschen, die sie unter ihrem früheren Namen kannten, hinter sich zu lassen. Sie macht, was die Hexen ihr auftragen und saugt ihre knappen Lehren auf. Tatsächlich verbessert sich ihr Leben, sie nimmt eine Tochter auf, diese bringt die Katze Sophie dazu, sie lässt alles hinter sich, studiert dank der Intervention und finanziellen Zuwendung der Hexen wieder und versucht alles, um dem Mentor, dem Oberhexenguru und seiner Apanage zu gefallen.
Zu Beginn des Buches gefiel mir die Atmosphäre des Buches. Der Stil der Ich-Erzählung wirkte frisch, Sprache und Dialoge authentisch. Die Beschreibung der Stadt, der Landschaft, der Düfte, Pflanzen, Tiere, Geräusche, Menschen und des Klimas, die den magischen Rahmen für diese Geschichte schaffen, ist gelungen, versetzt die LeserInnen in ein flirrendes Ambiente, das die nichtschillernde Seite hervorhebt und dennoch einen eigenen Charme erschafft. Irritiert hat mich die Weiterentwicklung der Protagonistin, die dem Sog, den die Hexen und besonders der mexikanische Mentor entwickeln, nichts entgegensetzt, sich völlig unterwirft. Sekten gehen auf diese Weise vor: Absonderung der Neumitglieder, Gehirnwäsche, völlige Übernahme. Je mehr Seiten verflogen desto beklemmender, einengender wurde das Bild, trotz der Vielfalt an Eindrücken, die den LeserInnen geboten wurden. So ging der Anfangszauber immer mehr verloren und Unlust machte sich bemerkbar.
Lou geht auf das Spiel der „HexerInnen“ ein, befolgt die Regeln und gewinnt. Einen neuen Namen, eine Existenz abseits ihrer bankrotten Firma, neue Kontakte, Selbstbewusstsein, das sie aus den Lehren des Mentors und der Hexen zieht, und wird sich ihrer selbst bewusst Sie ist aber auch total auf die Gunst der ZauberInnen angewiesen, lässt sich zurechtweisen, wird enttäuscht, versetzt und bemüht sich fortwährend zu erahnen, was denn eigentlich diese kryptischen Äußerungen, die sie augenscheinlich zum Selberdenken animieren sollen, bedeuten. Lou bleibt flach, eine Suchende, mit trauriger Vergangenheit,von der sie sich mit Hilfe der anderen zu befreien trachtet.
Die Autorin zieht die Trennlinie zwischen Magie und Realismus bewusst unscharf, baut darauf, die Atmosphäre des Romans dadurch zu verstärken. Das funktioniert einerseits, mir gingen dieses widerspruchslose Handeln der Protagonistin und die nichtssagenden Dialoge mit den „Hexen“ allerdings zunehmend auf die Nerven. Auch die Zeitsprünge und Erinnerungen an ihre Kindheit, ihr Verhältnis zu ihrer psychisch gestörten Mutter, die schöne Zeit bei den Großeltern und deren Garten, all dies Durcheinander aus kleinen Splittern und Puzzlestückchen, [aus dem sich Lous bisheriges Leben zusammensetzte, bringen keinen Sog oder Drive in diese Erzählung. Diese gewollt mystisch-magischen Gespräche und Telefonanrufe mit dem Mentor, der bruchstückhafte, mäandernde Erzählfluss, der zwar Atmosphäre herstellt, diese im selben Zug aber wieder zerstört, weil er nichts aussagt. Als LeserIn gleitet man nicht durch Lous Los Angeles, man hüpft mühsam von Erinnerung Erlebnis und dabei verliert sich die Persönlichkeit der Protagonistin in Desinteresse. Lou bleibt eindimensional.
Mit dem Auftreten des Mentors:
„Scheiß auf die Hoffnung“ sagte er. „Hoffnung ist für Bettler. Es gibt nur Entschlossenheit.“
und der übrigen Hexen auf der Bildfläche wurden meine Erinnerung an den vor vielen Jahren verschlungenen Autor Carlos Castaneda und seine Buchreihe um die „Lehren des Don Juan“ immer präsenter. Auch Don Juan, der spirituelle Zauberer verlangte seinem Schüler, der angeblich Castaneda war, diese völlige Selbstaufgabe ab, erteilte Anweisungen, sonderte unklare Weisheiten ab, doch immer folgte die Begründung und Erläuterung, es war nachvollziehbar und tatsächlich anregend um sich selbst zu reflektieren, nachzudenken, zu überprüfen.
Erdbebenwetter erscheint mir an etlichen Stellen des Romans fast als der Versuch, das feminine Pendant zu den Lehren des Don Juan zu sein. Zumindest wird sich hier bedient: Auch Lou soll ein Krieger (wieso eigentlich nicht Kriegerin, da dachte ich wären wir weiter) sein, ihre Fähigkeiten herausbilden, ihre Doktorarbeit schreiben. Doch Castaneda hat es, im Gegensatz zu Zaia Alexander vermocht, einen Sog in seine Erzählungen über die spirituellen Erfahrungen des Lehrlings zu bringen. In Erdbebenwetter reihen sich Binsen an Plattitüden und es ist, zumindest für mich, unmöglich nachzuvollziehen, weshalb sich Lou auf diese ganze Chose einlässt. Die einzige Erklärung ist, dass ihr Leben davor so mies war, dass jede Veränderung gut ist und es sein könnte, dass die Autorin damit das Lebensgefühl etlicher Menschen um die 30 beschreibt. Ist es fair, in Debüt mit einem Klassiker der „Erleuchtungsliteratur“ zu vergleichen? Natürlich nicht, aber wer Don Juan kennt, wird sich dem kaum entziehen können. Er ist als Mentor ist eine ganz andere Hausnummer, verfügt über Humor, Verschmitztheit, Ernsthaftigkeit und seine Weisheiten sind wirklich hilfreich.
„Du nimmst dich zu ernst. Du bist in deinen Augen zu verdammt wichtig. Das muss sich ändern. Du bist so gottverflucht wichtig, dass du glaubst, das Recht zu haben, an allem Anstoß zu nehmen.
Du bist so verdammt wichtig, dass du es dir leisten kannst, abzuhauen, wenn nicht alles so läuft, wie du willst.“
Die möglichen Lesarten dieses Romans, sind zu Beginn verlockend. Vielversprechend glitzert das atmosphärische Los Angeles, das die Autorin in ihrem Debüt erschafft. Doch magisch ist gar hier nichts. Das Versprechen wird nicht gehalten und die Verlockung wandelt sich zu Ennuie. Erdbebenwetter kommt ohne Höhen und Tiefen daher, vor sich hinplätschernd und im Falle von Lou plappernd, Trivialitäten zu Ereignissen deklarierend, ermüdend. Das kann als Spiegel der modernen, oberflächlichen Gesellschaft interpretiert werden und hätte so seine Berechtigung. Gefallen hat es mir nicht. Der Fade out am Ende, der eine optimistische Zukunft für die ehemalige Lou und ihre Tochter andeutete, hinterließ mich nur erfreut und dankbar, weil es endlich ein Ende gab. Diese Protagonistin ging mir zunehmend auf den Keks. Die Geschichte vermag nur anfangs zu fesseln. Das „Zaubernetz“, gewoben aus vielen verschiedenen Komponenten erwies sich bald als nicht tragfähig, denn die Erlebnisse der Erzählerin plätschern dahin, je mehr sie erzählte, desto beliebiger und damit uninteressanter wurde sie und damit auch die Geschichte trotz der wirklich gut ausgestatteten Szenerie.Die auf der Buchrückseite erwähnte Botschaft, dass „das Magische des Lebens“ nicht im Verborgenen liegt, sondern durch Perspektivwechsel zu entdecken ist, ist so wohlfeil wie platt. Menschen beeinflussen uns, können uns helfen uns weiterzuentwickeln, vermögen es aber auch uns runterzuziehen … wenn wir es ihnen gestatten. Das gilt für Los Angeles ebenso wie für Kleindödelhausen. Oder um mit einem Castaneda-Zitat zu schließen:
„Du hast alles, was Du für die extravagante Reise des Lebens brauchst.“
Erdbebenwetter von Zaia Alexander ist im Juli 2020 beim Tropen-Verlag erschienen. Weitere Informationen bei Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.