Die Kanadierin Doucet, 1965 geboren, hat 1991 den Harvey Award für ihre Comics erhalten. Diese von Reprodukt neu herausgebrachte Sammlung enthält frühe Werke aus den 90ern, unter anderem, „Dirty Plotte“. Die genaue Bedeutung dieses selten freundlich gemeinten Slangausdrucks mag ich mir nicht anmaßen, hier darf jede selbst Vermutungen anstellen. Seit 1998 nahm Julie Doucet vom Medium Comic Abstand und arbeitet mit Linolschnitt und Collagen.
Die „allerschönsten Comicstrips“ erzählen, autobiographisch geprägt, vom Leben einer jungen Frau, die noch ihren Weg sucht. Einer unaufgeräumten jungen Frau. Marie Kondo gab es damals noch nicht so spricht auch der Zustand ihrer Behausung im Comic deutlich dafür, dass die private Umgebung das Innere widerspiegelt. Zeichnerisch angelehnt an Robert Crumb abzüglich seiner pornographischen, schmierigen Vorstellungen Frauen darzustellen und sehr detailreich findet sich hier Blut, Schweiß und Tränen. Träume, Gedanken, Erlebnisse aus dieser Zeit des Wachsens, von denen ich einige Geschichten erstmal nervig fand, bis ich mich selbst wieder in diese Zeit gedanklich zurückversetzt habe. Die verspielten im Raum zu findenden Kleinigkeiten des Alltags bereiten beim Betrachten Freude und zeigen eine ganz eigene Handschrift abseits von Crumbs. Doucet ist eine Meisterin der Muster und Schraffuren und hier findet sich, tatsächlich die Schönheit im Kleinen in den alltäglichen Dingen die uns umgeben. Selbstfindung, Abenteuer, depressive Hänger, Feminismus, alles fließt ineinander in ihren Arbeiten. Das Innenleben der jungen Protagonistin prägt die Äußerlichkeiten, die wiederum den Gefühlszustand der Figur spiegeln. Sehr gefallen hat mir ihr Lösungsansatz für überlaufende Tampons beim Aufstehen: „Lebe leichter, dank der besonderen Kräfte der rechten Gehirnhälfte“. Auch bei Doucet gibt es Geschlechtsteile, allerdings sind die handlungsrelevant und nicht tumb und knülle, und sie erzählt aus weiblicher Sicht. Einer, die „Tags Darauf“ auf ihrem Joy-of-Sex-Partner in den Sonnenuntergang reitet, nachdem sie eine wilde Nacht mit ihm verbracht hat. Das muss damals neu und feministisch gewesen sein und bringt Frau heute noch zum Grinsen. Männer sind in ihrem Leben nicht von großer Relevanz, sie sind alle nicht das Wahre und ihrem Selbstfindungstrip nicht förderlich. Sie braucht sie nicht, hat genug mit sich selbst zu tun. Das Schminken, Stylen und Aufbrezeln ist auch noch nicht derart wichtig, wie es das mittlerweile dank Youtube, Daggy B. und sonstigen, „Den-Kopf-nur-außen-Verschönerinnen“geworden ist. Hier geht es um innere Werte. In der Zeit, von der sie berichtet, habe ich gerade Marie Marcks, Franziska Becker, Chlodwig Poth, Claire Bretécher den genialen Reiser und Ralf König entdeckt. So ganz neu sind feministische Comics von Julie Doucet nicht erfunden worden, auch wenn etliche der Genanntinnen (Sorry, das ist so fies, das konnte ich mir nicht verkneifen, und natürlich sind Männer immer herzlich eingeladen sich mitgemeint zu fühlen) strenggenommen Karikaturistinnen sind.
Zeichnerisch gibt es nix zu kritteln, sie ist top, die Panels klar voneinander getrennt – wie ich es mag – grenzen das in ihnen herrschende Chaos, die Ups and Downs, das in ihrer Wohnung, ihren Träumen und ihrem Leben herrscht, klar voneinander ab. Fast alles in schlichtem Schwarzweiß mit ausgefeilter Schraffur. Vier Seiten gönnt sie den Leserinnen in Farbe, die sind supergut. Klasse! Alles so schön bunt und übersichtlich. Am Ende erleben wir die Künstlerin im Jahre 2017, gealtert und leicht knirschend, mit wenig Hoffnung für die Zukunft 2050. Damals war sie weitgehend unpolitisch, doch wir wissen alle, das Private ist politisch und gesellschaftsprägend. Welche Variante ihrer Zukunftsvisionen sich manifestiert liegt bei uns.
Ich fand mich beim Lesen gedanklich in meiner alten WG wieder, schön, aber auch gruselig! Zurück in die Zukunft Vergangenheit mit Julie Doucet.
Die allerschönsten Comicstrips der Autorin sind für junge Menschen, im Selbstfindungsprozess eine perspektivische Bereicherung, denn hier ist nichts instagrammable, schönheitsoptimiert und ausgefeilt gestylt. Julie Doucets junges Alter Ego verschwendet kaum Gedanken an ihr Äußeres. Ihr Leben ist echt. Ihr Inneres ist dank besonderer Aufmerksamkeit reich genug sie zu beschäftigen und ihre Weiterentwicklung und Selbsterforschung und Sortierung ist ihr Daseinszweck.
Julie Doucets allerschönste Comicstrips sind im April 2020 als Hardcover bei Reprodukt erschienen. Weitere Informationen bei Klick auf das Cover oder auf der Verlagsseite.