„Man soll ja gar keine Avocados essen. Der Wasserverbrauch beim Anbau erzeugt eine echt heikle Ökobilanz“, sagte Pollack, der nicht bemerkte, dass er mit seinem Leben spielte.“
Kommissar Kühn stellt fest, dass er für seine Frau anscheinend nicht mehr attraktiv ist. Wie geht so ein Mann in den besten Jahren, der bemerkt, dass er körperlich ein wenig fassungslos wird, damit um? Er macht die angesagte Trend-Diät. Für Männer. Für echte Kerle! Diese machomässige Gehirnwäsche, die ein krudes Hungerprogramm beeinhaltet verlangt ihm einiges ab und nagt an seinem ansonsten ausgeglichenen, freundlichen Charakter. Statt die Kommunikation zu intensivieren, Fett abschmelzen, um die Nähe zu seiner Frau herzustellen, die er sich wünscht. Ob das beziehungstechnisch von Erfolg gekrönt ist, wird sich weisen.
Denis Scheck bezeichnet Jan Weiler als einen der interessantesten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur. Ausdrücklich Literatur, nicht bloßer Krimi, und das ist es, zusammen mit Weilers locker, launigem, gutkonstruiertem Erzählstil und dem durchgängig hochgehaltenen Spannungsbogen, der auch den dritten Roman um Kühn so elegant und vergnüglich gestaltet. Weniger amüsant ist das gesellschaftliche Thema, das Weiler hier erschreckend deutlich beschreibt. Toxische Männlichkeit mag ja noch angehen, wenn die Betroffenen nur sich selbst schaden. Doch leider zieht dieses Phänomen weitere Kreise. Es geht um Frauenhass, die Abgehängten, die faulen Unattraktiven, deren soziale Intelligenz und Fähigkeiten nicht ausreichend sind, um bei den von ihnen anvisierten Frauen zu landen. Jene die sich früher eine devote Thailänderin oder Phillipinin organisierten und sich dennoch unterbewusst ausgenutzt fühlten, obwohl sie es waren, die die wirtschaftliche Notlage der Frauen ausnutzten, um sich „Rundumservivce“ zu leisten. Doch dafür braucht Mann Geld und ein wenig Status. So gibt es das Phänomen der „Involuntary celebates„. Frauenhasser, deren Hass sich aus Neid und Begierde speist, die dem Feminismus die Schuld geben, für ihren Misserfolg, im Leben und bei den Frauen. Irrationale arme Würstchen, die sich die früheren, bequemen Zeiten der Unterdrückung zurückwünschen. Die Schuld liegt nie bei ihnen sondern immer bei den anderen und natürlich nicht bei den erfolgreichen Männern, mit denen sie sich nicht messen wollen, sondern bei den Frauen die sich ihnen verweigern.
Jan Weiler ist hier einem gesellschaftlichen Problem auf der Fährte und beleuchtet es en detail, erschreckend realistisch. Auch hier dient das Internet den Losern der Gesellschaft als Plattform um ihre kruden Ideen und Verschwörungstheorien und ihren Frauenhass auszuleben. So stellt der Autor den intelligenten, eigentlich empathisch, nachdenklichen Kommissar zur Seite der armen Würtschen, der aufgrund seines der Unterzuckerung und seines dem Hunger geschuldeten emotionalen Tiefs anfällig ist für die abartig abstrusen aber auch saukomischen Lehren seines Macho Diätratgebers. Geistig nicht gänzlich auf der Höhe aber immer noch mit einem kritischem Geist ausgezeichnet, der ab und an aufschreit. Das ist genial konstruiert, liest sich in Windeseile weg und wäre sehr amüsant, wenn nicht der Mörder, den Weiler bereits anfangs enttarnt auch einer dieser Verzweifelten wäre. Weiler schafft es, nie eindimensional zu erzählen, er generiert Mitleid und ein schockiertes Verstehen des verwirrten und verirrten jungen Mannes. Zeigt den Täter als Opfer seiner selbst. Das ist großartig geschrieben, ebenso wie Kühns Ermittlungen und fügt sich am Ende zu einem, trotz bekanntem Täter und Motiv, fulminanten Ende mit großem humoristischen Knall. Eine Tragikomödie mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. Unbedingt lesen, allerdings sollte Mensch sich zuvor die beiden Vorgängerromane gönnen, denn Kommissar Kühn ist ein hochinteressanter Charakter, in dessen Gedankenwelt einzutauchen ein Vergügen ist.
Unbedingt empfehlenswert für Krimiliebhaberinnen die nicht nur Mord und Aufklärung sondern eine faszinierendes Drumherum schätzen. Literatur eben.
Kühn hat Hunger von Jan Weiler ist im September 2019 als Hardcover bei Piper erschienen. Weitere Informationen durch Klick auf das Cover oder auf der Verlagsseite.
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Richtig. Ich denke eben weil er so schreibt wie er es tut, „verbraucherfreundlich“ flüssig und politisch und gesellschaftlich aktuell ist er dem Feuilleton nichts wert. Ich genieße ihn jedesmal. Außer „Maria ihm schmeckt nicht“. Das war mir tatsächlich zu uninteressant.
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Ach ich liebe Kühn und freue mich schon sehr auf die Lektüre. Schade, dass Weiler unterschätzt wird – jedenfalls kommt es mir so vor. Dabei schreibt er so leicht und trotzdem tiefsinnig, aber wem sage ich das? 🙂 viele Grüße!
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