Willkommen in der gesellschaftspolitischen Klapse

Eines muss ich gleich vorwegschicken, ich bin schon seit Jahren ein Fan der Sendung Die Anstalt und bereits bei der Bestellung des Sachbuchs anlässlich des 5-jährigen Jubiläums habe ich mir gedacht, das könnte ein voll langweiliger Rohrkrepierer oder auch richtig gut werden. Ich bin sehr froh, dass Zweiteres zutrifft.

Die Festschrift startet sehr interessant mit einem Interview des Verlages mit Uthoff und von Wagner, in dem der Produktionsvorgang der Sendung beleuchtet wird. Dabei und in den folgenden Kapiteln mit Beiträgen der Crew werden Fragen beantwortet, die ich mir tatsächlich schon mehrmals gestellt habe: Wie lange vorher wird ein Thema ausgewählt, wie werden die Inhalte erarbeitet, wie oft wird umgeschrieben, wie wird der Text von den zahlreichen in die Sendung integrierten Gästen, wie professionelle Comedians und den Laien gelernt und wie funktioniert der Hintergrund-Faktencheck, der dem Publikum im Anschluss an die Sendung im Internet zur Verfügung steht?

Dann kommt eine Positionsbestimmung der Anstalt, das Konzept wird dargelegt, wie Satire mit Journalismus verknüpft wird und in welche Lücke diese neue Art von Infotainment beim Publikum stößt. Das wird zuerst richtig gut als medientheoretische Aufarbeitung der Entwicklung der Medienlandschaft in den letzten 10 Jahren präsentiert und der neue Platz der Satire in diesem Kontext wissenschaftlich sehr grandios erklärt.
Leider wiederholt sich diese Kernaussage weit weniger kompetent vermittelt, bei fast jedem, der an dieser Festschrift teilnehmenden Beitragsschreiber als Einleitung auf eine persönliche Eloge immer und immer wieder. So etwas habe ich erwartet und befürchtet, hasse ich doch Lobhudelei, und Redundanzen bringen mich regelrecht auf die Palme. Hier hätte das Lektorat eisern durchgreifen, alle Eitelkeiten übergehen und die ewig selben wiedergekauten löblichen Statements beinhart streichen müssen.

Kaum hatte ich mich ein bisschen geärgert, änderte sich das Konzept des Sachbuchs und Gast-Protagonisten der einzelnen Sendungen, vor allem Fachleute in den einzelnen thematischen Gebieten der Sendung und Laiendarsteller erläuterten die Entstehung einzelner Sendungen. Da kam Norbert Blüm zur staatlichen Rente zu Wort, der Wissenschaftler Krüger, der eine Arbeit zur Unabhängigkeit deutscher Medien verfasst hat, Argyris Sfountouris, der Grieche, der das Massaker der Nazis in Distomo überlebte, vermittelte eine andere Sicht der Schulden der Griechen bei den Deutschen, die Chorleiterin eines Flüchtlingschors beschrieb ihren Beitrag zu Sendung, die Protagonisten des Care Slams, die auf die Missstände in der Pflege aufmerksam machten, der Volkswirtschaftler Walter Ötsch, der den Neoliberalismus erklärte … Das ist wirklich spannend und sehr gut gemacht.

Leider gab es zwischendurch wieder die redundante Lobhudelei, dass die Satire der Anstalt die Aufgabe des klassischen politischen Journalismus übernommen hat. Genervt wollte ich schon abbrechen, da kam doch glatt ein total kritischer Artikel, von Gabriele Krone-Schmalz zur Verantwortung der Anstalt, was mit ihren Aussagen gemacht werde. Durch die Pointierung und Verkürzung der Satire sei die Anstalt die Sendung mit der Maus für Erwachsene. Reichsbürger andere Schwurbler und viele Zuseher können nicht differenzieren, die Satire nicht erkennen und heften sich die Aussage der Anstalt, dass Medien insbesondere der „Mainstream“ Lügenpresse wäre, fälschlich auf die Fahnen. Dadurch wird einem dahergelaufenen YouTube-Trottel oder den rechtsfaschistischen Neo-Prawda-Propaganda-Schreibern von Russia Today ungeschaut, ohne Quellenangabe und unreflektiert alles geglaubt. Solche Leute suchen leider einfache Wahrheiten und fallen von einem Extrem ins andere. Nur nichts reflektieren, nur nichts selbst recherchieren, was das „INTERNET“ sagt, stimmt. Klassische Medien und der Journalismus werden nun als Systemmedien diffamiert, unter Generalverdacht gestellt und rechten Propagandisten alles geglaubt. Das ist insofern tragisch, da auch ehemals Linke Fakten von Fake nicht mehr unterscheiden können und wollen, weil es zu mühsam ist, zu recherchieren und sich aus der Eso-Ecke mit tatsächlich berechtigen Kritikpunkten allmählich und teilweise ungewollt in die braune Richtung bewegen. Schade, dass nur zwei kritische Beiträge vor allem mit Fokus auf die Rezeption der Anstaltssendungen in all dem wohlwollenden Konglomerat der Artikel existieren, dieses Thema hätte ich gerne noch ein bisschen qualifizierter vertieft.

Ein weiterer Beitrag hat mich auch sehr begeistert, er berichtet, wie ein engagierter Lehrer die Anstaltsfolgen als Grundlage für politische Bildung zusammen mit den Schülern im Unterricht einsetzt, erarbeitet und wie diskutiert wird.

Fazit: Eine sehr spannende Mischung mit für mich etwas zu überschwänglicher positiver Tonalität und vielen Redundanzen, für eine Festschrift zum 5-jährigen Jubiläum aber außerordentlich gut gemacht. Eine klare Leseempfehlung von mir für Fans, aber auch für alle anderen Fernsehzuseher, unter der Bedingung, dass man zumindest ein paar Folgen der Anstalt gesehen haben sollte, um das Buch zu verstehen.

Die Rache des Mainstreams an sich selbst von Dietrich Krauß (Hrsg.) ist 2018 im Westend Verlag in flexiblem Einband erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.

5 Gedanken zu “Willkommen in der gesellschaftspolitischen Klapse

  1. @biroxi sorry ich weiß, ich hab nicht alles sofort in die Rezi hingeschrieben, aber um alle Postionen darzulegen, hätte ich zuviel in den Beträgen gespoilert, zu wenig meine Erfahrungen beim Lesen fokussiert und ich dachte auch, dass ich dann stattdessen permanent zuviele Namen präsentiere, die dem Publikum nicht so bekannt sind. Wie der Autor Krauß im Hintergrund. Dass Krauß als Herausgeber dieses Sachbuchs fungiert, darauf habe ich vergessen, explizit hinzuweisen, weil er eh groß auf dem Cover steht, insofern ist klar, dass auch jedwede Kritik nicht ungewollt oder von bösartiger Seite kommt. Aber so habe ich sie auch nie interpretiert, sondern sehr positiv bewertet, weil sie eben als Diskussion selbst angestoßen wird – sowohl als Kritik als auch als Selbstkritik.

    Wie jetzt genau Festschriften ablaufen und normalerweise aussehen, dafür habe ich viel zuwenig Verlagserfahrung, habe erst 2 davon gelesen. Vielleicht war auch dieses Wort komplett falsch gewählt – vielleicht eigentlich nur um Wortwiederholungen zu vermeiden, wobei ich glaube, es ist schon eine Festschrift da sie 5 Jahre Anstalt feiert, oder soll man sie dann Biografie nennen?. Oder es ist einfach eine neue ungewöhliche Art von Festschrift, die eben etwas mehr ist und deshalb auch nicht so langweilig 🙂
    In dieser Frage musst Du mir auf jeden Fall weiterhelfen 🙂

    Die Anstalts-Leute kommen auf jeden Fall auch in einigen Kapiteln selbst ausführlich zu Wort, genau deshalb hat mir ihre Position dann bei dieser konstruktiven Kritik gefehlt. Gleich im ersten Artikel interviewt der Westend Verlag Max Uthoff und Claus von Wagner. Dietrich Krauß schreibt nicht nur die Einleitung sondern beleuchtet das Konzept der Anstalt, das war eigentlich das zentrale Lob in meinem 3. Absatz, wollte aber nicht permanent so mit den Namen der Akteure im Hintergrund herumwerfen, war vielleicht mein Fehler, da die Macher im Hintergrund möglicherweise auch alle namentlich bekannt sind.

    Aber ich finde diese Diskussion sehr gut, denn sowohl Du als auch Ulrike Sokul haben ja genau jene Fragen gestellt, die meine Rezi im ersten Wurf nicht beantwortet hat, und die ich als Leserin des Gesamtwerkes selbstverständlich als Wissensvorsprung hatte.

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  2. ja das haben wir – im Vorfeld diskutiert, aber nicht so ausführlich, wie Du das hier jetzt tust. Das beleuchtet noch ein wenig andere Sichtweisen, die ich durchaus unterstütze. Kritiklos sollte man tatsächlich nicht sein, da stimme ich Dir unumwunden zu. Mir war nur der Bezug zu pointiert gerade auf dieses Sendeformat gelegt. Und der Hinweisauf den Anstoss von Krauß ist ein wichtiger, der mir im Beitrag direkt quasi ein bisserl fehlt. Dass die Anstalt selbst keinen Beitrag in der über sie geschriebenen Festschrift leistet, ist aber doch auch logisch. Das passiert doch nie, dass man in einer Festschrift über einen selbst zu Wort kommt oder? Auch klar ist bei einer Festschrift, dass die Beiträge meist sehr homogen gestaltet sind – das ist das Wesen der Festschrift, aber natürlich kritikwürdig, keine Frage. LG

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  3. @Ulrike Sokul @biroxi
    Sorry für meine späte Antwort, lag die letzten 2 Tage mit ganz komischem Fieber im Bett dass sich heute ohne Ankündigung wieder verflüchtigt hat. Mit @biroxi habe ich das schon im Vorfeld diskutiert.

    Ich sehe es etwas anders und offensichtlich mittlerweile auch die Anstalt, sonst hätte der Herausgeber Krauß als Autor der Anstalt, diese Kritikartikel nicht in die Festschrift hineingenommen. Ich finde es nämlich genau jetzt mit dem enormen medialen Erfolg der Anstalt schon einmal auch ganz spannend, sich über die Rezeption der „Dummen, Unwissenden, Faulen, Beeinflussbaren… etc“ wie man sie auch immer nennen möchte, die den Faktencheck weder in der Anstalt noch sonstwo machen, Gedanken zu machen. Da die Anstalt offensichtlich die Aufgabe vom politischen Journalismus übernommen hat (schreiben eigentlich alle) entsteht ein neuer Aufgabenbereich, der über die Satire hinausgeht. Durch diesen enormen Erfolg entsteht auch viel Verantwortung, zumal vor allem (wurde bereits untersucht) viele sehr junge, beeinflussbare Menschen sich der Politik nur noch über die Anstalt oder andere Satiresendungen nähern und eben weder diskutieren noch den angebotenen Faktencheck annehmen.

    In der kritischen Diskussion geht es nicht darum, das Sendekonzept an und für sich zu ändern, sondern in einem zweiten kritischen Artikel von Jens -Christian Raabe wird empfohlen, auch diese unkritische Rezeption des Publikums der Anstalt zu reflektieren und darauf zu reagieren. Als Empfehlung gab es folgenden Vorschlag: Auch mal sich selbst auf die Schippe zu nehmen quasi mal eine Anstalt zur Publikums- und Anstaltverarsche zu machen und nicht immer den Erklärbären zu geben. Das ist in Österreich gang und gäbe – schon seit den Zeiten von Handke und Bernhard wird das zelebriert auch dem Publikum mal die unangenehme Wahrheit und den Verarschespiegel zu präsentieren. Hader, Stermann-Grissemann, Schalko und alle unsere Kabarrettgrößen haben den Faktor Publikumsbeschimpfung als immer wiederkehrenden zentralen Punkt in ihren Programmen und werden dafür vom Publikum geliebt (die letzen 3 werden nicht von mir, sondern explizit von Raabe als Vorbild genommen, obwohl sie auch mir natürlich eingefallen wären. Raabe nennt dieses Humorkonzept sogar: Selbstironie, Verzweiflung und die eigene Verstricktheit in das Übel der Welt).

    Eine sehr spannende kritische Diskussion über neue Verantwortung, genau durch diesen großen Erfolg und die neuer Funktion von Satire, politischen Journalismus abzulösen, über die sich die Anstalt auch offensichtlich Gedanken macht, sonst stände es nicht in diesem Buch drinnen. Leider fehlt mir eben in dieser Diskussion die Position der Anstalt – diskussions- und kritikwürdig finde ich diese Gedanken allemal. Jetzt kann die Anstalt natürlich sagen Ok wir sind aber nur Satire und was mit uns Böses mit unreflektierten Menschen gemacht wird, über das reden wir nicht und wir denken nicht drüber nach, das interessiert uns nicht. ODER sie denken eben darüber nach, weil sie drauf und dran sind, den politischen Journalismus in bestimmten Kohorten abzulösen. Sie haben das nicht gewollt und beabsichtigt, aber jetzt ist es eben passiert und jetzt denkt man auch über den Tellerrand hinaus bis in den Journalismus hinein – ich find das eine sehr spannende Diskussion, die Krauß hier anstoßen lässt, leider eben ohne Anstaltsposition.

    Auch an Euch liebe Frühlingsgrüße aus einem Tal voller blühender Marillenbäume
    Alexandra

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  4. Liebe Urlike, das geht mir genauso. Keinen Fernseher, Mediathek und die Kritik von Frau Krone-Schmalz ist meines Erachtens nach auch nicht angemessen. Denn wie Du sagst: die Rezipienten müsssen ihr eigenens Ding daraus machen. Und alles kann man nicht abfangen. Dank des Faktenchecks gibt es ja auch sehr komfortabel die Möglichkeit bei der Anstalt, Satire von Fakten zu trennen. Solidarische frühlingshafte Grüße, Bri

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  5. Verbindlichen Dank für Deine differenzierte Buchvorstellung.
    „Die Anstalt“ ist tatsächlich die einzige Sendung, die ich mir regelmäßig über die Mediathek (da ich keinen Fernseher besitze) anschaue und die ich sehr schätze.
    Die von Dir erwähnte Kritik von Gabriele Krone-Schmalz, die „Anstalt“ sei „Die Sendung mit der Maus für Erwachsene“ finde ich nicht so recht angemessen. Ich finde gerade die Pointiertheit, die ausgezeichnete schauspielerische Darbietung und die pfiffigen Details des Bühnenbildes sowie die Tafelbilder sehr ansprechend und anschaulich.
    Es wird immer so sein, daß sich das Publikum genau die Informationsrosinen herauspickt, die es für die Instandhaltung des persönlich-individuellen Welt- und Gesellschaftsbildes haben will. Man kann die „Anstalt“ also aufklärerisch-impulsgebend betrachten, was dann auch zu Differenzierungen, zum selber NACH- und MITdenken und bestenfalls auch zu praktischem Handeln führt, aber man kann auch oberflächlich Schlagwort aufpickend damit umgehen.
    Je nach Mündigkeit (im Sinne von Kants Definition der AUFKLÄRUNG) und gesellschaftspolitischer Grundeinstellung wird die WIRKUNG der „Anstalt“ also ganz unterschiedlich ausfallen.

    Frühlingsgrüne Grüße
    Ulrike von Leselebenszeichen

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