„Natürlich war ihm der Porsche peinlich, aber Victor war eine flexible Persönlichkeit.“
Victor, einer von drei Inhabern einer Privatbank wird bereits auf der ersten Seite treffend charakterisiert. Seine Flexibilität speist sich aus einer selbstsicheren Saturiertheit, durchsetzt mit leicht depressiven Anklängen altersbedingter Selbstreflexion. Anfangs alles andere als ein Sympath, gewinnt er im Laufe des Kennenlernens. Er kann nicht anders sein, als er eben ist, und wer oder wie er ist, das weiß er selbst nicht genau.
Daher ist wohl auch seine Sicht auf die Welt so erquickend nur ein wenig larmoyant, lakonisch und nihilistisch. Nur die Affenliebe zu seiner Tochter, seinem Lieblingsprojekt fällt dabei ein wenig aus dem Rahmen eine Facette seiner Persönlichkeit, die ihm zwar Sympathiewerte verleiht, andererseits aber seiner begrenzten darwinistischen Sicht Evolution und Arterhaltung, speziell der Weitergabe der Gene entspringt. Ihn plagt die Ennuie, seine Arbeit fordert ihn nicht mehr, so bleibt viel Zeit, die er nebenbei nutzt um aus einem Anflug von Überdruss heraus ein Programm, das Deutschland revolutionieren soll zu entwickeln.
„Ein radikales Projekt war vonnöten, so dachte Victor, um das deutsche Volk zu einen. Es würde darum gehen müssen, die nationalen Ressourcen in ein kognitives Upgrade der Mehrheit umzuleiten, um das Land vor seiner drohenden Irrelevanz zu bewahren.“
Unterstützt von seinem alten Kumpel Ali Osman – dem grünen Bundestagsabgeordneten, der damit liebäugelt eine eigene Partei zu gründen, die Deutschland AG – dem Victors Exposé dazu gerade recht kommt.
„Seit der Jahrtausendwende hat die Bundesrepublik die gleiche Entwicklung wie die deutsche Bank durchlaufen, die jahrzehntelang an allen heimischen Konzernen beteiligt war und sich auf ein solides Endkundengeschäft konzentrierte. Heute handelt es sich bei dieser um einen maroden Munitionsfrachter unter chinesischer Flagge, auf dessen Lidodeck sich ein hochnäsiges Grüppchen nihilistischer Kettenraucher zusammengerottet hat.“
Mir wäre diese Buchperle beinahe entgangen, denn sowohl Cover, als auch Titel sind für mich eher abschreckender Natur. Das eine ist für mich der pure Kitsch (please, no shitstorm, ja ein wichtiger Maler, bla bla , aber mir persönlich sind seine Werke nicht erbaulich) der andere mit patriotischem Klang behaftet. Tatsächlich verbirgt sich innerhalb des ruhig betannenwipfelten, diesigen „Der Morgen“ des romantischen Landschaftsmalers eine grandiose, boshafte, hintersinnige Frechheit. Eine Gesellschaftsstudie, die die Gesichtsmuskeln animiert, sich während des Lesens immer wieder in Richtung überrascht erfreutes Grinsen zu bewegen. Köstlich amüsant, und souverän serviert. Das dem Roman vorausgehende Zitat darf ebenso wie das Cover und der Titel gelesen werden – doppeldeutig. Hier bediente sich der Autor bei McKinsey & Company die sich unter anderem als Ziel gesetzt haben „…Optionsräume zu skizzieren.“ Eine wunderbar ironische Inhaltsbeschreibung, denn genau das geschieht. Dank einer schwärmerischen Besprechung in der ZEIT wurde ich auf dieses außergewöhnliche Lesevergnügen über innerdeutsche Befindlichkeiten aufmerksam.
Dabei erzählt Alexander Schimmelbusch diese Satire so hintersinnig und pointiert, dass ich ihm beim Lesen fast auf den Leim ging. Das Manifest, das er entworfen hat könnte direktemang aus Sarah Wagenknechts Ideenkiste stammen, und es enthält etliches das man genauso unterschreiben möchte. „25 Millionen (Eigenvermögen) sind genug.“ Victor erstellt eine Systemanalyse und Kritik mit beigelegten Lösungsvorschlägen. Leider bedient sich er sich dabei aber auch beim rechtspopulistischen Rand und hier stutzt der geneigte gemäßigte Linke irritiert. Ein paar Kröten sind zu schlucken, doch ganz falsch ist es nicht, was der egozentrierende Narzißt da absondert um das Wahlvieh zu kobern. Abgesehen von einigen kleineren Unannehmlichkeiten hat sein Entwurf für die spätere Deutschland AG genug mitreißenden Schwung, um funktionabel zu sein. Mich hat er fast überzeugt. 😉
Zudem gönnt Alexander Schimmelbusch seiner Leserschaft einen entspannten auktorialen Erzähler. Einen mit Führungsqualität. Ein Meister der Kurzweil breitet hier das Innenleben seines sehr facettenreichen Protagonisten aus und erzählt, trotz des leichten Tons, straight aus der Gedankenwelt des erfolgreichen Investmentbankers Victor. Der Autor kennt das Metier und Milieu, da er selbst fünf Jahre als solcher arbeitete. Schön, dass er nun einen anständigen, sinnstiftenden Beruf ergriffen hat, um anderen Menschen Freude zu bereiten.
Alexander Schimmelbusch ist mit Hochdeutschland in meinen Fokus für überraschende, stilistisch niveauvolle und amüsant sezierende Schriftsteller gerückt.
Hochdeutschland ist ein Pageturner der besser nicht in die falschen Hände geraten sollte. Ich fürchte fast Victors Programm könnte viele Wähler mobilisieren. Überzeugt euch selbst. Man kann den Roman auch als Dystopie der sanfteren Art auffasssen. Eine sehr deutsche Dystopie.
Denn: „Es geht hier um Deutschalnd Habibi. Nicht um irgendein in sich ruhendes Chillout-Land. Deutschland funktioniert nur, wenn alle die ganze Zeit arbeiten, sonst kommt der Deutsche auf dumme Gedanken – haste den schonmal im Urlaub gesehen?“
Buchdetails
- Erscheinungsdatum Erstausgabe : April 2018
- Verlag : Tropen
- ISBN: 978-3-608-50380-7
- Fester Einband 304 Seiten