Und es schmilzt – Ein leiser Aufschrei mit langem Nachhall

Es gibt Bücher, die besser ungelesen blieben. Nicht weil sie es nicht wert sind gelesen zu werden, sondern weil ihr Inhalt so verstörend und brutal ist, dass man sich wünscht nie davon erfahren zu haben. Sie sind selten, „Und es schmilzt“ ist eines davon. Eine Geschichte die wahr sein könnte, harmlos und leise daherkommt, einen gefangen nimmt und in schreckliche Welten entführt. Reale Welten, realen Horror, und Leid. Wäre diese Real Horror Geschichte nicht so gut, besonders für ein Debüt, hätte ich sie hier getrost unterschlagen. Doch sie hat mich nicht losgelassen, auch nicht als sich abzeichnete wie übel es werden würde. Voyeurismus, Entsetzen wissen wollen wie es ausgeht, aus erster Hand? Die Kommentare auf Cover und Klappentext trafen jedenfalls zu.

Die Chronistin dieses Elends, die kleine Eva, mittleres von drei, eigentlich vier Geschwistern erzählt, aus ihrer Perspektive in unterschiedlichen Zeitsträngen und Rückblenden. Sie berichtet aus ihrer Kindheit, vom Dorf, dessen Bewohnern ihren Freunden Pim und Laurens und vom Erwachsenwerden, dem Gefühl bei allem mithalten zu müssen, sich permanent  vor den Jungs beweisen zu müssen, seit es einen Unterschied in ihrer Freundschaft macht wer welchem Geschlecht angehört. Wie das Erwachen der Hormone alles kaputt macht.

Sie lässt viel Raum für die Dorfbewohner, erzählt ihre Geschichten, schildert das Leben ihrer Geschwister und ihrer Eltern, die sich schon längst aufgegeben haben. Einen Roman über: Missbrauch, Coming – of – age, Resilienz, Dorfgemeinschaft, Loyalität und Freundschaft der derart komplex aufgebaut und atmosphärisch so stimmig ist habe ich selten gelesen. Lize Spit ist hier ein grandioses Werk gelungen. Ein böses, unangenehm voyeuristisches, brutales, viel zu authentisches Stück Literatur. Hier gibt es keine Wohlfühlzonen, keine Sicherheit, immer wenn man glaubt es gäbe sie, erweisen sie sich als zutiefst deprimierende Fata Morgana.

Das ist glänzend und schlicht erzählt. Packend und einfühlsam. Andeutungen werden fallengelasen die erst später, viel später von Bedeutung sind. Geschichten und Leben werden verwoben und ergänzen sich am Ende zu einem Gesamtbild das zeigt wie nahe Verzweiflung und Hoffnung beieinanderliegen.

„Und es schmilzt“ ist es unbedingt wert gelesen zu werden, doch man begibt sich dabei sehr sehr weit aus der Komfortzone.

Buchdetails

  • Erscheinungsdatum Erstausgabe : August 2017
  • Verlag : S. FISCHER
  • ISBN: 9783103972825
  • Fester Einband 512 Seiten

 

 

2 Gedanken zu “Und es schmilzt – Ein leiser Aufschrei mit langem Nachhall

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