Ich lese ja sehr gerne und häufig Weltkriegsliteratur, sowohl aus der jüdischen Sicht als auch aus der Front- und aus der Täterperspektive. Viele Romane waren furchtbar und haben mich sehr erschüttert, waren aber dennoch sehr kraftvoll und genial, nur dieses Werk hat mich ehrlich gesagt als eines der wenigen extrem gelangweilt. Und das ist die erste und verwerflichste Todsünde in meinen 10 persönlichen Literaturgeboten.
Dabei weist das Setting und die Anlage der Geschichte extrem viel Potenzial auf. Wie bereits in Christoph Ransmayrs genialem Roman Morbus Kithara spielt die Handlung im Salzkammergut, das vor allem von vielen Nazis und anderen als Rückzugsort frequentiert wurde, weil es nicht wirklich massiv von Zerbombungen bedroht war und zudem auch die Verortung eines relativ unbekannten Konzentrationslagers mit vielen Außenstellen darstellte. Der Schauplatz des Romans ist also schon mal außergewöhnlich innovativ und sehr gut.
Auch die Protagonisten sind von der Anlage her überhaupt nicht schlecht konzipiert. Ein verwundeter Soldat mit posttraumatischem Stresssyndrom und ein paar weiteren auch sichtbaren Verletzungen, der sich durch ein bisschen Tachiniererei* vor der erneuten Einberufung zur Front zu drücken versucht, eine deutsche Ehefrau, die in der Fremde auf die Heimkehr ihres Mannes wartet, der im Salzkammergut geboren ist, eine böse Quartierfrau, der Inbegriff einer perfiden Nazibraut, gnadenlos, rücksichtslos und korrupt, ihr Bruder, der von Brasilien träumt und überall durch sein ehrliches Gemüt und sein loses Mundwerk aneckt, der Onkel des Soldaten, der als Polizeipostenkommandant zwar durchaus vernünftig, aber auch der geborene Mitläufer und Opportunist ist und dann noch das gesamte Dorf, das sich auch sehr gut mit der menschenverachtenden Nazidoktrin arrangiert hat.
Der Plot ist ja wirklich nicht schlecht, aber extrem gestört hat mich, dass die Figuren einfach total langweilig reden, denken und handeln. Hätte mir meine Mizzi-Tant(e), die aus der Gegend stammt, so etwas erzählt, hätte ich innerlich gegähnt und mir aus Respekt vor der alten Dame die Antwort verbissen, dass dies keine gute Geschichte sei. Auch wenn dann mal tatsächlich etwas Spannendes im Romanfinale passiert, gibt uns der Autor kein Motiv, keine innere Entwicklung der Protagonisten, warum jetzt diese Tat stattgefunden und was sich die Figur wirklich dabei gedacht hat. So abgespeckt minimalistisch diese Figurenentwicklung vom Autor entworfen wurde, konnte sie mich einfach überhaupt nicht fesseln. Viel zu sehr hat sich Geiger auf die Originalmaterialien, die Briefe, die er vor Jahren laut Interview mit Dennis Scheck in der Sendung Lesenswert auf einem Flohmarkt erstanden hat, kapriziert. Authentizität schön und gut, aber bei einem Roman muss man dann schon aus der Innensicht einiges dazu erfinden, damit daraus letztendlich eine gute Geschichte wird. Und diese war für mich definitiv zu langweilig, die Figuren zu flach, zu farblos, völlig ohne Entwicklung und inneren Antrieb.
Die Atmosphäre im Dorf war weiterhin geprägt von der keifenden Quartierfrau, überfliegenden Bomberstaffeln, Todesfällen, Latrinengerüchten, und Stromausfällen. Wenn der Quartierfrau der Wehrmachtsbericht nicht gefiel, beförderte sie die leeren Mistkübel mit Fußtritten über den Hof. Dann sprach man sie besser nicht an.
Fazit: Lest unbedingt mal einen Geiger, aber nicht diesen. Ich empfehle „Der alte König in seinem Exil“. Das ist mal eine wirklich gute Story.
*Tachinierer = Drückeberger · Faulenzer · Müßiggänger · Nichtstuer · Tagedieb
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe: 10. Jänner 2018
- Verlag: Hanser Literaturverlage
- ISBN: 978-3-446-25812-9
- Hardcover: 480 Seiten
Nein, habe ich noch nicht und danke für den Tipp. Aber ich meinte doch auch nur das Hörbuch-Angebot bei Rossmann. Okay, man sollte seinen Lesebedarf auch nicht im Drogeriemarkt decken, aber wenn es sich gerade so ergibt, …. 🙂
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Also bei den spannenden Hörbüchern in letzter Zeit muss ich tatsächlich einen kleinen Einspruch zu Deiner Meinung erheben. Ich amüsiere mich grad köstlich über Qualityland – Thursday hat hier auch schon eine Empfehlung https://feinerbuchstoff.wordpress.com/2017/11/06/da-beutelt-nix-aber-viel-schoenes-dabei/ abgegeben. Hast Du es schon gehört?
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Ich hatte den Roman ganz zufällig vor über einem Jahr bei Rossmann (ja, ich meine den Drogeriemarkt!) entdeckt. Mir scheint, die haben (oder hatten zumindest) einen Einkäufer mit einem Händchen für Hörbücher. Sie hatten da die ganze Hörspielserie „Sherlock Holmes“, und auch „Föhnlage“ (den m.E. besten der Alpenkrimis von Jörg Maurer) hatte ich dort gefunden. In letzter Zeit tut sich im CD-Regal in Bezug auf Hörbücher leider wenig Erfreuliches. Aber zu dem Guernsey-Roman: Als ausgesprochen spannend würde ich ihn nicht bezeichnen, definitiv kein Thriller, aber man wird menschlich gleichsam mitgenommen, und der historische Hintergrund war für mich interessant.
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ja das ist die Leseprobe und sie wurde bewusst von mir als lapidares Beispiel gewählt – genauso wie mir das Buch als ganzes vorgekommen ist.
Von Mary Ann Shaffer habe ich noch nie etwas gehört, aber das klingt spannend
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„Die Atmosphäre im Dorf…“ das war jetzt die Leseprobe, oder? Das lockt mich auch nicht zum Lesen. Ich bin eh nicht so die begeisterte Leserin von Kriegsromanen. Einer, der mich mal sehr berührt hat, war „Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf“ von Mary Ann Shaffer. Ein Briefroman der leisen Töne und für mich sehr interessant, weil ich mir der deutschen Besetzung von Guernsey bis dahin gar nicht so bewusst geworden war. Wirklich ergreifend sind die echten Briefe von der Front, wie man sie in manchen Museen sehen und lesen kann.
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