Berliner Stadtblatt Nr.7

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JohnQube auf pixabay

Ein gutes Stück nordwestlicher

Bernd Schwertfischer, geachteter Polizeiobermeister und Vater zweier Kinder, die belastungsbedingt beinahe schon ohne ihn aufwuchsen, hatte an diesem Morgen eine Menge Schreibkram auf dem Tisch.

Wenn nichts dazwischen kam, konnte er heute eine gute Handbreit davon abarbeiten. Immerhin. Nach den zurückliegenden einsatzintensiven Wochen brauchten sie alle dringend eine Pause. Doch dazu war die Personaldecke eindeutig zu dünn. Gerade an den Wochenenden. Bernd Schwertfischer sehnte eine Spielpause herbei. Im Stillen verfluchte er die zuständigen Politiker, die die Kürzungen seinerzeit durchgewinkt hatten. Keinen blassen Schimmer hatten die.

Er seufzte vernehmlich und griff kurzerhand nach einem Formblatt. Das Familienbild mit seinen Liebsten ins Auge fassend.

Langsam nur kam er voran. Bewegte den Stift so schwerfällig als warte er durch knöchelhohen Schlick. Als 10.43 Uhr dann doch die Aufforderung an seine Sonderwageneinheit einging, sich schnellmöglichst vor der Sparkassen Filiale Frankfurter Allee 213 – 217 Höhe Sana Klinik Lichtenberg einzufinden, schwankte Bernd Schwertfischer einen Moment an der Kante zu einer abgrundtiefen Resignation entlang. Er strich sich durchs Haar. Er würde diese Papiere niemals bearbeitet bekommen. Niemals! So viel stand man fest.

Banküberfall mit Geiselnahme. Das bedeutete nicht weniger als das volle Programm.

Na also dann los.

Dreieinhalb Minuten später rollten die gepanzerten Wagen vom Typ TM-170 von ihrem Moabiter Gelände.

Als sie fünfunzwanzig Minuten später aus ihren Wagen stiegen, war das pulsierende Treiben auf diesem Abschnitt der Frankfurter Allee zum Erliegen gebracht.

Stattdessen kreisten Hubschrauber mit einer Intensität, als gälte es einmalige VIP – Angebote abzugreifen. Scharfschützen machten sich auf ihren Weg zu den Dächern. Hier vibrierte eindeutig die Luft vor Anspannung. Bernd Schwertfischer hingegen war müde. Doch zwang er sich zu sachlicher Präzision und sprach sich mit den anderen Bereichsleitern ab; integrierte seine Leute entsprechend in den Auflauf staatlicher Sicherheitskräfte.

Das Fernsehen war eingetroffen. Man mußte sich darum kümmern. Außerdem sollten die Leute weiter zurückgedrängt werden. Nein, der Geiselnehmer hatte sich noch nicht gemeldet.

Bis dato war auch nichts Genaueres über ihn bekannt. Ein Einzeltäter? Wahrscheinlich irgendeine arme Sau, der es zu bunt geworden war. Als ob sich dadurch Irgendetwas änderte. So oder so hatte man jetzt Arbeit damit.

Als alle schließlich in Position waren, ließ der Einsatzleiter Karl Benning, ein über die Jahre ausgehärteter Knochen, das Telefon des Filialleiters lange klingen.

„Ja?“, eine unsichere Stimme.

„Geben Sie mir den Geiselnehmer.“

Ein Moment hörbaren Hantierens verging, bevor sich eine weitaus bissigere Stimme meldete.

„Ja? Wat is‘ denn? Ick hab zu tun.“

„Was haben sie denn schon groß zu tun außer Unschuldige zu verschrecken?“

„Abrechnen. Wat denn sonst?“

„Abrechnen?“

„Ja, sicher. Ick hab sowas von der Schnauze voll von diesen armseligen Hampelmännern und wie die unser Leben bestimmen!“, ein heftiger Schlag gefolgt von einem dumpfen Aufschlag war zu hören.

„Was war das?“, erkundigte Benning daraufhin.

„Der Filialleiter. Warum?“

„Hören Sie damit auf.“, schnauzte Benning durch den Hörer. „Sie machen es für sich nur noch schlimmer.“

„Ach, der hat für den Moment eh jenug.“

„Was wollen Sie?“

„Was ick will? – Ick will mein Leben zurück!“, brüllte der Geiselnehmer in den Hörer.

„Und was hat das mit den Leuten in der Bank zu tun?“, bohrte Benning bissig nach.

„Na irgendwo muß man ja ansetzen. Also warum nicht hier? Sind doch alle gleich diese Schmierlappen.“

„Hören Sie. Diese Leute haben die Gesetze nicht gemacht. Sie haben auch nicht die Schließung ihres Arbeitsplatzes befördert.“

„Ach ja? Sind se sich da so sicher? Die Scheißbanken haben uns doch keen Jeld jejeben, als wa welches gebraucht hätten, um die Krise zu überstehen. Also wie ick das seh, ham die Hampelmänner hier durchaus ihren Anteil an der Schließung des Werks. Die einzige Frage, die sich hier nun stellt, ist, warum ich damit verdammt nohmal so lange jewartet hab? Hätt ich mal gleich machen sollen. Am selben Tag noch. Aber ick stand da völlig neben mir, wenn se verstehen. Ick hab da seit meinem 15. Lebensjahr jeschuftet. Und dann machense det Scheißwerk einfach dicht. Weil wir nich rentabel jenug waren. Die ham doch keene Ahnung. Können nen Gewindeschneider nich von ner Schlagschere unterscheiden.“

„Und was wollen se jetzt?“

„Hab ick doch jesagt: Abrechnen.“

Benning wird dann wohl Jemanden ein Zeichen gegeben haben.

Mehr weiß ich allerdings auch nicht.

 

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4 Gedanken zu “Berliner Stadtblatt Nr.7

  1. Klasse! Freut mich sehr. Und ja, ich habe mich da ein bißchen eingelesen und kenne auch Jmd. aus dem Bereitschaftspolizeibereich…alle Kürzungen werden auf den Rücken der noch Anwesenden verteilt… Und in Berlin schon dreimal. 😦

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  2. Ja, wenn die Bankräuber und die Polizisten im Prinzip in einem Boot sitzen, dann … äh … weiß ich auch nicht mehr. Gut beschriebener Polizeialltag, denke ich mir.

    Gefällt 2 Personen

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