Angst stellt ruhig, Angst kriegt klein

9783462316841Die Überschrift ist ein Zitat meines Lieblingssängers Herbert Grönemeyer aus dem Lied „Angst“, das die eingeschworenen Fans natürlich längst von seiner genialen, uralten Platte „Sprünge“ kennen. Wer es noch nie gehört hat, sollte das hier unbedingt nachholen. Recht hat Grönemeyer mit seiner Aussage – wie er in diesem Songtext überhaupt viel Kluges zu den verschiedenen Arten der Angst sagt.

Das mit der Angst ist ja so eine Sache: Jeder von uns kennt sie, jeder hat sie schon erlebt. Die meisten haben sie gut im Griff, bemerken sie im Alltag oft kaum noch. Manchmal spürt man das Herz vor einem wichtigen Termin rasen, manchmal steckt man im Großstadtverkehr und merkt plötzlich, wie einem ob des Wahnsinns, der da so um einen herum tobt, der Schweiß ausbricht.

Angst ist nicht böse. Sie ist nützlich und von der Natur so angelegt, dass sie uns warnt, uns vor Gefahren schützt. Im Idealfall ist sie ein sich mit unserer Vernunft wunderbar im Einklang befindendes Instrument, das sich gar nicht so häufig meldet – und wenn, dann zu Recht.

Aber es gibt auch Menschen, die haben diese Angst nicht nur dann und wann, sondern sie ist ihr ständiger Begleiter. Dann ist die Angst lästig und gemein, denn sie hält diese Menschen davon ab, Dinge zu tun, die sie eigentlich gerne tun würden, wäre da nicht … eben diese Angst!

Ein solcher Mensch ist die im alltäglichen Leben gar nicht ängstlich wirkende Franziska Seyboldt. In ihrem gerade vor zwei Tagen erschienenen Buch „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ beschreibt sie ihren ganz normalen Alltag, der im Prinzip ganz prima läuft – wenn nicht gerade die Angst auf einen kurzen Drink vorbeischaut. Dieses Buch ist kein Sachbuch, es ist keine Lebenshilfe. Es ist aber auch kein Roman – ich würde es als wunderbar geschriebene, authentische Lebensdokumentation bezeichnen. Macht das Sinn?

Franziska Seyboldt hat ihr Leben im Griff, sie ist Anfang dreißig, Redakteurin bei der taz, Autorin. Schaut man sich Fotos von ihr an, lacht einem ein fröhlicher Mensch mit sympathisch-offenem Gesicht und Lockenkopf entgegen. Das ist so gar nicht das, was man von jemandem erwartet, der eine Angststörung hat. Und doch ist es genau so. Menschen, die mit der Angst leben, müssen gar nicht verhuscht, schüchtern oder lebensunfähig sein. Sie sind erfolgreich, stehen mitten im Leben, sind beliebt – und haben trotzdem Angstattacken.

Was Seyboldt berichtet, ist in der Tat Balsam für die Seele. Denn ihr gelingt es in flapsig-liebevollem Ton von ihrer Angst wie von einer Person zu sprechen, zu der man ein äußerst ambivalentes Verhältnis hat. Seyboldt spricht mit ihrer Angst – und sie erwähnt mehr als einmal, dass sie „in echt“ ebenfalls gerne mit ihrer Angst diskutiert, im Kopf, vor dem inneren Ohr. Das finde ich unglaublich charmant und clever, denn es nimmt der Angst diese Macht, die allem Bösen sonst so innewohnt. Sie lässt ihre Angst fast schon sympathisch wirken, ein bisschen wie ein genervter, unreifer Teenager. Die Angst ist auch ziemlich schnell beleidigt, wenn sich Seyboldt nicht an deren Spielregeln hält.

Das alles liest sich sehr leicht und locker – doch man ahnt, wie viel Energie, Kraft und Mut es gekostet hat, zu dieser inneren Einstellung gelangt zu sein. Seyboldt berichtet schonungslos von ihren Angstattacken, Panikanfällen. Von Momenten großer Mutlosigkeit, wo sie es nicht schaffte, die Angst vor dem öffentlichen Reden zu „besiegen“, sondern in letzter Sekunde unter fadenscheinigem Vorwand kniff. Sie berichtet von Panik, die so groß war, dass sie ohnmächtig wurde – aber sie berichtet auch von Momenten, in denen sie über sich hinauswuchs. Weil jemand an sie glaubte, weil sie mit dieser zusätzlichen Unterstützung die Kraft fand, Dinge zu tun, die ihr nicht machbar erschienen: in einem Flugzeug zu fliegen oder nach Jahren der Angst doch wieder in ein Auto zu sitzen und es selbst zu steuern. Sie ist sogar so ehrlich, dass sie beschreibt, wie sie gerade, als sie dachte, nichts könne sie mehr erschüttern, nun habe sie die Angst im Griff, wieder Panikattacken bekam.

Und doch lässt einen dieses Buch am Ende mit einem seeligen Lächeln die letzte Seite umblättern, denn es lässt nie Zweifel aufkommen, dass Franziska Seyboldt als Gewinnerin aus ihren Duellen mit der Angst hervorgehen wird. Nicht jedes Mal, aber am Ende, in Summe schon! Denn sie ist schon allein deshalb eine Siegerin, weil sie kein Opfer ist. Sie ist nicht passiv, sie lässt nicht mit sich geschehen, sondern sie agiert, sie ist aktiv und kreativ. Und die Angst ist nur ein kleiner Teil ihres Lebens, nicht mal unbedingt ihrer Persönlichkeit. Mit jedem Sieg über die Angst wird diese ein bisschen kleiner, machtloser. Die Krux an der Angst ist nur: Seyboldt wird sie niemals ganz loswerden, denn sie gehört ja zu unserem Naturell. „No fear“ gibt es zwar als Aufkleber für ganz besonders Coole, ist aber nicht die Abbildung der Wirklichkeit.

Großartiger Lesestoff für alle Menschen mit dem Herzen am rechten Fleck. Für mich als Mutter eines kleinen, äußerst lebenstüchtigen Mädchens, das ab und an Panikattacken hat, außerdem sehr, sehr beruhigend und aufmunternd, denn nie, nie mehr werde ich voller Angst (!!) denken, dass meine Kleene wegen dieser Angstattacken ihren Weg durchs Leben nicht finden könnte. Immer, wenn ich wieder mutlos bin, werde ich nun in dieses Büchlein schauen und nachlesen:

„Ich hatte immer gedacht, das Gegenteil von mir wäre Mut“, sagt die Angst. Sie sieht traurig aus.
[…]
„Es ist wohl eher so, dass du die Voraussetzung für Mut bist“, sage ich. „Wenn es dich nicht gäbe, könnte auch niemand mutig sein.“

Danke allein dafür, Frau Seyboldt!!

Und weil es thematisch so schön dazu passt, gleich auch noch ein Buchtipp für kleine oder auch größere Angstpersönchen: „Nur Mut! Das kleine Überlebensbuch. Soforthilfe bei Herzklopfen, Angst, Panik  Co.“ von Dr. med. Claudia Croos-Müller, das ich sofort für mein kleines Angsthäschen besorgt habe.

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Es handelt sich um ein liebevoll illustriertes und liebevoll formuliertes Büchlein, das Kindern, denen Angstmomente nicht fremd sind, helfen soll. Es soll ihnen demonstrieren, dass sie nicht allein da sind mit ihren Gefühlen, dass es vielen so geht – und dass sie nicht machtlos sind! Jeder kann die einfachen, simplen und oft auch in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt durchführbaren Übungen erlernen und nachmachen, um damit das Gehirn auszutricksen. Sie alle haben nämlich gemeinsam, dass die Bewegungen, die sie beinhalten, für das Gehirn äußerst komplex sind. Das Gehirn steht also vor dem Problem, dass es nicht gleichzeitig weiterhin das Gefühl Angst produzieren kann, wenn es vom Körper die Befehle für die Koordination dieser Bewegungsabläufe erhält. Es entscheidet sich also dafür, diese Bewegungen auszuführen – und während es dies tut, klingen allmählich bereits die akuten Symptome der Panikattacke ab und man bekommt wieder einen klaren Kopf und kann einigermaßen „normal“ agieren. So weit der Plan, so weit die Theorie.

Neugierig wie sie ist, hatte meine Kleene – von mir unbemerkt – das Buch bereits alleine angeschaut und vieles durchgelesen. Sie kannte also bereits die Tricks. Als Frau der Tat habe ich natürlich sofort versucht, die Übungen einzusetzen, als mal Not am Mann war, aber: Fehlplanung! Wenn die Panik erst mal da ist, geht da nüscht mehr! Dann hat die Kleine andere Dinge im Kopf, als auf einem Bein zu stehen, die Arme in die Hüften zu stemmen oder ihre Zunge durch den Mund wandern zu lassen. Wenn sie Angst vor einer Situation hat, will sie nur eins: wegrennen!

Fazit: Die Übungen müssen wir offensichtlich üben (ja, das sagt die Autorin auch), nur ist es ja nicht so, als wäre es schwer, auf einem Bein zu stehen oder die Arme in die Hüfte zu stemmen. Es sind Bewegungen, die eigentlich keiner großen Übung bedürfen. Wie ich Madämchen dazu bekomme, sie dennoch für den „Ernstfall“ zu üben, damit sie auch dann darauf zurückgreifen kann, wenn sich die Vernunft ausschält, ist mir noch schleierhaft.

Dennoch: vier von fünf Sternen, weil das Büchlein Spaß macht, gute Laune bringt und einem das Gefühl vermittelt, dass man auch als kleiner Mensch Wege und Mittel hat, sich der Angst entgegenzustellen.

Buchdetails:

Rattatatam, mein Herz

  • Aktuelle Ausgabe: Erstausgabe, 11. Januar 2018
  • Verlag: Kiepenheuer&Witsch
  • ISBN: 978-3-462-05047-9
  • Pappband256 Seiten

Nur Mut!

  • Aktuelle Ausgabe: 9. Auflage 2017
  • Verlag: Kösel
  • ISBN: 978-3-466-30945-0
  • Gebundenes Buch, Pappband: 48 Seiten, durchgehend vierfarbig

 

 

 

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