Selbst erfüllende Prophezeiungen

sopranoAntonia Baum steht kurz vor der Veröffentlichung ihres zweiten Romans, in dem es um die Geschichte einer eher außergewöhnlichen Familie geht. Der von seinen drei Kindern gleichzeitig geliebte und gehasste, weil sehr unkonventionell und gefährlich lebende Vater hat plötzlich einen Unfall. Einen lebensbedrohlichen.

Als Antonia Baum sich nach einem Treffen mit dem eigenen Vater nicht in gewohnter Weise von ihm verabschieden kann und dieser am nächsten Morgen einen Motorradunfall hat, hadert sie nicht nur mit ihrer vermeintlichen selbst erfüllenden Prophezeiung. Hat sie diesen Unfall heraufbeschworen, weil sie das schützende Ritual nicht durchführen konnte oder / und ihr Roman eben eine solche Situation zum Thema hat?

Aberglaube oder nicht? Sie quält sich mit einem Gefühl der Schuld und lässt die Außenwelt nun in einem Text mit dem Titel Tony Soprano stirbt nicht teilhaben.

Weshalb sie das tut, wird nicht ganz deutlich. Sie selbst versucht sich mit allem möglichen über Wasser zu halten. Nicht den Mut zu verlieren, wenn sie und ihre Geschwister den Vater im Krankenhaus besuchen. Lange Zeit ist weder klar, ob er überleben, noch ob und welche Schädigungen er zurückbehalten wird.

Sie klammert sich fest an Situationen, die sie kennt. Ihr Lieblingscharakter aus ihrer Lieblingsserie lag auch schon einmal, lebensbedrohlich verletzt, im Krankenhaus. Er hat es geschafft. Ein Soprano stirbt eben nicht einfach. Doch den großartigen Schauspieler James Gandolfini, der den Clanchef Tony Soprano verkörperte, ereilte genau dieses Schicksal. Plötzlich. Unerwartet. Herzinfarkt.

Antonia Baum beschreibt in ihrem Buch ihre Verzweiflung und auch ihre Schuldgefühle, die prinzipiell völlig unsinnig sind – denn ein Unfall ist ein Unfall, weil man ihn weder verhindern noch heraufbeschwören kann – aber menschlich. Sprachlich bleibt sie nüchtern. Hält sich eher am Verlauf der Krankengeschichte fest und blickt vor allem auf ihre Problemlösungsstrategien. Dabei entdeckt sie, dass es ihr schon immer half, Geschichten zu erzählen.

Und so kommt es, dass der Leser nicht nur die Geschichte ihres Vaters präsentiert bekommt, sondern auch drei ungewöhnliche fiktive Erzählungen, die Baum zur eigenen Ablenkung verfasst. Ob hierin die tatsächliche Motivation für die Entstehung von Tony Soprano stirbt nicht zu finden ist? Mag sein, mag auch nicht sein.

Was aber deutlich wird ist, dass die drei Geschichten nicht gerade heiter zu nennen sind und von menschlichen Tragödien und auch von Verrücktheit nur so strotzen. Fiktives-sich-in-tiefes-Leid-begeben als Ausweg aus einer traumatischen Situation? Nicht mein Ding. Ich kann nicht wegsehen, ich muss mich mit einem Problem ernsthaft befassen – wahrscheinlich um das Gefühl des Kontrollverlustes zu vermeiden. Oder um mich unausweichlichen Tatsachen nähern und schließlich stellen zu können. Ablenkung dabei zu finden ist auch mir wichtig. Aber nicht durch vermehrtes Leid, sondern durch Lachen. Lachen schafft zuweilen eine angenehme Distanz zu unangenehmen Dingen …

Tatsächlich hat mich vielleicht aus diesem Grund das sprachlich und stilistisch ansprechende Buch nicht voll mitnehmen können. Die drei Geschichten jedoch sind mir noch sehr klar und deutlich im Gedächtnis. So kann Fiktion das Leben zuweilen deutlicher spiegeln als das Leben selbst …

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 27. Februar 2016
  • Verlag : Hoffmann und Campe
  • ISBN: 978-3-455-40572-9
  • Gebunden: 144 Seiten

 

 

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