Wir hatten es ja schon manchmal auf unserem Blog davon, dass wir alle neben unserem Bloggerdasein (zum Glück!) auch noch ein reales Leben haben – und dass uns das manchmal derart auf Trab hält, dass das Schreiben von Rezensionen nicht möglich ist.
Für tiefergehende Berichte fehlt mir gerade die nötige Ruhe, dennoch möchte ich zu ein paar Büchern, die ich in der letzten Zeit gelesen habe, ein paar Sätze sagen. [Nachtrag nach Beendigung – irgendwie sind es doch wieder mehr geworden …] Heute mal zu diesem:
Der gute König von Leonhard Hieronymi: Ich bin ein Coverfan – und das hier hatte mich sofort gepackt. Die knallige, glatte Jeff-Koons-Figur, die klare Schrift. Wollte ich lesen! Es ist ein schmales Bändchen und hat einen wirklich ganz anderen Plot, als das was sich derzeit so auf dem Markt tummelt: Hieronymi erzählt auf freche, frische Art von ein paar Handwerkern in der Nähe von Frankfurt, die auf unterschiedliche Weise mit dem Unternehmen „Perugino“ verbandelt sind.
Fansi arbeitete dort auch mal, doch weil er sich einen Fauxpas geleistet hatte, ist er nun bei einem kleinen Klempnerbetrieb, dessen Inhaber mittlerweile neben Fansi der einzige Mitarbeiter ist, denn die besten Zeiten des Unternehmens sind vorbei. Hieronymus Bosch ist noch ein Handwerker vom alten Schlag, er hat es nicht so mit dem bürokratischen Teil der Unternehmensarbeit, Rechnungen schreibt er nicht gern und wenn sie nicht bezahlt werden, dann ist das halt so. Diese vom Alkoholkonsum noch zusätzlich angefachte Laissez-faire-Einstellung hat den Betrieb in die desaströse Situation gebracht, in der er nun ist.
Um in seinem jungen Alter nicht in die Arbeitslosigkeit zu schliddern und um etwas Neues zu wagen, was eigentlich nicht so sehr Fansis Charakter entspricht, überwindet Fansi sein schlechtes Gewissen gegenüber Bosch und geht mit seinem Kumpel Bashkim aus alten Zeiten bei Perugino auf Montage nach Paris. Dort bauen sie mit anderen europäischen Handwerkern das Geschenk des Künstlers auf, das er Paris zum Gedenken an die Toten der dortigen Terroranschläge im Jahr 2015 gemacht hat – eine riesige Hand aus glänzendem, hochpolierten Metall, die elf Tulpen hält. Die Einzelteile wurden zuvor bei Perugino für Koons gefertigt – ein Unterfangen, bei dem sich Bashkim offensichtlich auch seine Gesundheit ruiniert hat – oder liegt es doch nur am allgemein viel zu ungesunden Lebenswandel?
So schmal das Bändchen ist, so überraschend ist es auf diesen wenigen Seiten. Man steigt sehr zünftig ein im ersten Kapitel, muss erst mal mit Fansi und Bosch zum Handwerkerfrühschoppen, dem „höchsten Festtag“, wie Chef Bosch das bezeichnet. Hart, aber herzlich muss man den Umgangston auf diesem Treffen wohl nennen, nichts für schwache Nerven, aber dann geht es bergauf und wir steigen ein in die Geschichte um den liebenswerten, eigentlich loyalen Fansi, der sich aber bedrängt fühlt, nicht immer nur rumzuluschen, sondern auch mal was anzupacken. Natürlich steckt dahinter eine Frau, die er beeindrucken will. So bekommt man hier auf schräge und skurrile Weise Einblicke in die Handwerkerwelt und hier im Speziellen in einen Betrieb, der Metallteile der höchsten Qualitätsanforderung für einen der teuersten Künstler der Welt herstellt. Die Frage, die über allem schwebt, ist: Wer ist denn hier eigentlich der Erschaffer dieser Kunst? Koons, der einmal einen Entwurf machte, oder die Metallverarbeiter, die diese in ihren Dimensionen wahnsinnige Skulptur tatsächlich entstehen lassen? Über zwölf Meter hoch, mehr als acht Meter breit, mehr als zehn Meter tief und fast 34 Tonnen schwer ist die Hand mit Tulpenstrauß. Sie steht mittlerweile, dank Fansi und Bashkim quasi, im Garten des Petit Palais, zwischen den Champs-Élysées und der Seine auf einem Kalksteinsockel. Mit dem Schaffensprozess hatte Koons nichts zu tun, außer, sich bei einem Besuch in der Firma in Frankfurt der Makellosigkeit der Aluminium- und Stahlteile zu versichern. Noch viel wichtiger, wer nun der wirkliche Erschöpfer ist, ist aber die Frage der Wertschätzung, sowohl monetär als auch gesellschaftlich. Die Antwort kennen wir alle.
Ein Buch, das mich überrascht hat und an das ich erstaunlicherweise immer wieder mal denken muss, obwohl es in keinem Fall meinem sonstigen Beuteschema entspricht. Das Großartige an „Der gute König“ ist, dass alle Fakten stimmen, nichts davon ist Fiktion.
Der Stil passt zum Erzählten, der Stoff ist interessant – ich würde es Lesern empfehlen, die Lust haben auf neue Lesegebiete und die nicht zu zimperlich sind – vielleicht wäre es auch etwas für Heinz-Strunk-Fans. Ein Versuch ist es wert.
Der gute König von Leonhard Hieronymi ist im August 2023 bei Hoffmann und Campe erschienen. Weitere Infos zum Titel und Verlag über Klick auf das Buchcover oder den Verlagsnamen.

