Gegen das Vergessen

Dieses Jahr wird an vielen Orten in Deutschland an all die wunderbaren, klugen, weitsichtigen und geistreichen Menschen gedacht, deren Werke vor 90 Jahren bei den Bücherverbrennungen in vielen deutschen Städten durch nationalsozialistische Studentengruppen in die Flammen geworfen wurden.

Da wir mit unserer Buchhandlung auch eine Buchpräsentation im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Hamburg liest verbrannte Bücher“ durchgeführt haben, möchte ich dies zum Anlass nehmen und meinen mündlichen Beitrag hier in schriftlicher Version veröffentlichen.

Zwischen all den unterhaltsamen, lebensklugen und frischen Neuerscheinungen lohnt es immer, auch mal einen Blick in einen guten alten Klassiker zu werfen. Wir haben bei unserem Gedenkabend an viele mutige, spannende Schriftsteller*innen erinnert: Franz Werfel, Erich Kästner, Heinrich Heine, Alfred Döblin, Helen Keller, Lisa Tetzner & Kurt Held, Irmgard Keun und – Kurt Tucholsky. Letzteren habe ich mir genauer unter die Lupe genommen.

Man kennt Tucholsky ja hauptsächlich als scharfzüngigen, unglaublich brillanten, weitsichtigen Journalisten, der vor allem in den 1920er-Jahren sehr viele politische und satirische Texte schrieb.

Seinen literarischen Durchbruch aber hatte er 1912 mit nur 22 Jahren mit einem ganz andersartigen schmalen Bändchen: „Ein Bilderbuch für Verliebte“. „Rheinsberg“, so der Haupttitel, ist inspiriert von glücklichen Tage, die Tucholsky mit seiner Jugendliebe und ersten Ehefrau Else Weil 1911 in Rheinsberg verlebt hatte. Sehr nette Idee für frischverliebte Pärchen: Buch kaufen, Reise nach Rheinsberg buchen, dort spazierengehen und sich gegenseitig aus dem Buch vorlesen. :-) Dieses Buch funktioniert allerdings tatsächlich vor allem für hormongeschwängerte, liebestrunkene Menschen, denn das sind die Protagonisten Claire und Wolfgang auch. Liest man es nur so, bleibt viel des eigentümlichen Charmes der kindisch-verliebt-vor-sich-hin-brabbelnden Claire auf der Strecke und man legt das Buch dann vielleicht doch genervt zur Seite.

Tucholsky stammt aus einer bürgerlich-jüdischen Familie und es geht ihnen finanziell immer gut, obwohl der geliebte Vater stirbt, als Tucholsky erst 15 Jahre alt ist. Der Vater hatte ein beachtliches Vermögen hinterlassen, was dem jungen Kurt nach Schulabschluss eine größtmögliche Freiheit bietet: Er studiert Jura, promoviert auch, seine Passion ist und bleibt aber das Schreiben, denn schon als Schüler hat er die große Begabung dafür bemerkt und immer irgendwie geschrieben.

Er ist 24 Jahre alt, als der Erste Weltkrieg beginnt, und erlebt an der Front am eigenen Leib die Grausamkeiten dieses Wahnsinns. Seine Erfahrungen dort prägen ihn nachhaltig und er kommt 1918 als radikaler Pazifist zurück nach Berlin. Mit Glossen und Kritiken macht er sich einen Namen als scharfer Ankläger des deutschen Militärs und wird in den folgenden Jahren einer der bekanntesten Publizisten Berlins. Man nennt ihn den „Meister der kleinen Form“, da er neben den Glossen und Kritiken auch Essays, Kolumnen, Gedichte und Lieder schreibt. Seine Plattform ist vor allem die linksdemokratische Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“, deren Herausgeber er zeitweise ist. Mit Carl von Ossietzky zusammen wird aus der „Weltbühne“ eines der wichtigsten publizistischen Instrumente der Weimarer Republik.

Um die Zeitschrift nicht zu Tucholsky-lastig wirken zu lassen, legte er sich schon früh Pseudonyme zu, nämlich Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel. Eine Auswahl dieser Texte findet sich in dem Bändchen „Panter, Tiger und Co“. Sie haben oft eine Aktualität, die fast schon erschreckend ist, und sie sind in einer Sprache geschrieben, die nicht bei allen Texten, aber doch den meisten sehr frisch und zeitlos wirkt. Ein Beispiel dafür:

Ja, Bauer, das … !

Sämtliche Buchhändlerfenster sind voll

von Kriegsbüchern und Romanen.

Die Presse war schuld! Der Kaiser war toll!

Man hat uns mit allen Schikanen

belogen,

betrogen,

dumm gemacht,

ums Denken gebracht –

Großer Katzenjammer.

Natürlich hat es sich nicht gelohnt.

Natürlich hätten wir die andern geschont.

Natürlich ist alles ganz falsch gewesen.

Natürlich ist unschuldig deutsches Wesen.

Auf ein Mal

sind sie sentimental,

gefühlvoll, pathetisch und Kriegsverdammer.

Großer Katzenjammer.

Aber –:

Geht das morgen wieder los,

vertauschst du nur die Farben,

dann erleiden Millionen ein schlimmeres Los –

vergessen, wie andere starben.

Polen zum Beispiel … der Korridor …

Da stürmen zehntausend Freiwillige vor …

da knattern die neuen Fahnen im Wind;

da bilden Großvater und Enkelkind

das von ihrer Zeitung befohlene Spalier!

Deutschland seis Panier!

Flaggen! Geflaggt ist jedes Haus.

Burschen heraus!

Und du hörst im Knallen des Salamanders:

Ja, Bauer, das ist ganz was anders –!“

Theobald Tiger

(Die Weltbühne, 10.09.1929, Nr. 37, S. 403)

Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen! 10 Jahre vor Kriegsbeginn bereits eine solche Klarsicht! Dramatisch!

Im Frühjahr 1924 zieht Tucholsky als Korrespondent der „Weltbühne“ nach Paris und kehrt in den Jahren danach nur noch sporadisch nach Deutschland zurück. Gerade diese Distanz zu seinem Vaterland schärfte seinen Blick auf Deutschland noch zusätzlich. Er schreibt Artikel über das Leben der Franzosen, kommentiert aber genauso das politische und kulturelle Leben in Deutschland. Vor allem liegt ihm die Völkerverständigung zwischen diesen beiden Ländern am Herzen.

Gegen Ende der 1920er-Jahre wird Tucholsky radikaler in seinen verbalen Kritiken und Angriffen bezüglich der politischen Lage Deutschlands. Er kritisiert die Gegner der Weimarer Republik und die ohnmächtige Sozialdemokratie. Kurz nähert er sich der KPD an, sie ist ihm jedoch zu dogmatisch.

Immer wieder muss sich Tucholsky nun mit politischen Gegnern auseinandersetzen, die sich von seinen Äußerungen beleidigt oder attackiert fühlen.

Wegen des berühmten Tucholsky-Satzes „Soldaten sind Mörder“ wird Carl von Ossietzky verklagt, im Juli 1932 jedoch freigesprochen. Tucholsky selbst wird nicht belangt, da er im Ausland lebt. Mittlerweile nicht mehr in Paris, sondern in Skandinavien. 1929 verlegte er seinen Wohnsitz dauerhaft nach Schweden. Es trifft ihn tief, als ihm in dieser Zeit klar wird, dass alle seine Warnungen ungehört verhallen und sein Eintreten für die Republik, für Demokratie und Menschenrechte offenbar ohne jede Wirkung bleiben. Als klarsichtiger Beobachter der deutschen Politik erkannte er die mit Hitler heraufziehenden Gefahren sehr früh. „Sie rüsten für die Reise ins Dritte Reich“, schrieb er schon Jahre vor der Machtübergabe, und er machte sich keine Illusionen, wohin eine Reichskanzlerschaft Hitlers das Land führen würde.

1932 schließlich resigniert Tucholsky gänzlich und hört auf zu schreiben, zu sehr ist er frustriert von der politischen Lage und seiner persönlichen Situation, die ihm kaum noch Möglichkeiten bietet, zu publizieren.

1933 verbieten die Nationalsozialisten die „Weltbühne“ und erkennen ihm die deutsche Staatsangehörigkeit ab. Bei den Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 wird explizit gegen Ossietzky und Tucholsky gehetzt, ihre Bücher verbrannt. Der Wortlaut, der skandiert wurde, lautete: „Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!“.

Am Abend des 21. Dezember 1935 stirbt Kurt Tucholsky in Göteborg. Es galt lange als gesichert, dass er Suizid begehen wollte mit einer Überdosis von Schlaftabletten – eine These, die jedoch 1993 von Tucholskys Biografen Michael Hepp angezweifelt wurde. Hepp fand Anhaltspunkte für eine versehentliche Überdosierung des Medikaments. Final wurde dieser Sachverhalt nie geklärt.

Aber, ob beabsichtigt oder nicht, es handelt sich hier um das sehr traurige Ende eines so klugen und hellsichtigen Menschen, der an seinem Schicksal verzweifelte, weil keiner glaubte und dem Beachtung schenkte, was er schon früh erkannte.

„Rheinsberg – Ein Bilderbuch für Verliebte“ von Kurt Tucholsky ist bei Anaconda als Hardcover erschienen, „Panter, Tiger & Co.“ mit einer Auswahl seiner Texte ist herausgegeben worden von seiner zweiten Frau Mary Gerold-Tucholsky und ist bei Rowohlt als Taschenbuch erschienen.

(Quellen: Flyer vom Kurt Tucholsky Literaturmuseum 2004, Wikipedia)

Ein Gedanke zu “Gegen das Vergessen

  1. meine Tucholskys muss ich nochmals kaufen. Habe sie gebraucht von der Caritas, uralte Exemplare bei denen sich die Schrift durchgedrückt hat und daher ist fast alles nicht mehr lesbar.

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