„… flüstert sie dann und verbeugt sich – es sind die Worte, die der große Zauberer Howard Thurston vor jedem Auftritt vor sich hingemurmelt hat, kurz bevor der Vorhang aufging.“
So endet dieses wunderbare Buch über das Leben und die Freude, im Leben Neues zu entdecken, den Wissensdurst der Menschen, Liebe für das Leben zu empfinden und in kleinen wie großen Dingen zu scheitern. Eigentlich das ganz normale Leben. Und so viele Menschen verstehen dies nicht, während sie leben, nutzen nicht diese kleinen Augenblicke der täglichen Freude. Wie schrieb Thornton Wilder in seinem Buch über das normale Kleinstadtleben ‚Unsere kleine Stadt‘? „Sie verstehen nicht.“
Nein, nein, das Ende ist kein Spoiler! Der Satz hätte auch am Anfang des Buches stehen können. Stellt euch vor, ihr erfahrt euer Todesdatum. So ergeht es vier Geschwistern, die eine Wahrsagerin besuchen, die in der Stadt ist. Das älteste der Geschwister vierzehn, das jüngste neun. Kein Alter, in dem sie die Ausmaße dieses Wissens begreifen können.
Sie reden nicht groß über ihr eigenes Todesdatum miteinander, es wird im Buch in den Unterhaltungen selten thematisiert, denn es geht nicht um den Tod. Das Buch handelt von den Wegen der vier, in ihrem weiteren Leben. Jeder der vier bekommt sein eigenes Kapitel und jeder der vier lebt sein eigenes Leben. Simon der jüngste, zieht nach San Fransisco und erlebt sein Coming out in den frühen 80er Jahren. Er leidet unter seinem anders sein, in San Fransisco findet er Gleichgesinnte. Er löst sich von seiner Familie und tritt einer Tanzschule bei. Dort trifft er Robert.
„Robert rutscht nach unten und legt den Kopf auf Simons Brust, und Simon hält ihn in den Armen. Er überlegt was er tun kann, um Robert zu beschützen, wie er ihn trösten kann – ob er Roberts Hand drücken oder etwas sagen soll, ob er ihm den frisch rasierten Kopf streicheln soll. Diese Verantwortung, dieses neue Geschenk, ist etwas ganz anderes als ficken: einschüchternder, erwachsener, und die Gefahr, dass man versagt, ist unendlich viel größer.“
Klara betritt den Weg einer Zauberin. Sie hat mit dem Umherziehen mit ihrem kleinen Kind und ihrer eigenen Unrast zu kämpfen, die sie öfter befällt. Auch ist das Geld meist knapp und mit dem eingewanderten Vater aus Indien zieht sie in einem Wohnwagen von Stadt zu Stadt. Daniel heiratet und befasst sich später mit der Wahrsagerin, der das FBI auf der Spur ist. Sein Tenor ist ein kritischer Blick auf die damals gestellte Vorhersage. Varya befasst sich mit der Unsterblichkeit und dem Versuch, das Leben zu verlängern, doch muss dies unbedingt unter lebensunwürdigen Verhältnissen passieren?
„Sie wollen nicht in Käfigen leben und sich von Trockenfutter ernähren. Sie wollen Licht und Abenteuer! Sie wollen Gefahr! Was für ein Schwachsinn, unser Überleben wichtiger zu nehmen als unser Leben. So als könnten wir das eine oder andere kontrollieren.“
Es ist schwer, mehr zu schreiben, ohne wirklich zu spoilern. Alle Geschwister habe ich nach einer Weile sehr plastisch und intensiv empfunden. Chloe Benjamin schildert sie und ihre Lebenswege, in einfachen Sätzen. Dabei wird die Zeit von Ende der 60er Jahre und heute sehr lebendig mit den Ereignissen der Welt gefüllt. Die Geschwister sind im jüdischen Glauben erzogen worden, doch Frieden finden sie nicht in der Religion.
„Zum Thema Tod und Unsterblichkeit hat das Judentum wenig zu bieten. Während andere Religionen sich eingehend mit dem Sterben befassen, geht es den Juden hauptsächlich um das Leben.“
Wenn sie etwas antreibt, dann ist es der Wille der Juden weiterzuleben, weiterzumachen, egal was passiert.
„Wenn das Judentum sie etwas gelehrt hatte, dann, dass man immer weiterlaufen musste, egal, wer versuchte einen gefangen zu halten. Das Judentum hatte sie gelehrt, alles zu versuchen, Steine in Wasser und Wasser in Blut zu verwandeln. Es hatte sie gelehrt, dass so etwas möglich war.“
Doch ist dies kein religiöses Buch. Es behandelt einfach alle Einflüsse, denen wir im Laufe der Jahre ausgesetzt sind. Wer böse ist, könnte sagen, ein Rundumschlag aller Themen, ohne in die Tiefe zu gehen. Ein schielen nach Konsens – oder noch schlimmer – ein Hollywood Thema. Sicherlich wird dieses Buch verfilmt werden. Und mit einem guten Drehbuch kann es auch ein Erfolg werden, selbst für viele kritische Stimmen. Mir hat das Buch beim Lesen sehr viel Wärme und Lebendigkeit vermittelt. Auch wenn es vielleicht nicht in großen literarischen Worten geschrieben ist, es strahlt eine unglaubliche tiefe Empathie zu den Figuren aus. Eine Wärme und Liebe zum Leben.
Für mich ein Lesehighlight des Jahres und eine unbedingte Empfehlung!
Die Unsterblichen von Cloe Benjamin ist im August 2018 bei Btb erschienen. Für mehr Informationen zum Buch Klick auf das Cover oder direkt auf die Verlagsseite.
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Hach, das Buch fand ich auch ganz grandios, obwohl ich erstmal ein paar Monate nach dem Hype auf Instagram und den Blogs abgewartet habe, da mir der Klappentext doch nicht so zugesagt hat. Es hat sich aber richtig gelohnt! Auch eines meiner Highlights.
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Noch ein Lesehighlight nach Dodo? Muss ich wohl haben. Du bist ja restlos begeistert
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