Revolution von oben

Frankfurt war schon immer die Bankenstadt, der Hochtaunus das Herz der Wohlstands-Reich-Geborenen. Oder Neureichen. Man schaue sich nur die Flugrouten des Frankfurter Flughafens an. Na, Na, Na? Eben, da fliegen keine Charterbomber über die Köpfe der Besseren und Reichen hinweg. Kein Lärm stört die heile Welt des Geldes. So, wie auf dem Cover, ruht still der Wald.

Um die Zukunft braucht sich auch niemand Sorgen zu machen, besonders im Bankenbereich: denn ‚To big too fail‘ ist die Devise, und sollte mal was schiefgehen, ist der verpönte Steuerzahler doch gleich an der Seite der systemrelevanten Firmen.

„Aus allen Zimmern des Hauses war im Tal die Frankfurter Skyline zu sehen, deren Bohrtürme ihre Meißel in eine Tiefenströmung trieben, in unerschöpfliche, da erfundene Reserven. Der Wohlstand schwappte aus der Stadt, sodass zwischen Frankfurt und Falkenstein die letzten Makel der Nicht-Premiumhaftigkeit verschwanden, die letzten Reste von Armut und Kleinbürgertum, nicht aus den Seelen der Menschen, aber aus dem gesellschaftlichen Gewebe, das man sich am ehesten als eine pastellfarbenen Seide hätte vorstellen können.“

So ein Reichtum kann auch schnell langweilen, besonders wenn es so geschmeidig wie bei Victor geht. Als Investmentbanker hat er viel Geld zusammengekratzt – alleine sein jährlicher Bonus ist mehr, als mancher in seinem Leben verdient – doch alle Liebesbeziehungen gehen in die Binsen und der gekaufte Sex im Spa Bereich ist zwar regelmäßig, aber eben nur körperlich.

Victor ist Partner einer aufstrebenden Investmentfirma und geübt im Schein-Dasein.

„Schon in seiner Kindheit hatte er damit begonnen, für die Interaktion mit jedem Gegenüber eine maßgeschneiderte Persona zu entwickeln, die diesem das zeigen sollte, was es erwartete, und das geben, was es wollte, während Victor sich hinter der resultierenden Benutzeroberfläche verborgen halten konnte.“ 

Wie er selbst ist, darin hat er keine genaue Vorstellung. Was ihn wundert ist, dass noch niemand, auch politisch, gegen die ungerechten Verhältnisse vorgeht. “ Wo waren die roten Fahnen?, wo waren die Mistgabeln? Warum ölte niemand eine Guillotine?“ Er selber hat klare Vorstellungen, wie das Leben in der Zukunft aussehen sollte. Visionen sind sowieso sein Ding bei der Investmentbank, da er genau diese den Firmen verkauft. Also verfasst er eine politische Streitschrift, die eine echte Alternative für Deutschland darstellen sollte. (Nicht das, was uns die rechtspopulistischen Hohlköpfe verkaufen).

„‚Ich bin mit Deutschland nie warm geworden‘, sagte Victor. ‚Ich frage mich auch, wie das mit der Integration funktionieren soll, ich meine: Wen durchzuckt denn bitte die Sehnsucht, seine Deutschwerdung zu erleben? Womit soll man sich identifizieren? Kleinmut, Duckmäusertum, Renitenz, Besserwisserei, Pedanterie, Missgunst, Selbstgerechtigkeit, Geiz, Gehorsam, Größenwahn – das ist nicht gerade als attraktive Kombination zu bezeichnen. Um jetzt einmal nicht den Völkermord zu erwähnen. Was sollen das also für Leute sein? Im Grunde genommen sollte man die Zielsetzung, deutsch zu werden, als Hinweis auf eine fragwürdige charakterliche Prägung werten, die das Erteilen einer Aufenthaltsgenehmigung nicht als ratsam erscheinen lässt…'“

Mit dieser Schrift im Gepäck gründet er eine Partei, die die Macht in Deutschland übernehmen soll und sein türkischer Freund soll Kanzler werden.

Ein herrlich politisch unkorrektes Buch, das intelligent und wortwitzig herüber kommt, eine zynische, bitterböse Realsatire auf höchstem Niveau und viele unbequeme Wahrheiten ausspricht. Demokratie sollte immer wehrhaft bleiben und nicht im Sumpf des Konsens versinken. Klare Ansprachen wie in Victors Streitschrift sind gefragt. Wenn es immer so einfach wäre…

Ein Lesehighlight meines Jahres und eine unbedingte Empfehlung!

Hochdeutschland  von Alexander Schimmelbusch ist im August 2018 bei Klett Cotta erschienen. Für mehr Informationen zum Buch Klick auf das Cover oder direkt auf die Verlagsseite.

 

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