Burn a little brighter now

Read some Kerouac and it put me on the tracks
To burn a little brighter now

21. Mai 1968 – eine junge Frau, nennen wir sie Jan Weintraub, steht vor dem Haus der zurückgezogen lebenden Ikone der Beat-Generation und hat ein Anliegen: sie will seine Einwilligung, um die autorisierte und exklusive Biographie über ihn zu schreiben. Gerade sein Roman On the road ist ihre Bibel und ein wenig hat sie auch vor, sich auf einen ähnlichen Weg zu begeben, unterwegs zu sein – auch deshalb hat sie sich auf den Weg zu ihrem Idol gemacht.

Something about Roman candles fizzing out
Shine a little light on me now

Jack Kerouac hingegen, der nicht ohne Grund so öffentlickeitsscheu lebt, hält von einer Biographie, wer auch immer diese schreiben möge, gar nichts. Denn eigentlich will er Unsterblichkeit durch die Überwindung des Ichs erreichen: Triffst Du Buddha – töte ihn oder um mit Jack und Meister Eckart zu sprechen, es geht um den großen Tod. Und damit um die Abtötung des Ego und den eigentlichen Weg ins Licht.

Burn a little brighter now – das bekommt hier im Gegensatz zu der Lesart der Beat-Generation einen anderen Dreh. Und doch sind es beide Seiten, die Jack immer noch in sich vereint. Das lichterlohe Brennen der Beat-Generation, dem gerade er mit seinem Kultroman On the road – Unterwegs eine Stimme gab, und das sich im Rausch seine Bahn brach und daneben die Suche nach der Erleuchtung, dem spirituellen Licht. Alkohol war seine Droge und ist es auch noch, als Jan an seine Tür klopft.

Found a strange fascination with a liquid fixation
Alcohol can thrill me now
It’s getting late in the game to show any pride or shame
I just burn a little brighter now

Nach einiger Abwehr seitens Jacks, lässt er sich dennoch auf Jan ein und erlaubt ihr, wenn schon nicht seine Biographie zu schreiben, dann doch zumindest seine Texte für die Nachwelt zu verzeichnen. Langsam aber sicher, gewinnt Jan immer mehr an Boden im Hause Kerouac, was seine Ehefrau Stella nicht weiter stört, solange Jack keine ausgedehnten Ausflüge in die nächstgelegene Bar unternimmt. Denn diese enden erfahrungsgemäß  mit Schlägereien und in komatösen Zuständen. Wer aber ist Jack wirklich und wer ist Jan? Jacks Mutter, die ebenfalls noch im Haus wohnt, scheint eine gewisse Abneigung gegen die junge Frau zu haben, deren Herkunft und Identität in McCartens Roman genauso wenig klar wird, wie die seines Hauptsujets.

Anthony McCarten ist ein routinierter Autor, der bereits eine Oscar-Nominierung für das Biopic Die Entdeckung der Unendlichkeit, das die Lebensgeschichte Stephen Hawkings erzählt, erhielt. Letztes Jahr erschien sein biographischer Roman Licht über Thomas Alva Edison und derzeit läuft Die dunkelste Stunde, ebenfalls ein biographischer Film über Winston Churchill, für den McCarten das Drehbuch geschrieben hat, mit großem Erfolg in den Kinos. Gary Oldman, der Churchill verkörpert, hat sowohl einen Golden Globe als auch den Oscar als bester männlicher Hauptdarsteller eingeheimst. McCartens Leidenschaft scheint also durchaus der biographischen Spurensuche zu gelten. Über sein Schreiben im allgemeinen und dieses Buch im besonderen sagt er selbst: »Von Kerouac lernte ich zu schreiben. Seine Engel und Dämonen waren meine eigenen. Er ist der Held meines Buches über die Frage, wer wir wirklich sind.«

Bisher wusste ich bei McCartens Romanen immer, wohin die Reise geht. Dieses Mal war das anders. Nicht weil ich mir – wie vielleicht andere Leser – eine feste Vorstellung davon gemacht hatte, was er mir erzählen möchte oder Erwartungen meinerseits erfüllt sehen wollte, sondern weil McCarten in Jack – im Original mit American Letters betitelt, was wenn man sich ein wenig mit Kerouac, der Zeit, der Beat-Generation und ihrem Umfeld beschäftigt hat, eine wunderbare Mehrdeutigkeit ergibt – so erzählt, dass ich immer irgendwie auf der Suche nach dem Kern der Sache war. Hinter jeder Biegung, die sein Text nahm, vermutete ich eine Auflösung, eine Erkenntnis und fand doch die nächste Abzweigung. Und das bis zum Schluss, der mich folglich recht ratlos zurückließ.

Aber auch nachdenklich und da ich ein überaus neugieriger Mensch bin, begann ich, darüber nachzudenken, ob ich nicht einfach auf einen Trick hereingefallen war. Wollte McCarten denn tatsächlich etwas klären? Der einzige Schluss, der sich mir als logisch erweist, wenn ich näher darüber nachdenke ist, dass man Jack wie ein Palimpsest lesen muss. Geschichte über Geschichte geschrieben. Wie Kerouac bei On the road vorging, das er zwar in einer Rekordzeit von nur drei Wochen auf eine 40 Meter lange in eine Schreibmaschine eingespannt Papierrolle getippt aber über Jahre hinweg immer wieder umgeschrieben und dabei vor allem die Personen immer verändert und umbenannt hatte, so ist meiner Meinung auch McCarten vorgegangen. Nicht über lange Zeit, wie Kerouac, sondern einfach durch den Trick, seine Protagonistin immer wieder ihre Identität wechseln zu lassen. In der Figur der Jan Weintraub spiegelt sich alles wieder, was mit der Überwindung des Ich und damit mit Kerouacs Ästhetik des Schreibens verbunden werden kann. Oberflächlich betrachtet ist Jack eine gut geschriebene Geschichte um Täuschung und Wahrheit, Leben und Tod aber im Kern – zumindest sehe ich das so – ist es eine Täuschung.

McCarten hätte es uns Leser*innen zu einfach gemacht, hätte er die Wildheit der Beatnik-Ära eingebracht und dafür stringent erzählt. Kerouac war 1968 zudem bereits stark durch seine schlechte Gesundheit und seinen anhaltenden Alkoholismus gezeichnet. Und die Theorie, die McCarten in seinem Roman – die im übrigen wohl auch andere Kerouac-Spezialisten teilen – bezüglich Neal Cassady und Kerouacs Schreibstil aufstellt, passt wunderbar zu der alles beherrschenden Frage nach der eigenen Identität. Besitzt man eine eigene oder bediene ich mich entliehener Identitäten, um eine eigene vorzugaukeln, die ich jederzeit wechseln kann?

Auch wenn diese Fragen nicht wirklich geklärt werden können, zumindest was Kerouac angeht, so bleibt doch eines klar: Kerouac hat und wird es weiterhin, unterschiedlichste Menschen inspiriert. Über die weiterführende Lektüre hinaus wurde mir tatsächlich klar, wie weit sein Einfluss auch nach seinem Tod reicht. Und auch hier fand ich erneut die Verbindung zur Musik: Eine meiner Lieblingsscheiben aus dem Jahr 1987 ist ein Konzeptalbum der Band Marillion und hat den Titel Clutching at straws, aus dem der eingangs und eingeschoben zitierte Text des Torch Song, der wie das gesamte Album auf Kerouac Bezug nimmt.

Doctor says my liver looks like leaving with my lover
Need another ‚time out‘ now
Like any sort of hero turning down to zero
Still standing out in any crowd
Pulling seventeen with experience and dreams
Sweating out a happy hour
When you’re hiding 29 you know it ain’t a crime
To burn a little brighter now

In irgendeiner Art und Weise klingt hier auch bei mir eine Saite an, ein wenig heller leuchten wollen wir doch im Grunde alle. Irgendwie. Nur nicht frühzeitig verbrennen …

“So if you want my address it’s number one at the end of the bar
Where I sit with the broken angels clutching at straws and nursing our scars”

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: 28. Februar 2018
  • Verlag: Diogenes
  • ISBN: 978-3-257-06856-6
  • Leinen, gebunden: 256 Seiten

 

 

8 Gedanken zu “Burn a little brighter now

  1. Danke! Nun, ich denke mir einfach, ein so versierter Autor wie McCarten, der noch dazu Kerouac angibt, als denjenigen, der ihn alles gelehrt hat, was er über das Schreiben weiß, der macht nichts ohne Konzept. Nicht bei seinem „Helden“. Der schreibt nicht einfach mal so irgendwas runter 😉 Von daher, war es für mich persönlich die naheliegendste Deutungstheorie ;))) LG und einen schönen Sonntag, Bri

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  2. Schön geschrieben und spannende Deutungstheorie. Ich finde die Verbindung zu dem von dir gefundenen Musikstück sehr interessant. Sicher manchmal überraschend, wo man Kerouac überall findet, wenn genau genug hinschaut.

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  3. Hmm, schwer zu sagen. Ich habe mit Maggie Cassidy angefangen, aber ich bin jetzt auch kein Kerouac Experte, ich glaube, ich würde vielleicht mit the town and the city anfangen … aber im Grunde ist es wohl egal. 😉

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