Der Ästhet und der Boxer

Meine Liebe zur Literatur F. Scott Fitzgeralds ist ja nun in gewissen Kreisen – also auf jeden Fall hier – hinlänglich bekannt. Obwohl mir natürlich bewusst ist, dass er als Mensch, gerade in den Zeiten großer Trunksucht, ein ziemlicher Idiot sein konnte, hatte ich immer das Gefühl, dass er trotz allem eher zurückhaltend, unterstützend, aber eben durch die Umstände und sein Leben überfordert war. Schreiben zu wollen oder zu müssen, weil es Geschichten gibt, die aus einem heraus brechen, die man anderen Menschen mitgeben möchte, damit sie in ihnen nachhallen ist wohl das Ideal der Schriftstellerei. Zumindest stelle ich mir das so vor. Schreiben zu müssen, um Geld zu verdienen, nun ja, Fitzgerald konnte es wie kein anderer. Seine Stories hielten die Familie über Wasser, bezahlten später die Behandlungen Zeldas und waren für ihn die Möglichkeit, an Geld zu kommen, die sich schnell umsetzen ließ. Und was dabei rauskam, konnte sich immer sehen lassen.

Was Ernest Hemingway betrifft, bin ich – voreingenommen und etwas unfair – nicht ganz so freimütig damit, ihm seine menschlichen Schwächen nachzusehen und mich bei der Lektüre davon nicht beeindrucken oder leiten zu lassen. Sicher gibt es Werke von ihm, die ich gerne gelesen habe: Paris, ein Fest fürs Leben, das zugegebenermaßen nicht eines seiner Glanzstücke ist, mich aber wegen Paris und der Tatsache, dass meine allerbeste Freundin ein Jahr lang dort lebte und ich sie mehrfach besuchen konnte, einfing oder Der alte Mann und das Meer – für mich tatsächlich sein Meisterwerk. Seine Stories waren gut, doch mir sprachlich zu klar, zu einfach, zu viel Macho?

Verglichen habe ich die beiden Schriftsteller und ihre Werke nie, sind sie doch sowohl sprachlich, inhaltlich als auch konzeptionell einfach nicht vergleichbar und deshalb gehe ich mit der Einschätzung Hermingways zu Getrude Steins Vergleich der zwei Autoren über das Bild unterschiedlich genährter und deshalb auch unterschiedlich brennender Flammen d’accord: dieser ist tatsächlich und prinzipiell obsolet. Doch andererseits kann ich komplett nachvollziehen, was Stein mit ihrem Bild der einen Flamme, die hell leuchtet und ungehemmt brennt – Fitzgeralds Talent – und der anderen, die zwar nicht so hell brennt, dafür aber etwas kontrollierter oder kontinuierlicher – Hermingways Ehrgeiz – meinte. Während die Texte Fitzgeralds für mich immer mit leichter Hand dahingeworfen, dabei aber gut durchdacht schienen, meinte ich den Schriften Hemingways immer dessen Wunsch nach mehr Klarheit, stärkerer Schlichtheit zu entnehmen. Mit einem Beigeschmack von harter, fast körperlich anmutender, Arbeit, ja Schinderei.

Bereits 2013 erschien ein schmaler, sehr liebevoll gestalteter und zusammengestellter Band, der Briefe, die sich Fitzgerald und Hemingway in der Zeit von 1925 bis 1937  schrieben, erstmals auf Deutsch vorlegt. Zumindest was die Zusammenstellung und was die Briefe Fitzgeralds angeht. Hemingways Briefe sind bereits 1984 von Werner Schmitz übersetzt bei Rowohlt in dem Band Glücklich wie die Könige erschienen. Fitzgeralds Briefe hat Lebert erst 2013 übertragen – und das wunderbar ganz im gewohnten Fitzgeraldischen Ton. Dazu hat er noch ein Vorwort, Anmerkungen und eine Zeittafel gepackt, die dem Leser weitere Orientierung geben. Liest man diese Briefe in der sehr gelungenen Zusammenstellung, gewinnt man von beiden Autoren, ihren Werken und ihrer Freundschaft einen durchaus auch überraschenden Eindruck.

Zunächst sind die Briefe die sich Hem und Scott schreiben, geprägt von einem sehr freundschaftlichen Ton, der zuweilen ins spöttisch, selbstironische aber auch klatschhafte übergeht. Es geht buchstäblich um Gott und die Welt. Obwohl Scott nur drei Jahre älter ist als Hem, ist er derjenige, der dem aufstrebenden Jungautor mit Rat und Tat zur Seite steht. Er vermittelt Kontakte zu seinem Lektor Max Perkins bei Scribners, der seinem Ruf folgend sofort das Potential Hemingways erkennt. Ab und an schickt er auch Geld – auch wenn es nur 100 Dollar sind, die zu damaligen Verhältnissen ungefähr 1000 Dollar Wert besaßen. Und er liest Hemingways Texte so genau und kritisch, wie es auch ein Lektor täte. Anfänglich ist Hemingway auch für die Kritik, die ihm der bereits erfolgreiche Freund angedeihen lässt, dankbar und offen, doch als Fitz später sein Werk chirurgisch analysierend auseinanderpflückt – zwar offensichtlich, weil er weiß, dass Hem es noch besser kann – da kommt schon Unmut auf, der sich in der Bleistift – Randnotiz Leck mich am Arsch EH Bahn bricht. Dabei ist der letzte Satz, den Fitz unter die Analyse schreibt durchaus positiv: Ein wunderschönes Buch ist es.

Fitzgerald ist ernsthaft daran interessiert, seinem Freund mitzuteilen, was er literarisch anders machen würde. Und er tut es unglaublich genau, unglaublich überlegt, gut konzipiert, so dass der Eindruck, dass er selbst einfach ein durch übermäßiges Talent gesegneter literarischer Leichtfuß war, verflüchtigt. Auch er musste und wollte hart arbeiten, wollte perfekt sein. Doch wie kann man das, wenn man ein Kind hat und eine Frau, deren Gesundheitszustand sich permanent verschlechtert? Schriftsteller brauchen Kontinuität – man denke nur an Thomas Mann und seine Arbeitsgewohnheiten – und doch benötigen solch kreative Köpfe, vor allem solch scharfsinnige und großartige Beobachter wie Fitzgerald den Input von außen. Ein Dilemma, dem man kaum entkommen kann und Fitzgerald erst recht nicht.

Es kommt wie es kommen muss, die Freundschaft geht dahin, die Briefe werden spärlicher und zum Schluß zeigt sich, dass die unterschiedliche Art zu schreiben, sich nicht vereinend auswirkt. Voreingenommen oder nicht, Fitzgeralds Argumentation ist überzeugend und stringent, als er in seinem Brief vom 01. Juni 1934 seine Art der Fiktion und seine Konzeption von Zärtlich ist die Nacht darlegend, folgendes anmerkt:

„[…] eine Theorie, die ich Conrads Vorwort von Der Neger entnahm. Dass nämlich der Zweck eines geschriebenen Werks darin besteht, auf den andauernden Nachhall im Geiste des Lesers einzuwirken. Im Unterschied zu – sagen wir mal – dem Zweck der Rhetorik an sich oder der Philosophie, die die Menschen jeweils in einer kämpferischen oder gedankenvollen Stimmung zurücklassen. […] dass ich mich daran erinnerte, dass Du einmal beim unmittelbaren Ende von In einem anderen Land versucht hast, etwas herauszuarbeiten, was ganz im Sinne einer solchen Theorie stand. […] Und vielleicht erinnerst Du Dich an meinen Vorschlag, Deinen Hang zum Wortschwall, überall wo er in diesem Buch auftaucht, herauszustreichen und damit aufzuhören. Du warst gegen diese Idee, da Du der Ansicht warst, die Richtlinie eines belletristischen Werkes müsste sein, den Leser in emotionale Höhen zu führen, ihn dann zu enttäuschen bzw. wieder zu erlösen. Du hast keine ästhetischen Argumente dafür geliefert, aber nichtsdestotrotz konntest Du mich überzeugen.“

Das angenehm persönliche Vorwort von Benjamin Lebert macht klar, er will keinem der beiden Autoren den Vorzug geben. Ich kann das auch nach der Lektüre dieses erhellenden Briefwechsels nicht. Für mich ist und bleibt Fitzgerald der Meister der Meister, ein Ästhet. Wenn gar nichts mehr geht, ich aus welchen Gründen auch immer keine Leseruhe finden kann oder mich kein neues Buch einlässt, dann wird es immer eines seiner Werke sein, das mich da rausholt. Allen voran Zärtlich ist die Nacht und Der große Gatsby, die meine Bibeln sind. Aber auch die wunderschönen Kurzgeschichten, wie zum Beispiel Der Riffpirat, die mit ihrem romantischen Kern und den leicht schrägen aber unglaublichen Bildern schon fast etwas von einem Wes Anderson Film haben … was für ein Glück, dass ich diese Schätze habe.

Wir sind verdammt lausige Akrobaten sollte jede Hemingway und / oder Fitzgerald Sammlung vervollkommnen, genauso wie manch anderes Buch, das ich in nächster Zeit noch lesen werde oder bereits gelesen habe und das sich mit einem der beiden beschäftigt. Mit dem Ästheten und dem Boxer, wie ich sie ab jetzt in Gedanken nenne.

Buchdetails:

  • Aktuelle Ausgabe: 12. August 2013
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • ISBN: 978-3-455-40466-1
  • Gebunden:160 Seiten

 

8 Gedanken zu “Der Ästhet und der Boxer

  1. Gerne. Mein Steckenpferd – der Meister der Meister für mich Fitzgerald. Ihm wird häufig Oberflächlichkeit nachgesagt, die er jedoch in keinster Weise wirklich in sich trug. Manchmal ist es nicht gut, wenn man zu gut ist …

    Gefällt 1 Person

  2. … das ist ein leidenschaftlicher Blogbeitrag, sprüht und funkelt. Auch die Unterscheidung der beiden, die in ihren Arbeitsweisen unterschiedlich und auch in der jeweiligen Rangfolge des Schreibens, der eine muss ernähren, der andere „nur“ sich, habe ich auch so empfunden. Damit ist der prinzipielle Blick und die Art der Themen auch andere. Den Briefwechsel besorge ich mir und die Kurzgeschichten, … muss mal sehn, ob die in der Bibliothek zu finden sind. Mag ich beide sehr. Danke Brigitte.

    Gefällt 1 Person

  3. Liebe Birgit, hui, grandios – da werd ich gleich rot. DANKE. Ja, das stimmt schon und ist wahrscheinlich auch wahr, das mit dem jugendhaften Fan. Mir hat es ausgereicht, aber es spornt mich auch an, mich selbst mehr auf die Suche nach Quellen zu begeben. Andererseits hätte ein fundiertes Vor- und Nachwort sicher auch nicht geschadet. Lieben Dank für das Lob und was Fitz angeht, verstehen wir uns ja quasi blind. Liebe Grüße, Bri

    Gefällt 1 Person

  4. Ja, sie ist auch schon ein paar Jahre alt, aber noch nicht sehr … muss mal nachsehen, wann sie rauskam. Nun, Dein Vertrauen ehrt mich, aber … wir werden sehen 😉

    Gefällt 1 Person

  5. Liebe Bri, vor allem deine anfänglichen Gedanken zu der Verschiedenheit von Fitzgerald und Hemingway: Grandios! Du triffst es so, wie ich es auch empfinde – Fitzgerald, das war Talent, Leichtigkeit, Hemingway das riecht nach Schinderei. Ja, und ein wenig lässt sich das ja auch aus dem Briefwechsel herausinterpretieren: Hemingway war Bewunderer und neidisch zugleich. Die Briefe fand ich ebenfalls erhellend, auch wahnsinnig lustig, auch wie beide sich da verbales Ping pong lieferten – klasse. Mir fehlte an diesem Buch jedoch ein wirklich fundiertes Vor- oder Nachwort, v.a. für Leser, die sich jetzt noch nicht so mehr mit den Beiden beschäftigt haben. Ja, Lebert schreibt persönlich, aber im Grunde fast wie ein jungendhafter Fan – mir war das leider etwas zu dünn.
    LG Birgit

    Gefällt 1 Person

  6. Eine Neuübersetzung vom großen Gatsby? Nein, bestimmt nicht, denn meine Ausgabe ist eine Übersetzung von Walter Schürenberg von 1974.
    Übrigens finde ich es sehr gut, dass endlich den Übersetzern mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung gezollt wird.
    Ich bin sicher, dass Du dem Roman in Deiner Besprechung gerecht wirst.

    Gefällt 1 Person

  7. Ach der Gatsby … ich sitze seit Jahren an dem Gedanken, ihn zu besprechen und trau mich nicht 😉 ebenso wie Zärtlich ist die Nacht, was meine Einstiegsdroge war. Hast Du die Neuübersetzung gelesen? Die ist noch besser, als die davor, die schon super war. Ich muss auch bald wieder und dann setz‘ ich mich hin und schreibe …LG Bri – PS: wenn gelesen, dann interessiert es mich natürlich brennend, wie es Dir damit ging.

    Gefällt 1 Person

  8. Eine sehr interessante Buchempfehlung. Vielen Dank! Ist notiert.
    „Der große Gatsby“ habe ich gerade kürzlich bestimmt zum fünften Mal gelesen und wieder genossen.

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..