Der Wunsch nach Versöhnung

IMG_0003Wie beschreibt man etwas, das so schön und zugleich so traurig ist? Kaum ein Buch hat mir derartige Schwierigkeiten bereitet, es zu besprechen, wie dieses hier. Nicht, weil es von fragwürdiger Qualität wäre, sondern weil es ein Bild der derzeitigen Problematik zwischen christlich geprägtem Kulturkreis und muslimisch geprägter Welt skizziert, das mir Angst macht.

Der Autor Nadeem Aslam ist gebürtig aus Pakistan, lebt aber, seit er mit 14 Jahren das Land verlassen musste, in England, wo er Biochemie und Literatur studierte. Mittlerweile ist er ein anerkannter Schriftsteller, der mit „Die goldene Legende“ seinen fünften Roman vorlegt. In Aslams Brust schlagen zwei Herzen, das merkt man. Es liegen ja auch im wahrsten Sinne des Wortes Welten zwischen den Kulturen seiner zwei Heimaten: der seiner Kindheit und der seiner Gegenwart. Auf der einen Seite Pakistan in Südasien, auf der anderen England in Europa. Beide sind Teil seiner Geschichte, seines Lebens – und könnten doch unterschiedlicher nicht sein.

70 Jahre ist es her, dass Pakistan und Indien aus der ehemaligen Kolonie Britisch-Indien hervorgingen. Pakistan ist weitgehend muslimisch geprägt und bis heute gebeutelt von seinem Konflikt mit Indien, vorallem in Bezug auf die Region Kaschmir. Im pakistanischen Staat ist der Islam Staatsreligion, über 90 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Den wenigen Hindus und Christen sind intolerante Übergriffe nicht fremd. Die Verunglimpfung des Propheten Mohammed zum Beispiel ist ein beliebter Vorwand für die Verfolgung von Minderheiten. In diesem korrupten, realen Pakistan ist Aslams Geschichte in der Fantasiestadt Zamana angesiedelt. Sie wirkt wie einem düsteren Märchen aus Tausendundeine Nacht entnommen.

Nargis und Massud, ein erfolgreiches muslimisches Architekten-Ehepaar, wird jäh aus seinem Lebensidyll gerissen, als ein Anschlag verübt wird. Die an sich wunderschöne Aktion, uralte Bücher über eine Menschenkette von Hand aus einer alten Bibliothek in eine neue, von ihnen entworfene Bibliothek zu überführen, wird zum persönlichen Drama für die beiden. Bei seinem Versuch, ein Kind vor den Schüssen des Attentäters zu schützen, wird Massud tödlich verletzt. Für seine Frau Nargis beginnt nun ein Spießrutenlauf, denn der Schütze war, wie sich später herausstellt, ein amerikanischer Diplomat, und so bekommt sie, keine zwei Wochen nach Massuds Tod, Besuch vom militärischen Geheimdienst. Der wenig freundliche Herr hat einen klaren Wunsch: Sie müsse dem Diplomaten seine Tat öffentlich verzeihen. Natürlich erhofft sich der pakistanische Geheimdienst, das ahnt man sofort, irgendein Entgegenkommen der USA für diese „gute Tat“. Nargis lehnt rundheraus ab, wohlwissend, dass dies der Beginn größerer Probleme sein wird.

Neben Nargis wohnen Helen und ihr Vater Lily. Sie sind Christen. Die Mutter Grace wurde vor Jahren von einem Muslim ermordert. Weil sie Christin war, wird dieser Mord jedoch nicht wirklich ernsthaft untersucht. Damit Lily seine kleine Familie ernähren kann, haben Massud und Nargis ihm beim Kauf einer Rikscha finanziell geholfen und auch sonst sind die Nachbarn eng befreundet. Helen war von jeher wie eine Tochter für Nargis.

Der Verlust Massuds und die immer bedrückendere Atmosphäre in der Stadt schweißt alle noch mehr zusammen. Helen studiert und arbeitet nebenbei bei einer Zeitschrift für Zeitgeschehen mit, deren Redaktion eines Tages von Terroristen gestürmt wird. Sie hat großes Glück, das Massaker zu überleben, doch sie wird nun per Fahndungsplakat in der ganzen Stadt gesucht.

Etwa zu gleicher Zeit tritt Imran in das Leben von Helen und Nargis. Ein junger Mann aus der Region Kaschmir, der einst einem Trainingslager angehörte, in dem Islamisten ausgebildeten wurden. Irgendwann jedoch gingen ihm die Brutalität und der Fanatismus dort zu weit und er floh, als sich eine Chance bot. Nun lebt er wie ein Vagabund in den Straßen Zamanas, die Angst, von seinen ehemaligen Mitstreitern entdeckt zu werden, ist sein ständiger Begleiter.

Als Verleumdungen gegen Lily von den Minaretten über die Dächer des Ortsteils Badami Bagh erschallen, wissen Nargis und Helen instinktiv, dass sie nun untertauchen müssen. Der Mob ist außer sich. Imran schließt sich ihnen an und im Laufe der Flucht zu einer paradiesähnlichen Flussinsel entpuppt er sich als wunderbarer Gefährte und erfinderischer, mutiger Überlebenskünstler.

Ineinander verschlungen sind die Geschichten und Schicksale der Protagonisten, und Aslam beschreibt sie in blumig-schöner Sprache. Ein Genuss für jeden, der Freude am Fabulieren hat.

Ich habe das Buch gewählt, weil ich Hoffnung hatte, besser zu verstehen, warum der Islam und andere Religionen so schwer nebeneinander existieren können. Ich hatte gehofft, einen Silberstreif am Horizont zu erkennen, zu sehen, dass es doch eine Möglichkeit geben kann, diese unterschiedlichen Kulturkreise zusammenzubringen. Das Buch hat mich, so schön es auch geschrieben ist, in diesem Punkt doch sehr desillusioniert. Fanatische Gläubige, egal welcher Religionsgemeinschaft, gehen und gingen immer brutal und kompromisslos gegenüber Andersdenkenden vor. Sie interessieren sich nicht dafür, warum andere Menschen anders leben, als sie es tun. Um Kompromisse eingehen zu können, muss man sich für sein Gegenüber interessieren, offen sein für Neues, ohne Angst davor, im eigenen Glauben erschüttert zu werden.

Ich kenne eine muslimische Familie, die ursprünglich aus Marokko kommt, viele Jahre in Spanien lebte und nun vor zwei Jahren nach Deutschland zog, weil in Spanien auf dem Feld als ungelernte Arbeitskraft nichts mehr zu verdienen war. Diese Familie ist so offen, so freundlich, so interessiert an allem. Sie haben beide mittlerweile Deutschkurse absolviert, die Kinder sind schon fast perfekt der deutschen Sprache mächtig und gut integriert. Sie sind arm, sie versuchen zu arbeiten, sofern man ihnen eine Chance gibt, sie sind bescheiden, dankbar und trotz aller Einschränkungen fröhlich. Sie leben ihren Glauben, ohne ihn anderen aufzwingen zu wollen. Sie verurteilen nicht, dass wir so viel moderner, freizügiger leben als sie. Sie machen mit, was sie aus ihrem Glauben heraus gutheißen können, was ihnen für sich selbst unpassend erscheint, lassen sie einfach. Finden es aber völlig normal, dass wir Christen, Deutschen, Europäer das eben machen.

Wären alle Andersgläubigen so offen, kompromissbereit und verständig wie diese Familie, es gäbe keine Religionskriege mehr. Man könnte nebeneinander existieren, einander respektieren, voneinander lernen und gemeinsam eine höhere Bewusstseinsebene erreichen.

Doch dahin, so zeigt es Aslams traurigschöner Roman, ist es leider noch ein sehr langer, sehr steiniger Weg.

Buchdetails:

  • Aktuelle Ausgabe: 04.09.2017
  • Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt
  • ISBN: 978-3-421-04755-7
  • Gebunden mit Schutzumschlag: 416 Seiten

 

 

 

 

3 Gedanken zu “Der Wunsch nach Versöhnung

  1. Das ist schön, dass Du das schreibst! Ich war ja noch nie dort! Das Buch transportiert ein zwiegespaltenes Gefühl: Ja, man kriegt den Eindruck, da sind viele kluge Menschen, egal welcher Religion, aber die haben es alle offensichtlich nicht leicht.
    Das Buch wird Dir bestimmt gefallen, wenn Du Pakistan sogar kennst! Es ist atmosphärisch sehr dicht!

    Gefällt 2 Personen

  2. Mein Mann und ich waren vor vielen Jahren zu einer Hochzeit in Pakistan eingeladen. Damals war die Sicherheitssituation nicht ganz so kritisch wie heute. Ich fand es sehr spannend, das bürgerliche Pakistan kennenzulernen. Denn in den europäischen Medien hören und sehen wir immer nur das Negative. Wir haben viele gebildete und fröhliche Menschen getroffen. Das hat mich damals sehr optimistisch gestimmt. Auch wenn das Buch offenbar nicht sehr viel Optimismus zurücklässt, es hört sich sehr interessant an, auch weil hier jemand schreibt, der die Kultur kennt. Liebe Grüße, Peggy

    Gefällt 2 Personen

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