Die schöne Seite des Scheiterns

George Watsky ist in Amerika ein Star der Rapper-Szene, Schauspieler, Lyriker, also einfach ein anerkannter Künstler. Dass so jemand nun sein literarisches Debüt mit dem Titel How to ruin everything – Wie man es vermasselt schmückt, klingt eher unglaubwürdig, im besten Fall kokett. Und ehrlich gesagt, die Geschichten, die Watsky hier erzählt, unterscheiden sich wahrscheinlich nicht wirklich von Geschichten des Scheiterns, die jeder von uns erzählen könnte. „Wir waren jung, wir brauchten das Geld“ könnte man sagen oder einfach: Shit happens. Der rote Faden der Peinlichkeit auf dem Weg zum Ziel. Und trotzdem sind Watskys Geschichten anders. Sie sind durchdrungen von einer dem Leben zugewandten Sicht. Hinter allem steckt die eine Frage, deren Antwort laut Douglas Adams 42 ist. Was zum Teufel noch mal tun wir hier? Was ist der Sinn unseres Lebens?

„Unglaublicher Mut und unglaubliche Dummheit, ging mir auf, das waren die Schlüssel zu einem frühen Tod.“

Auf dem Originalcover allerdings werden diese Geschichten nicht, wie auf dem deutschen Klappentext, als Stories angepriesen, sondern als Essays. Ein feiner Unterschied, wie ich meine. Wobei mir im Englischen vor allem noch die ungeliebten essays in Erinnerung geblieben sind, die im Deutschen die nicht weniger ungeliebten Erörterungen bezeichneten. Was genau die Geschichten von Watsky nun literarisch gesehen sind, ist jedoch nebensächlich. Komplett und unbestreitbar. Ehrlich sind sie, menschlich und Mut machend, dazu witzig, nicht brüllend komisch, wie es im Rückentext steht, aber wirklich witzig. Und klug. Lebensklug und intelligent.

Wann ist ein Mann ein Mann? Viel mehr interessierte mich inzwischen die Frage, was einen Menschen zu einem Menschen macht. Geld, Abenteuerlust, Testosteron? Da fielen mir ein paar andere, weniger maskuline Wörter ein: Besonnenheit, Gelassenheit, Mitgefühl.

George Watsky ist ein begnadeter Rapper und Poetry Slamer und das nicht nur, weil er unglaublich schnell sprechen kann, sondern, weil er mit Sprache umzugehen weiß. Seine Texte spiegeln ein komplexes Gefühls- und Gedankenleben wieder und sind dementsprechend ausgefeilt, ohne langweilig oder beliebig zu sein. Und nicht nur nebenbei bemerkt, hat Jenny Melring das mit Verve ganz wunderbar ins Deutsche übertragen. Die Nähe zu anderen Menschen ist ihm wichtig, das merkt man ganz deutlich. Er begreift sich als soziales Wesen, das für einen Freund auch mal eine Dummheit macht. Natürlich mit ausgeklügeltem Plan … aber Pläne sind dazu da, durchkreuzt zu werden, zum Beispiel von allzuviel Selbstsicherheit. Doch auch diese Rückschläge führen im besten Fall zu persönlicher Fortentwicklung.

Ich arbeite hart, um den ersten Schritt auf dem Weg zum Erfolg zu meistern: den Misserfolg.Wer behauptet, ein Schritt vorwärts und zwei zurück würden einen nirgends hinführen, dem halte ich entgegen: Wenn man rückwärts geht, sehr wohl.

Watsky muss sich in jungen Jahren bereits mit epileptischen Anfällen auseinandersetzen, die offenbar durch größere sportliche Aktivität hervorgerufen werden können. Zumindest denkt er das längere Zeit. Doch nach und nach wird ihm klar, dass der Sport das „Fass vielleicht zum Überlaufen“ bringt, doch gefüllt wird es durch andere Gefühle: Panik, Unruhe, Rastlosigkeit. Das scheint etwas zu sein, was viele (junge) Männer unterschreiben können. Sie denken, ihnen laufe die Zeit davon, um sich zu beweisen, doch vergessen sie dabei, dass es wichtig ist, zumindest kurz zu entspannen und das Leben seinen Lauf nehmen zu lassen. Das ist erfrischend und gibt Mut – nicht nur (jungen) Männern.

Denn auch wenn man mal wieder etwas vermasselt hat, dann ist das nichts Außergewöhnliches, denn der rote Faden der Peinlichkeit durchzieht doch unser aller Leben. Die Frage ist nur, ob wir versuchen, ihn zu vermeiden und dabei wieder kläglich scheitern oder ihn eben annehmen, weil gerade er uns manchmal auch an Orte bringt, die wir sonst nie gesehen hätten und uns damit schöne Momente beschert.

Die letzte Zündschnur lässt sich leicht entzünden. Ich stecke den Böller schnell in die Rolle, und wir laufen wieder weg, der Sand gibt unter unseren Füßen nach, wir schauen nach oben, wo wir die Rakete vermuten. Es folgt eine ohrenbetäubende Explosion, lauter als erwartet, so muss der Urknall geklungen haben, aber kein neues Universum entsteht, der Himmel zeigt sich unbeeindruckt, stattdessen geht es unterirdisch so richtig los, die Erde explodiert wie nach einer Landmine, Sand, Kiesel und Treibholzstückchen fliegen uns um die Ohren, wir werfen uns zu Boden, sind auf einmal mitten in der Farbe, grelles Grün strömt aus allen Richtungen auf uns zu, wir sind gefangen in einem Spinnennetz, einem dreidimensionalen, buntgestreiften Gitter aus Blitzen, der Moment pulsiert und dehnt sich aus, so muss es im Inneren eines Gehirns aussehen, wenn irgendwelche Synapsen durchbrennen oder wenn sich ein Mensch verliebt und dann erlischt das Glitzern am Himmel […] Ich gestehe, dass ich die Rakete vielleicht/unter Umständen/höchstwahrscheinlich falsch herum reingesteckt habe, sodass sie nicht in den Himmel gespuckt wurde, sondern stattdessen die Erde angegriffen hat. Ich habe es vermasselt.

Was Watsky ganz sicher nicht vermasselt hat, das sind diese 13 Geschichten – sprachlich brilliant, unterhaltsam und teilweise fast schon philosophisch tiefgehend, sagt uns hier ein junger Mann, dass es durchaus cool sein kann, sich dem Scheitern zu verschreiben. Denn, wie so oft, kommt es doch auch hier nur auf die Definition des Wortes an.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: 23. August 2017
  • Verlag: Diogenes Verlag
  • ISBN: 978-3-257-07007-1
  • Leinen, gebunden: 336 Seiten

 

 

2 Gedanken zu “Die schöne Seite des Scheiterns

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