Schöner und heiler als in Schöngraben an der Rauscher kann die Welt gar nicht sein. Wären da nicht ständig diese Störungen….
Die Autorin vermag mit dem Stilmittel Heimatroman und den aufgehübschten idyllischen Szenarien, die bei solchen Erzählungen üblich sind, das gesamte Genre und die heile Welt komplett zu zertrümmern. In einer Heppi-Beppi-Sprache wird mit süßlicher lapidarer Stimme alles, was eine Dorfgemeinschaft – besser gesagt alles was die Menschlichkeit im Prinzip ausmacht, also alle Werte – perfide zerlegt: Bigotterie wird mit Gottesliebe umschrieben, Gewalt an Frauen und Kindern inklusive Vergewaltigung werden mit Frauenliebe und Kinderliebe gleichgesetzt. Tierliebe einst und jetzt verkommt – wenn man die übliche Kitschschicht abkratzt und reflektiert – zu altbewährter Sodomie und moderner Massentierhaltung inklusive Homogenisierung von niedlichen männlichen Küken.
Der Roman ist wie ein Autounfall: derart bitterböse, zuckersüß und grauslich, bis dem Leser die Galle hochkommt – ganz mein Geschmack. Lange habe ich mir Analogien überlegt, wie ich die Geschichte und den ungewöhnlichen Stil punktgenau beschreiben könnte, aber sie sind mir irgendwie ausgegangen, weil das Werk tatsächlich derart einzigartig war. Bis mir mein Mann den treffenden Tip gegeben hat. Quentin Tarantino trifft Mariandl beschreibt sehr gut den Genremix, denn die Grausamkeit in Petra Piuks Geschichte ist ähnlich bodenständig und lapidar, wenngleich viel hinterfotziger* und fieser als bei Tarantino. Stilistisch dürfte mit ziemlicher Sicherheit Aus dem Leben Hödelmosers von Reinhard P. Gruber als Inspirationsquelle für die Autorin gedient haben, aber Grubers Anti-Heimatroman ist im Gegensatz zu Toni und Moni so harmlos wie ein Lercherlschas*. So nun habe ich die Kuriosität des Werks genug beschrieben, das sollte ich Euch besser in ein paar Beispielen demonstrieren:
„Die Mama schickt mich um ein Kalbfleisch zum Huber-Bauern. Ich gehe in den Stall. […] In der letzten Box ganz hinten schreit ein Kalb. Hinter dem Kalb steht der Huber-Bauer. Ich sage GRÜSS GOTT, weil EIN KIND HAT IMMER ZU GRÜSSEN. Der Huber-Bauer zieht schnell seine Hose hoch. […]
In Schöngraben weiß man noch, woher das Fleisch kommt. In Schöngraben legt man im Stall noch selbst Hand an. Hier kennt man das Schnitzel noch persönlich.“„Denn was wäre ein Heimatroman ohne Süßspeisen. […]Und dazu viel Schlag, wie man hierzulande zur Sahne sagt. Wir Österreicher haben eben eine bildhaftere Sprache. Eine Erklärung für unsere Deutschen Urlaubsgäste, die wir immer willkommen heißen […]: Der Schlag heißt Schlag, weil man ihn mit dem Schneebesen schlägt wie ein Kind mit dem Kochlöffel oder ein Tier mit dem Besenstiel.“
„Wenn ich groß bin stecke ich meinen Spatz richtig in die Moni hinein. So wie Papa in die Mama. Und der Moni-Vater in die Freundin der Moni-Mutter. […] Und der Huber-Bauer in das Kalb. Und der Pfarrer in den Lukas.“
An sich ist diese Auswahl schon sehr abgedreht, böse und kurios. War ich am Anfang noch sehr amüsiert, wurde die Geschichte gegen Ende so richtig übel. So schraubt sich dieser ungewöhnliche Anti-Heimatroman mit einem genretypischen Plot dem sogenannten „Happy-End“ zwischen dem Liebespaar Toni und Moni auf dem Land in ungeahnte Niederungen menschlicher Abgründe hinab. Getreu dem Motto: Und bist Du nicht willig, gebrauch ich Gewalt.
Weitere sehr ungewöhnliche Stilmittel sind die direkte Ansprache des Lesers durch die Autorin und die Diskussion der Lektorin mit der Autorin inklusive Verbesserungsvorschläge in den Fußnoten und Streichungen im Text.
„Sehr verehrte Leserschaft. Erheben Sie sich bitte und treten Sie vor zur heiligen Kommunion. Sollten Sie eine Sünde zu beichten haben, suchen Sie einen Beichtstuhl auf, bevor Sie weiterlesen, damit Sie in Ihrer Lasterhaftigkeit nicht den schönen Heimatroman beflecken. Der nächste Gottesdienst findet in Kapitel 24 Ein Gottvertrauen statt.„
Fand ich diese Konstruktion zu Beginn noch sehr amüsant, waren mir aber die Diskussion, die Verbesserungsvorschläge der Lektorin, und die Figurenverwirrung rund um die Autorin schlussendlich zu breit ausgewalzt, als dass sie mich bis zum Ende fesseln konnten. Im Gegenteil, sie nervten ein bisschen, aber das ist wirklich Jammern auf hohem Niveau.
Fazit: Warnung an alle! Extrem ungewöhnliche Satire mit übelstem Brachialhumor und nix für feine zartbesaitete Leser. Ein komplett wahnwitziger Anti-Heimatroman und für Leute mit schrägem Humor wie mich ein Gustostückerl an Innovation und Bösartigkeit.
*Lercherlschas, der. [leachalschas]. Bedeutung: Kleinigkeit, Geringfügigkeit (wie ein Darmwind eines Vögleins);
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe: 17. August 2017
- Verlag: Kremayr & Scheriau
- ISBN: 978-3-218-01079-5
- Hardcover: 208 Seiten