Addie Moore und Louis leben nicht weit voneinander entfernt in der Kleinstadt Holt, Michigan. Sie kennen sich, wie man sich als Nachbarn eben so kennt. Tatsächlich miteinander zu tun haben sie allerdings nicht. Louis verstorbene Frau Diane stand Addie allerdings schon näher, von Freundschaft zu sprechen, wäre aber auch hier zu viel des Guten. Mittlerweile sind sowohl Addie als auch Louis verwitwet und leben ihren Alltag mit wenigen, aber dennoch regelmäßigen nachbarschaftlichen Kontakten. Wohl gemerkt nicht zueinander.
„Und dann kam der Tag an dem Addie Moore bei Louis Waters klingelte.“
Mit diesen Worten beginnt die von Kent Haruf sanft, ruhig und augenscheinlich unspektakulär erzählte Geschichte einer wunderbaren Freundschaft zwischen zwei Menschen, die es wagen, ihrer Einsamkeit aktiv entgegenzuwirken. Zunächst fragt sich Louis – wie auch die Leserin – weshalb Addie gerade ihn bittet, ihr des nächtens Gesellschaft zu leisten. Peu à peu lernen wir uns gemeinsam kennen und ich finde Gefallen an der frischen, aktiven Haltung dem Leben gegenüber, die die beiden neuen Freunde einnehmen. Als auch noch Addies Enkelsohn mehr oder weniger bei ihr „abgestellt“ wird, weil seine Eltern in einer ernsten Ehekrise stecken, bekommt der Junge von seiner Großmutter und Louis genau das, was Kinder so häufig brauchen: Aufmerksamkeit, Geduld, Verständnis und Zuwendung. Klar, dass ihre Art zu leben bei den anderen Einwohnern Holts (zunächst) auf Unverständnis trifft. Vor allem die älteren Männer, aber auch jüngere Frauen, verurteilen das Arrangement. Frauen in Addies Alter hingegen bewundern ihren Mut und beneiden sie ein wenig.
Kent Haruf gelingt es geschickt und ohne viel Tamtam, die Doppelmoral unserer heutigen Gesellschaft aufzuzeigen. Anstatt anderen ihr Glück zu gönnen, halten die Menschen ihnen unmoralisches Verhalten vor – und das nur wegen ihres fortgeschrittenen Alters. Als ob ältere Menschen kein Recht auf Freude oder Glück hätten. Doch Addie und Louis lassen sich nicht beirren und verleben gemeinsam mit dem immer aufgeweckteren Enkel einen erfüllten Sommer. Dazu bedarf es keiner großartigen Urlaube und Taten, sondern nur ein wenig Aufmerksamkeit der Schönheit des Lebens, der Freude an Freundschaft gegenüber. Als Addies Sohn auf den Plan tritt und seiner Mutter verbietet (!), diese Verbindung aufrecht zu erhalten, machte sich Empörung bei mir breit: Wie kann er nur? Soll er doch vor der eigenen Türe kehren, sein Leben in Ordnung bringen.
Aus einer schlichten Geschichte um zwei einsame Menschen, die sich ein erfülltes Leben zurückerobern, wird ein Plädoyer für die Notwendigkeit eines immer selbst bestimmten Lebens. Kompromisse müssen manchmal sein, doch nie auf Kosten der eigenen seelischen Gesundheit. Kein moralisches Lehrstück, aber ein kleines Stück außergewöhnlichen Alltags, ein Aufruf, sich dem Abenteuer zu stellen, wenn es an die Tür klopft, das ist Unsere Seelen bei Nacht
Auch ein einfaches Leben kann ein außergewöhnliches und sehr gutes sein – Erzählweise unterstreicht hier die zentrale Aussage. Und das macht dieses Buch zu einer wunderbaren Wohltat in Zeiten, in denen alles groß und größer sein muss, um bestehen zu können.
„Ich will nur friedlich vor mich hin leben und darauf achten, was Tag für Tag passiert. Und abends herkommen und bei dir schlafen.“
Buchdetails:
- Aktuelle Ausgabe : 22. März 2017
- Verlag : Diogenes Verlag
- ISBN: 978-3-257-06986-0
- Leinen, gebunden: 208 Seiten
Oh danke Dir !! Das freut mich – ja irgendwie erstaunlich oder, dass ein so schlichter Roman und das meine ich ganz positiv solch einen schönen starken Eindruck hinterlassen kann. Ich hoffe, die anderen Romane von Haruf werden auch noch bei Diogenes erscheinen … LG und einen schönen Sonntagabend, Bri
LikeLike
Ich habe das Buch auch erst kürzlich gelesen und ich war echt positiv überrascht. Wirklich ein schöner, schlichter Roman. Mein Lieblingssatz aus dieser Rezension ist “ Kein moralisches Lehrstück, aber ein kleines Stück außergewöhnlichen Alltags, ein Aufruf, sich dem Abenteuer zu stellen, wenn es an die Tür klopft, das ist Unsere Seelen bei Nacht“ – wirklich toll gesagt!
Schönen Sonntag noch!
Katha
LikeGefällt 1 Person