Es ist en vogue in einer „Filterblase“ zu leben. Ich lebe auch in einer. Meine beinhaltet zwar kein Facebook, dafür whatsapp und Lovelybooks. Meine Filterbubble enthält Die Zeit, den Spiegel, die TAZ, den Schwabo (unser orthographisch und grammatikalisch – den Inhalt lassen wir besser gleich außen vor – fragwürdiges Regionalblättchen), diverse WordPressblogs, regionale TV Nachrichten, Dorfklatsch, den man sich bei der bestens informierten Nachbarin abholen kann und die verschiedensten Kabarettisten (das sind jene Menschen, die einem heutzutage die Politik näherbringen) die dem Göttergatten und mir gefallen. Meistens, wenn auch mit kleinen Abweichungen, gefällt uns dasselbe. Bei Musik und Politik ist es ebenso. Moment, habe ich geschrieben gefällt? Zum Thema Politik? Ne! Völlig verfehlte Wortwahl. Politik entnervt, regt seit längerem nur noch auf und macht unsere Unterhaltungen darüber sehr zynisch. Ich behaupte mal, dass jeder Mensch seine ganz eigene Filterblase hat. Bedingt durch Wohnort, Beruf, daraus resultierenden Bedürfnissen, finanziellen Verhältnissen, Freunden, Kindern und eigenen Erfahrungswerten. Das Internet mit seinen Möglichkeiten ist da nur ein weiterer Faktor. Dient das alles dazu, dass wir bestens informiert sind und soweit möglich Überblick erhalten? Das eigene Denken und Empfinden erweitern. Kommt immer darauf an, wie weit man bereit ist, sich einzulassen.
Aufmerksamen Lesern meiner Beiträge dürfte nicht entgangen sein, dass mein Herz politisch eher links schlägt. Bedingt durch meinen Sozialberuf komme ich mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen. Das erweitert meine persönliche „Bubble“ ein wenig, um sachten Einblick in die Lebenswirklichkeiten anderer Menschen. Die Bandbreite reicht von völlig mittellos bis gut aufgestellt, finanziell saturiert. Jedoch habe ich nicht erst seit dem erschreckenden Populistenboom vor allem des letzten Jahres ein Gefühl starken Unwohlseins bezüglich unseres wirtschaftlichen und politischen System. Ein undurchschaubares globales Finanzsystem bar jeder Ethik, das unfassbar viele Menschen abhängt und auf grenzenloses Wachstum ausgerichtet ist und dabei ein Gros der Bewohner dieses Planeten ausbeutet, mitsamt dessen Ressourcen, die logischerweise endlich sind. Ich schätze die Demokratie, halte sie für die einzige gangbare Form des politischen Systems um allen Bürgern ein gutes Leben zu ermöglichen. Soziale Marktwirtschaft, wie wir sie hier in Deutschland haben war eine großartige Errungenschaft, aber funktioniert sie noch, wie sie einst konzipiert wurde? Die große Frage ist wem nutzt das derzeitig praktizierte Wirtschaftssystem und welcher Ideologie folgt es? Denn wenn wir von Finanzmitteln, also Geld reden, sprechen wir über etwas mit fiktionalem Wert, die tatsächliche Währung basiert auf Vertrauen und Glauben. Glauben wir den Vordenkern des Neoliberalismus und der freien Märkte, wie frei sind diese Märkte tatsächlich und haben sie das Wohlergehen der Menschen im Visier oder doch andere, weniger soziale Interessen?
Anklagend auf die derzeitigen Zustände hinzuweisen und mehr oder minder prophetisch vorauszusagen, wo das alles hinführen könnte ist ebenso einfach, wie jammernd und klagend die Fehler im System aufzulisten. Nach der Trump Wahl, der Zitterpartie im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf und den allgemeinen Verhältnissen in der Welt, die Rechtspopulismus und faktenfreie Verschwörungstheorien viral verbreiten, ist mein Unwohlsein mit der aktuellen politischen Lage global und besonders im Hinblick auf Deutschland zunehmend gewachsen. Der Armutsbericht, die Bildungssituation, der ausufernde Lobbyismus, den man auf lobbycontrol gut aufbereitet verfolgen kann, TTIP, CETA und der sich abzeichnende Rechtsruck in unserer Gesellschaft lassen mich nicht frohgemut in die Zukunft blicken. Die Thematik ist komplex, dennoch mache ich es mir einfach und verknüpfe dies alles mit unserem Wirtschaftssystem. Dem Neoliberalismus. Bereits in einem anderen Beitrag wurde dieses Thema angeschnitten. Im 2016 erschienen Buch der Professorin für Betriebswirtschaftslehre Evi Hartmann Wieviele Sklaven halten Sie?
Daher ist es immer wieder eine Freude, positive Aussichten dargelegt zu bekommen, die näherer Überprüfung dann auch standhalten. Sarah Wagenknecht ist dies bei mir mit Reichtum ohne Gier gelungen.
Die Autorin dürfte wohl etlichen Lesern ein Begriff sein. Die schöne und intelligente Linke mit dem natürlichen Potential kleingeistige Männer erfolgreich abzuschrecken *G*.
Sahra Wagenknecht studierte Neuere deutsche Literatur, Philosophie und hat ein abgeschlossenes Volkswirtschaftsstudium, Dr. rer. pol. magna cum laude. Sie weiß also worüber sie schreibt, wenn sie im ersten Teil ihres Buches, übrigens sehr lebendig und stilistisch gewandt, den Kapitalismus und den IST – Zustand unserer angeblich sozialen Marktwirtschaft erläutert. Wer nun fürchtet, die Lektüre dieses Sachbuches gestalte sich öde liegt falsch. Frau Wagenknecht formuliert glasklar, gut verständlich und pointiert. Gefeit vor sich aus Verzweiflung speisendem Zynismus (vielleicht habe ich das aber auch nur selbst so empfunden) ist sie nicht. Ihre Beispiele, die sie aus einem sehr gut fundierten Allgemeinwissen gepaart mit Sachkenntnis schöpft sind anschaulich und nachvollziehbar. Jemandem wie mir, die das Fach Geschichte bereits in der Schule liebte und sich heute noch sehr dafür interessiert, kam natürlich vieles bekannt vor. Allerdings habe ich es seltenst so klar und eindrücklich ausgesprochen erlebt. Ihre Wutrede über die Lage der Nation ist ein aussagekräftiges Beispiel ihrer rhetorischen Fähigkeiten.
Reichtum ohne Gier zerlegt zuerst den gegenwärtig praktizierten Kapitalismus und legt nach dieser Einführung – in welcher sie Vergleiche zu früheren Wirtschaftssystemen zieht und deren historischen und ökonomisch;, ideologischen Weiterentwicklung bis zur Jetztzeit – den überzeugenden Entwurf einer neuen Wirtschaftsordnung vor. Immer auf dem Boden des Grundgesetzes verbleibend entsteht hier die Vision einer Wirtschaft die sich am Gemeinwohl orientiert, nur darauf ausgerichtet ist. Einer Wirtschaft die tatsächlich freie Märkte, Innovation und Leistung fördert. Sozialromantik findet sich keine, der Wille zur Verbesserung hingegen durchaus. Einer Wirtschaftsordnung, die den Populisten ihre Existenzgrundlage weitgehendst entziehen könnte, auch für jene Menschen deren Bildungsgrad oder persönliche Trägheit ihnen aus welchen Gründen auch immer, nicht erlaubt über den Tellerrand hinauszuschauen.
Für alle, die sich das bis dato noch nicht bewusst vor Augen geführt haben: Wir Bürger und Steuerzahler finanzieren mit unseren eigentlich für das Gemeinwohl bestimmten Steuergeldern Banken, multinationale Konzerne, Waffenlieferungen an diktatorische Regime, verfehlte Landwirtschaftssubventionen – die ebenfalls nur der Industrie zugute kommen, die damit Nahrungsmittel produziert die diesen Namen teils gar nicht mehr verdienen – nichts davon ist für das Gros der Gesellschaft von Bedeutung, oder Wert, eher gegenteilig.
Ich werbe hier deutlich nicht für eine Partei, ich spreche über ein Buch, das mich sehr beeindruckt hat, weil es tatsächlich Wege aus der Misere zeigt. Nicht an Symptomen herum laboriert, sondern eine Möglichkeit aufweist, die Mechanismen zu verändern, indem es beim Konzept ansetzt, gemeinwohlorientierte Banken andenkt und Lobbyismus in die Schranken weist.
Ein solches Wirtschaftssystem hat natürlich auch Verlierer, zahlenmässig erheblich weniger als bisher, wird es die Superreichen ein wenig einschränken. Das halte ich für verschmerzbar. Global gesehen besitzt laut Oxfam Studie 1 Prozent der Weltbevölkerung mehr als der gesamte Rest. Daran ändert auf die Schnelle auch eine auf Deutschland beschränkte neue Wirtschaftsordnung nichts. Doch weshalb nicht Vorreiter sein, wenn sich Altes nicht bewährt hat?
Sarah Wagenknechts Entwurf einer neuen Wirtschaftsordnung ist es wert, in Augenschein genommen und angedacht zu werden. Unbedingte Leseempfehlung daher auch an Leser die beim Namen der Autorin versucht sind sofort abzuwinken.
Frau Wagenknecht stellte ihrem Buch dieses Albert Einstein zugeschriebene Zitat voran. Ich schließe hiermit:
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
Buchdetails
- Aktuelle Ausgabe: 10. März 2016
- Verlag : Campus
- ISBN: 9783593505169
- Gebunden: 224 Seiten
Die schöne und intelligente Linke mit dem natürlichen Potential kleingeistige Männer erfolgreich abzuschrecken – ein wunderbarer Satz, liebe Thursdaynext … ja, solche Frauen verschrecken häufig. Das Buch muss ich natürlich lesen, geht kein Weg dran vorbei. Bin derzeit ob der Lage ziemlich gefrustet … und da tun Lösungsvorschläge gut.
Danke für den Tipp.
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