In Istanbul und Mumbai

Die endlose StadtHolle ist Künstlerin und zur Zeit mit einem Stipendium in Istanbul. Hier hat sie Celal kennengelernt, den Besitzer des „Döner Paradise“. Celal, dem Ironie fremd ist, und der schlecht englisch spricht, so dass Holle und er sich kaum unterhalten können. Trotzdem beginnen sie eine Liebesbeziehung. Christoph Wanka ist Vorstandsmitglied eines Bauunternehmens und Kunstsammler, und er begegnet ihr ebenfalls in Istanbul. Immer wieder sucht er den Kontakt zu ihr, zu ihr als Künstlerin. Und schließlich bietet er ihr einen Job in Mumbai an, den sie widerwillig annimmt, denn eigentlich hat sie mit ihm und seinen Ansichten ihre Probleme. Zwischen den beiden entsteht eine Art unterschwelliges Spiel um Macht. Celals Antrag hat Holle nicht beantwortet und ihn in Istanbul zurückgelassen. Als sie Mumbai dann später wieder verlässt, um nach Istanbul zurückzukehren, überlässt sie der Journalistin Theresa ihr Apartment. Wanka versucht, Kontakt mit Holle aufzunehmen und erreicht Theresa, die sich zwischen Holles zurückgelassenen Sachen immer mehr fragt, wer diese Frau eigentlich ist, und sich schließlich in ihre Belange einmischt.

Ulla Lenzes Roman „Die endlose Stadt“ ist die clever verwobene Geschichte dieser beiden Frauen, die sich nicht kennen und deren Lebenswege sich nur zufällig kreuzen. Beide sind Idealistinnen auf ihre Weise. Holle möchte über Kunst am liebsten nicht reden und durchschaut deren Wirkung auf die Außenwelt nicht recht.

„Mal scheint man sie monatelang zu vergessen. Dann wieder lädt man sie zu irgendetwas ein – mit Schulkindern Kunst zu machen oder irgendwo auszustellen. Und manchmal, wenn auch selten, will jemand etwas kaufen. Dabei ist ihre Kunst eine einzige Absage an die Welt, die Kunst zu kaufen imstande ist.“ S.69

Theresa hingegen macht sich viele Gedanken darüber, wie sie über Indien berichten möchte:

„ ‚Diese Reportagen sind Betrug“, sprach sie in den Hörer, „aber ich kann nichts anderes, und eine Weile war es richtig, ich bringe anderen die Welt näher. August?“ „Ja“, sagte er. „Fremde Welten, aber die fremden Welten sind gleich hier und bei uns, sie sind in deinem nächsten Gedanken, der nicht Anschluss findet an den vorherigen, nur oberflächlich, ist dir das nie aufgefallen? Was zu erzählen wäre, das ist genau das, was den Worten nicht gleichkommt.‘ “ S. 197

Holle und Theresa suchen beide nach dem Weg, alles richtig zu machen, vor allem vor sich selbst. Ein wenig ziellos wirkt es manchmal, wie sie durch diese großen, überfüllten Städte laufen, die so anders sind als die deutsche Heimat. Alles in sich aufsaugen, die Menschen und ihre Mentalität zu verstehen suchen. Auch immer wieder darüber nachdenken, was sie dort sehen und erleben. Sich ein Stück weit verlieren. Holles Beziehung zu Celal, diesem unkomplizierten Dönerbudenbesitzer, für den es zwischen Schwarz und Weiß einfach nicht viel gibt – kann Holle mit ihm glücklich werden? Die Anziehung zwischen den beiden ist groß, Celal will Holle heiraten, aber würde Holle in einer solchen Ehe glücklich werden?

Wenn ein Roman den Leser mit all den Gedanken, die er liefert, mit den Fragen, die er stellt – egal, ob er sie beantwortet oder nicht – (meistens ist es interessanter, die Antworten auf diese Fragen selbst zu suchen und den Roman so zu seiner eigenen Geschichte zu machen); wenn ein Roman den Lesenden (die Lesende) also einfach anspricht, wenn man sich in seiner Geschichte verliert, dann ist es mitunter schwer zu erklären, wie diese Wirkung erzeugt wird. Ulla Lenze erzählt von zwei Frauen, die auf der Suche sind und sie zeichnet diese Protagonistinnen lebensecht. Nebenbei erweckt sie dabei sowohl das schnelle Treiben Istanbuls zum Leben, wie sie auch das Gefühl vermittelt, sich direkt im noch viel dichter besiedelten Mumbai zu befinden. Es macht Spaß, diese Städte durch die Augen der beiden Frauen zu betrachten. Außerdem ist Lenzes Roman geschickt konstruiert, sie wechselt souverän Zeiten und Orte und lässt Holles und Theresas Geschichten sich immer wieder in kleinen Facetten spiegeln. Eine Reise um die Welt, nach Istanbul, Mumbai, auch nach Berlin, eine Suche nach dem Sinn, im Großen und im Kleinen. Ein Roman, der seinen ganz eigenen Sog erzeugt.

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