Allesforscher

AllesforscherEgal was ihm für verrückte Sachen passieren, das Leben des Sixten Braun in Steinfests Roman ist alternativlos …

„Ich darf sagen, meine Philosophie war immer die: Alles was geschieht, ist ohne Alternative. Die Alternative bilden wir uns nur nachträglich ein. Das ist vielleicht überhaupt unsere eigene Freiheit zu phantasieren, wie es hätte sein können.“

Der erste Satz ebenso: „Der Beginn eines jeden Buches leidet unter einem großen Manko: Es fehlt die Musik.“

Wer Steinfest kennt, weiß aber, seine Bücher sind voller Sprachmusik. Wer braucht dazu schon eine Art Titelmusik, ein Entree, welches sich dunkel und geheimnisvoll nach dem Auftauchen des Filmstudios in die Gehörgänge fräst und einem Spannung verspricht. Ein Steinfest-Buch, das weiß der geneigte Leser, birgt immer sprachliche Abzweigungen, seitenlange Nebenwege und skurrile Figuren und Geschichten.
Auch der Allesforscher mäandert sich sprachlich opulent durch die verschiedenen Genres.

Fiktive Biographie, Selbstfindungssinnsucher – oder Liebesroman, charmantes Dampfgeplauder eines Mississippidampfers unter Vollgas und hängenden Moosen, oder Kriminalgeschichte und Abenteuerroman mit mysteriösen magischen Quereinflüssen?

Eigentlich doch egal. Das Kind (Buch) braucht keinen Namen, es ist lebendig, wunderbar bunt und ein Genuss, sich darin treiben zu lassen und über die feinverteilten philosophischen Einstreusel zu sinnieren.
Ein Buch, welches man mit einem feinen Lächeln beginnt und mit demselben Lächeln nach Beendigung wieder weglegt.

Dabei von einehmender RELEVANZ, trotz aller Irritationen.


Bleibt doch der Autor immer pragmatisch, angefangen mit der Überzeugung, dass leichte Schläge, in diesem Fall wohl ein einziger schwerer Schlag auf den Kopf, das Denken nicht nur erleichtern, sondern in völlig andere Bahnen zu lenken vermag.
Und dieser Schlag kommt von einem explodierenden Wal, bzw. von dessen Einzelteilen, oder Innereien, die auf den in Tainan an der Straße dort zufällig stehenden Sixten Braun treffen.

Nach dem Erwachen aus dem Koma zerfleddert das so geordnete Leben des Managers Sixten Braun regelrecht, angefangen mit einer Liebe zu einer deutschen Ärztin und einer weiteren bedrohlichen Lebenssituation – einem Flugzeugabsturz.
Sixten Braun ist danach nicht mehr derselbe, sein ihm angeborener Pragmatismus wandelt sich langsam, im Labyrinth des Daseins und der steinfestschen Allegorien und Nebensätze. Bis er eine einmalige Gelegenheit geboten bekommt, die sein Leben mit Sinn zu erfüllen verspricht. Ein Sinn, der ihn mit Sorge und Umsicht zu einer kleinen Familie führt, deren Mitglieder vor möglichen Schicksalsschlägen zu bewachen sind.

„Selbst jene, die mit Argusaugen wachten, versagten. Sosehr man sich anstrengte, man sah nicht jedes Auto kommen. Was nützt es tausend Jahre keinen Fehler zu machen; aber in einer einzigen Sekunde statt nach links nach rechts zu schauen? Darum gab es sie, die kleinen, schutzengelhaften Monde, die alles taten, um genau auf diese Sekunde vorbereitet zu sein. Nur in gewissen Augenblicken … in gewissen Augenblicken war der Mond müde oder untergegangen und der Himmel leer.“

Nach vielen, anscheinden alternativlosen Zufällen und Ereignissen und einem plötzlich auftretenden Chinesen verheddert sich der Roman kurz etwas in esoterischen Wirrungen, Träumen. Irritierend aber gut, da muss man durch, wenn der Autor es so will.

Am Ende webt er die vielen kleinen verschiedenartigen und farbigen Glasperlen aus Sixtens Lebenslauf zu einem Glasstrang, den er mittels Liebesodem mundbläserisch und traumwandlerisch in eine formschön schillernde Glasvase mit verschmitztem Lächeln transformiert. Ein Staubfänger. Dazu passen auch die hübschen Illustrationen, die der Autor diesem Buch geschenkt hat. Aber was für einem. Eine Regalzierde, die es verdient bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises gebracht hat, obwohl äußerst unterhaltsam und köstlich humorvoll geschrieben und depressive, schwermütige Nuancen nicht vorhanden sind.

Pures Lesevergnügen im stier- und gefahrfreien Labyrinth.

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe : 10.03.2014
  • Verlag : Piper
  • ISBN: 9783492054089
  • Gebunden: 400 Seiten

3 Gedanken zu “Allesforscher

  1. Pingback: Gepflegte Langeweile | Feiner reiner Buchstoff

  2. Was für eine schöne Besprechung, die Lust auf sofortiges Lesen macht. Bereits der Auftritt des Autors bei der Shortlistlesung am vergangenen Wochenende hat Lust auf mehr gemacht. Nun muss ich nur noch Thomas Melles Roman durchlesen, um endlich anfangen zu können!

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